Verbrechen und noch mehr andere Kleinigkeiten

Match Point (USA/UK 2005, Woody Allen) (Off Broadway Köln)

Zum zweiten Mal war ich gestern bei einer Vorführung der Reihe "Filmpsychologische Betrachtungen". Dieses Mal wurde Woody Allens "Match Point" vorgestellt, den ich noch nicht kannte. Der Film ist – kurz gesagt – langweilig und weit unter dem Niveau von Allens sonstigem Werk. Das einzig originelle ist der Handlungschauplatz (London), ansonsten übt sich der mittlerweile 70-jährige Regisseur darin, seinen Film "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" hier noch einmal zu wiederholen. Fort lässt er jedoch sämtliche Nebenhandlungen und vor allem den Humor. "Match Point" wirkt wie eine seelenlose moralische Studie, die sich nicht entscheiden kann, ob sie nun die Umstände, in denen die Figuren sind, oder deren Handlungen kritisieren möchte. Ein paar unbeholfene "herrings" zur moralischen Ausdeutbarkeit des Stoffes, die Allen am Ende noch einwebt, helfen da leider auch nicht weiter.

Die Diskussion hinterher, basierend auf einem Vortrag von Sabione Wollnik, lief etwas schleppend. Das lag nicht nur an dem etwas einsilbigen Diskussionstil der Referentin (einige Fragen wurden belächelt und regelrecht abgewürgt), sondern vor allem auch am Inhalt ihres Vortrag. Die zunächst starke These, die die heftige Affektreaktion der Filmkritiker auf den Film ins Auge fasste, um dann zu fragen, ob es sich hier vielleicht um eine Übertragung handelt, die von der als sehr amoralisch dargestellten Hauptfigur auf den Betrachter überginge, verlor sie leider schnell aus den Augen. Anstelle dessen ergriff sie dankbar ein von Allen selbst ausgelegtes Deutungsangebot:

Eben jene Hauptfigur liest schon gleich zu Beginn des Films Dostojewskis "Schuld und Sühne" und mehrfach wird im Film noch auf dieses Buch referiert. Dass sich die beiden Erzählungen in vielen Facetten ähneln, ist ein auffälliges Merkmal – so auffällig, dass man es nicht zur Grundlage einer Analyse machen sollte. Erst recht nicht, wenn Woody Allen es durch Platzierung des Buches im Bild nahelegt. Hier wäre dann vielmehr a) zu fragen, warum der Erzähler eine "An-Leitung" für notwendig hält und b) deskonstruktivistsch nachzuhaken, welche Quellen denn "nicht expliziert" werden. Das würde verlangen, dass man den Film selbst eine zeitlang verlässt und der Frage nachgeht, warum sich Geschichtenerzählern (so) zu ihren Geschichten verhalten. 

Ein weiteres zentrales Arugment der Analytikern befasste sich mit der (von Allen wie von Dostojewski aufgestelten) Schuldfrage. Von der Warte der Psychoanalyse aus betrachtet, kann die volle moralische Schuld selbst für den geplanten und ausgeführten Mord nicht attestiert werden, weil die Figuren gar nicht frei handeln können, sondern jeweils Ergebnisse ihrer psychischen Entwicklung sind. Im Falle der Hauptfigur des Films deutete Wollnik eine mögliche Krise in der ödipalen Phase an (enggeführt mit den Mund- und Brust-Bildern des Films), die alle weiteren Handlungsmuster der Akteure determiniert. Als Beleg führte sie "jüngere Ergebnisse der Neurologie" an. Dass sich selbst ein derart gemäßigter Determinismus fatal auf das Konzept des freien Willens auswirkt und sich damit eigentlich selbst verunmöglicht, konnte ich in einem Wortbeitrag nicht recht vermitteln. Das liegt unter anderem aber auch daran, dass ich mir selbst diese Frage noch gar nicht gestellt habe: Inwieweit muss die mit Freud eingetretene "kopernikanische Wende" ("Wir sind nicht mehr Herr im eigenen Haus") angesichts der aktuellen Willensfreiheit-Debatte selbst noch einmal überdacht werden – erst recht in einer Zeit, in der sich viele Menschen dieses wie vieler anderer psychischer Mechanismen voll bewusst sind? Ist das Wissen um die eigene Willensunfreiheit auch ein unfreiwilliges Wissen?

Im Ergebnis war der Vortrag dem Film nicht angemessen – die Analyse lief teilweise ins Leere, eine Leere, die aber aus dem Film selbst stammt. Viel zu konstuiert und eindimensional ist das moraliscche Dilemma in "Match Point", viel zu wenig "Ecken" bietet die Erzählung und bieten die Figuren, um eine gewinnbringende psychoanalytische Deutung anzustellen. Problematisch ist diese sowie immer, wenn sie die Figuren zu Patienten macht und nicht in der Lage ist den discours des Films zu transzendieren. Das liegt aber wohl daran, dass die Reihe von "klassischen" Psychoanalytikern durchgeführt wird, die Lacan nicht im Repertoir zu haben scheinen.

Gestern wurden auch die weiteren Termine der Reihe bekannt gegeben. Sie finden sich unter diesem Link. Ich werde versuchen "L.A. Crash", "Caché" und "Geheime Staatsaffairen" zu besuchen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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3 Antworten zu Verbrechen und noch mehr andere Kleinigkeiten

  1. EvaS sagt:

    Für mich ist das Konzept der Reihe insgesamt sehr fraglich. Nicht nur dass sie von den „klassischen Psychoanalytikern“ durchgeführt wird. Es wird vor allem Wert darauf gelegt, dass es sich hierbei um die praktizierenden Psychoanalytiker handelt. Sie beschäftigen sich ja meist mit echten Krankheitsgeschichten und nicht mit (ästhetischen) Theorien. Kein Wunder, dass aus handelnden Personen „Patienten“ gemacht werden. Ich glaube also, wir sollen unsere Erwartungen (was die methodische Perspektive angeht) ein wenig runterschrauben. 🙂

  2. Stefan sagt:

    Ich stimme dir voll zu. Dennoch ist es ja mal ganz spannend zu sehen, wie weit es die klassische Psychoanalyse gebracht hat. Dass da jetzt aber offenbar so eine Verbrüderung mit den Hirnphysiologen stattfindet, scheint mir doch ein eher hilfloser Versucht der eigenen Nobilitierung zu sein.

    Es wäre vielleicht lohnenswerter, wenn man (wir) sich das nicht mehr anschaut, weil man wissen möchte, welchen Zugang die PsyA zu den Filmen findet, sondern aus Interesse an der PsyA an sich. Immerhin kann man da dann so etwas wie eine „Live Analyse auf der Bühne“ miterleben – ein Happening, das man (aus guten Gründen) ja nicht oft geboten bekommt.

    Gestern musste ich so einige Male daran denken, dass Woody Allen hier auf einen angemessenen Sparringspartner trifft: So sehr wie er in seinen Filmen „Schwarz-Weiß-Psychoanalyse“ (Adorno) betreibt, wird da „Schwarz-Weiß-Filmtheorie“ betrieben.

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