First-Person-Movies

Im kommenden Semester steuere ich zum Vertiefungsmodul „Kultur und Medien – Geschichte und Konzepte“ eine Übung mit dem Titel „First-Person-Movies“ bei.

Die meisten Spielfilme suggerieren dem Zuschauer durch die Art ihrer Inszenierung eine „heimliche Anwesenheit“ seines Blicks. Im Verlauf der Filmgeschichte haben sich Darstellungsweisen etabliert, die zwischen auktorialer/objektiv-neutraler Beobachterperspektive und subjektivem Kamerablick unterscheiden lassen.

Einige Filme entziehen sich jedoch diesen Konventionen und liefern entweder sehr subjektiv gefärbte Sichtweisen aus scheinbar objektiver/auktorialer Perspektive, thematisieren den Zuschauerblick selbst oder die grundsätzliche Subjektivität des Blick(en)s. Oft entsteht dadurch ein Kontrast zwischen der Bildaussage und den übrigen erzählerischen Elementen des Films, der den Eindruck einer „unzuverlässigen Erzählung“ erweckt: Der Zuschauer weiß nicht, ob er seinen Augen oder seinen anderen Sinnen trauen soll. Die so genannten „First-Person-Movies“ bilden eine Sonderform solcher Erzählungen, weil sie die Perspektive eines Filmcharakters einnehmen, diesen aber zeitweise trotzdem als Figur im Bild präsentieren.

In dieser Übung soll eine Auswahl von (vermehrt zeitgenössischen) Filmen untersucht werden, die genau diese Brüche der Darstellungskonvention enthalten. An ihnen soll zum einen die Theorie des „unzuverlässigen Erzählens im Film“ exemplifiziert werden. Zum Anderen bieten sie durch ihre auffällige Inszenierungsweise ideale Gegenstände zur Erarbeitung eines Filmanalyse-Instrumentariums. Im Dialog mit filmwissenschaftlicher Literatur sollen die Teilnehmer im Verlauf der Übung in die Praxis der formalen Filmanalyse eingeführt werden und gleichzeitig die Besonderheiten filmischer Erzählweisen in Filmen von David Lynch, David Cronenberg, Alexandre Aja und anderer Regisseure erarbeiten.

Im Einzelnen sind bislang folgende Titel auf der Screening-Liste:

  • Eraserhead (USA 1977, D. Lynch)
  • Lost Highway (USA 1997, D. Lynch)
  • Videodrome (Kanada 1983, D. Cronenberg)
  • Spider (Kanada 2002, D. Cronenberg)
  • Shutter (Thai 2004, B. Pisanthanakun & P. Wongpoom)
  • My little Eye (UK/USA/Can/F 2002, M. Evans)
  • Dédales (F 2003, R. Manzor)
  • Tale of Two Sisters (Süd Korea 2003, Kim Ji-woon)
  • The Machinist (Spanien 2004, B. Anderson)
  • High Tension (Frankreich 2003, A. Aja)
  • The Eye (HK/UK/Sing. 2002, Pang Brothers)
  • The Others (Spanien/Frankreih/USA 2001, A. Amenábar)
  • Donnie Darko (USA 2001, R. Kelly)

Im Reader wird es Texte zur Entwicklung der Theorie des Point-of-View geben. Folgendes ist bereits aufgenommen:

  • Edward Branigan: The Point-of-View. In: montage/av 16/1 (2007), S. 45-70.
  • Bela Balasz: Die Einstellung. In: Ders.: Der Geist des Films, Frankfurt/Main 2001, S. 30-41.
  • Norman Friedman: Point of View in Fiction. Development of a critical Concept. In: PMLA 70,5 (Dec 1955), S. 1160-84.
  • Wayne C. Booth: Distance and Point-of-View. An Essay in Classification. In: Essays in Criticism 11,1 (Jan. 1961), S. 60-79.
  • Gerard Genette: „Fokalisierung“. In: Ders. Die Erzählung, Ss. 134-138 & 241-245.
  • Edward Branigan: Fokalisierung. In: montage/av 16/1 (2007), S. 71-82.
  • David Bordwell: Narration in the Fiction Film, Madison 1985, S. 57-61.
  • Seymour Chatman: Characters and Narrators, In: Poetics Today 7 (1986), S. 189-204.
  • George M. Wilson: Narration in the Light: Studies in Cinematic Point of View, Baltimore u. a. 1988, S. 1-15.
  • Jacques Aumont: The Point of View, In: montage/av 16/1 (2007), S. 13-44.
  • Douglas Pye: Movies and Point of View, Movie 36 (2000), S. 2-34.
  • Edward Branigan: The Life of a Camera. In: Ders. Projecting a Camera, New York 2006, S. 1-23.
  • Edward Branigan: The Camera-in-the-Text. In: Ders. Projecting a Camera, New York 2006, S. 25-64.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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2 Antworten zu First-Person-Movies

  1. texturmutant sagt:

    Ausgezeichnete Filmauswahl. Für die Literaturliste würde ich aber im Anschluß an das Gesagte noch den herausragenden Text von Betine Menke über die rhetorische Figur der Prosopopiia empfehlen. (Betine Menke, Prosopopoiia. Die Stimme des Textes – die Figur des ’sprechenden Gesichts‘, in: Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, hrsg. von Gerhard Neumann, S. 226 – 251). die Arbeit hat zwar keinen direkten Bezug zum Film weist aber die auf die Innere Bewegung einer rhetorischen Figur hin, die dem Text, ähnlich der First-Person-Perspektive, eine Stimme verleiht und diese gleichzeitig als störende Setzung markiert, die ein stringentes Lesen oder eben Sehen in Frage stellt. Außerdem könnest du damit deine Studenten schön durch die Lektüre peitschen^^

  2. Danke für den Tipp, aber die Literaturauswahl ist streng an einer Entwicklung der Point-of-View-Theorie im Film orientiert und zum Schluss durch Braingans Überblickskapitel abgerundet, in dem die vorhandenen Texte allesamt noch einmal aufgegriffen werden. Für jede Sitzung ein Text scheint mir erfahrungsgemäß ohnehin genug zu sein.

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