Meine Machtlosigkeit ist gewollt

Bei Programmkino.de lese ich heute morgen folgendes

Filmkritiker-Schelte betreibt DER SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe: "Der Duft des Erfolges", der "Das Parfum"-Produzent Bernd Eichinger umgebe, habe "weite Teile der deutschen Filmjournaille dazu bewogen, über den Produzenten herzufallen". Der SPIEGEL weiter über das grundsätzliche Problem deutscher Filmkritiker mit Erfolgsfilmen, die "reflexartig auf möglichst weiten Abstand zum gemeinen Volk" gingen: "Wie immer, wenn eine deutsche Erfolgsproduktion naht, zücken hiesige Filmkritiker das Fallbeil, um sich abermals ihrer Machtlosigkeit zu versichern: Schon miesepetrige Rezensionen von 'Good Bye, Lenin!' und 'Das Wunder von Bern' hatten den Siegeszug beider Filme nicht bremsen können."

Da ich mich als "machtloser Filmkritiker", der Eichingers/Tykwers Film verrissen hat, angesprochen fühle, reagiere ich auf den Vorwurf einmal: Ich empfinde es weder als meine Aufgabe, Erfolgsproduktionen zu hofieren, nur weil sie als solche durch PR und Marketing definiert werden, noch sehe ich meine Texte als Auspizien für den Erfolg eines Films überhaupt und schon gar nicht versuche ich darin ein Urteil zu fällen, das dem des späteren Filmpublikums zu entsprechen wünscht. Es ist auch nicht anders herum, dass ich von einem Film abraten möchte. Meine Kritiken bewegen sich (hoffentlich) auf einem anderen Niveau.

Im Fall von "Das Parfüm" war mir bewusst, dass der Film ein "Erfolg an den Kassen" wird. Das sagt nicht nur gar nichts über die ästhetische Qualität des Werkes aus (Konsalik und "Tokio Hotel" sind auch "Erfolge an den Kassen"), sondern ist erst recht kein Gegenargument gegen argumentierte Meinungen. In der Presse und in den Gedanken besteht (zum Glück) weder die "Herrschaft der Mehrheit" noch die "Herrschaft der ökonomischen Bilanz". Und der Zuschauer gibt eben kein Votum über die Qualität eines Films ab, indem er ins Kino geht und sich eine Eintrittskarte kauft. Mag sein, dass ihm der Film hinterher gefallen hat, mag sein, dass er sich über den Kauf der Karte geärgert hat (letzteres wird in Form des "künstlichen Dummhaltens des Zuschauers" ja durch Presse-Sperrfristen der Verleiher u. ä. sogar geplant). Aber ein argumentiertes, dezidiertes ästhetisches Urteil ist der Kauf einer Kinokarte nicht.

Die "Machtlosigkeit" der deutschen Filmkritik mag bestehen. Aber wem gegenüber? Sicherlich nicht dem Zuschauer gegenüber, denn ich kenne, nachdem der filmdienst seine "Wir raten ab"-Schlussätze aufgegeben hat, eigentlich kein Organ mehr, dass konkrete Empfehlungen oder Warnungen ausspricht. Vielleicht meint der Spiegel-Autor die "Machtlosigkeit" gegenüber dem Filmmarketing, das sich mit aller Macht schon Wochen vor dem Start einschaltet und Begehrlichkeiten generiert. So viel Ambitionen, gegen diese Macht anzuschreiben, habe ich zumindest nicht oft. Da müsste ich den ästhetischen Diskurs verlassen und mich auf den ökonomischen einlassen. Wer sich also darüber freut, dass ich mich hier "machtlos" fühle, dem gönne ich den Sieg über die "Machtlosigkeit" der Argumentation gegenüber der Manipulation.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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2 Antworten zu Meine Machtlosigkeit ist gewollt

  1. Thomas sagt:

    Richtig.

    Zumal der Matussek, der sich da meines Wissens im Spiegel mal wieder unnötig am Waldsterben beteiligt, sich da einen reinen Popanz aufbaut. Als ob Filme wie Good Bye Lenin oder Wunder von Bern durchweg schlecht besprochen würden; man muss sich nur mal die Presseschau z.B. bei angelaufen.de anschauen, um zu einem anderen Urteil zu kommen. Schon alleine das ist ein Offenbarungseid: Matussek geht es nicht um den Gegenstand – sondern, wie so oft, um reine Ideologie, die sich obendrein höchst neurotisch formuliert. Oder kurz: Matussek will Meinungshomogenisierung, diverse Meinungsbilder scheinen ihm ein Greuel; kein Wunder, dass er Deutschland-Freak ist und mit seinen Büchern für Deutschlandgeilheit plädiert.

    Aber sei’s drum. Seine Zetereien wider einen unsichtbaren Feind sind ja nun Indiz genug, dass die Filmkritik doch nicht ganz unwirksam ist. Solange sich solche Boien angegriffen fühlen und ins Zetern verfallen, hat Filmkritik durchaus ihren Sinn – und wenn sie nur ein „Fuck You“ in eine solche Richtung ist.

  2. tschill sagt:

    Wollte mich auch gerade wundern, wo Goodbye, Lenin denn nun so schlecht besprochen worden sein soll. Ohne mich intensiver mit dem M. beschäftigen zu wollen, scheint er mir doch eher ein Schleimbeutel an Eichingers Kropf zu sein. Ihn, also jetzt weder Kropf noch Schleimbeutel, sondern wieder Eichinger, ihn hatte ich neulich bei einer dieser unsäglichen Talkrunden gesehen, die mit Moderatoren aufgepeppt werden, damit man sie nicht mit dem Konsum-Kanal HSE24 verwechselt. Da hob der E. seine Stimme zu einer weinerlichen Rede an, wie gemein doch die Kritiker im eigenen Lande den Propheten behandelten, wo er doch gar aus Israel gelobt worden sei für Der Untergang. Das gipfelte in der Frage, ob denn Millionen Fliegen irren könnten, wenn es um den Geschmack von Scheiße ginge. Gut, den letzten Teil hat er anders umschrieben, aber genauso gemeint. Und auch bei Das Parfüm sei jetzt wieder das Gleiche passiert, die Herren Kritiker sollten sich mal vor die Kinos stellen und in die Gesichter der Menschen schauen … blablabla, naja, was eben aus faltigen Hirnzellen noch so rauspurzeln kann.

    Da finde ich das dann doppelt lustig, wenn jemand wie Herr Matussek eine (imaginierte!) Meinungsfront gegen den Erfolg nicht ertragen will und stattdessen ein rektales Sit-In bei Eichinger einfordert.
    Oder besser gesagt: Ich fände das lustig, wenn es nicht so traurig wäre.

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