Der Abgesang

Irgendwann "im August 2005" rief mich eine junge Dame an und bot mir einen Film zur Besprechung für F.LM an. Weil ich – als Filmkritiker – grundsätzlich interessiert war und auch den Eindruck hatte, dass ein ambitioniertes kleines Label ein bisschen Presse sicherlich gut gebrauchen kann, sagte ich kurzerhand zu und wenige Tage darauf lag eine selbstgebrannte DVD-R, handbeschriftet mit dem Titel des Films "Der Abgesang" in meinem Briefkasten. Das war der Anfang einer im Wortsinne "leidenschaftlichen" Beziehung zwischen mir und dem Label "Schwarfweiss", die bis heute anhält. Hoffentlich nur bis heute …

Zugegeben, den Film nicht gleich zu besprechen, sondern erst ein paar Projekte abzuarbeiten, die vorher auf dem Schreibtisch lagen, ist zwar normaler Arbeitsalltag, aber angesichts der schon bald einsetzenden Anrufe von "Scharfweiss", in denen nachgefragt wurde, ob ich die DVD bekommen, den Film schon gesehen hätte und ihn bald bespreche würde, hätte ich auch als Aufruf zur Beschleunigung verstehen können. Indes habe ich mich aber zu sehr gedrängt gefühlt und die DVD an einen meiner F.LM-Autoren nach München weiter geschickt.

Der sah ihn sich an, fand sich aber nicht in der Lage, eine ernsthafte und schon gar keine wohlwollende Besprechung zu verfassen. Das kann man unprofessionell nennen – aber ich verdiene mit F.LM eben nicht meinen Lebensunterhalt und nehme mir heraus, unverlangt (oder eben: aufgedrängt) zugeschicktes Material auch unprofessionellerweise mal nicht zu besprechen. Jedenfalls lag die DVD dann bis zum Januar 2006 in München, als ich eine E-Mail über meine private Mailadresse erhielt:

Du weißt wahrscheinlich, dass ich Dich vor ein paar Jahren zitiert habe und so liegt mir also auch persönlich etwas an Deiner Meinung! Es sollte kein halbes Jahr und auch kein Jahrzehnt vergehen, bevor Du Dich auf der sicheren Seite siehst. Denn es wäre wirklich schön, wenn du Deinem eigenen Sachverstand die Ehre gibst und nicht der öffentlichen Meinung. Komme mir nicht mit Zeit! Mach' was, wir haben auch was gemacht.

Ih hatte zunächst zwar keine Ahnung, wer das war, kamm dann aber über die Mailadresse doch drauf. Zugegeben: auf den ersten Blick ein netter Text, der einen engagierten Künstler vermuten lässt, wlcher mich zitiert und meine Meinung schätzt. Aber auf den zweiten Blick hat mich dann doch (neben dem Geduze) genau dieser Eine-Hand-wäscht-die-andere-Jargon genervt und die subtile Unterstellung, ich hätte da etwas nicht geschrieben, weil mich "die öffentliche Meinung" abhalten könnte, ziemlich provoziert. Zumal ich "Scharfweiss" ja bereits telefonisch zu verstehen gegeben hatte, dass ich die DVD gar nicht habe und deshalb auch nicht besprechen kann.

Ich schrieb also zurück – veileicht etwas missverständlich -, was ich schon gedacht hatte, nämlich, dass mein Autor allenfalls "schlechte Presse" produzieren könnte und ich die DVD lieber zurück schicke(n lasse). Dass ich dabei einen etwas genervten Tonfall gewählt habe, sah ich als Reaktion auf den Tenor der Künstler-Mail:

erst jetzt habe ich begriffen, dass Ihre Mail von neulich auf Ihre Presse-DVD von “Der Abgesang” bezogen war. Wie ich ja bereits mehrfach (u.a. auf telefonische Rückfrage von Ihnen) angemerkt habe: Der Film sollte von einem unserer Autoren und (aus Zeitgründen) nicht von mir selbst besprochen werden.

Ich habe heute Rücksprache mit dem Autoren gehalten. Er hat den Film mittlerweile gesehen und möchte ihn lieber nicht besprechen, weil er und ich der Meinung sind, dass wir einem engagierten Jungkünstler wie Ihnen den Start in die Filmbranche nicht durch schlechte Presse behindern sollten.

Selbstverständlich senden wir Ihnen Ihre DVD zurück. Sie erhaltne sie in Kürze.

Die Antwort des "engagierten Jungkünstlers" ließ nicht lange auf sich warten, kam genau genommen postwendend am selben Tag:

schön, dass Du dich meldest und schön finde ich auch, dass wir einen Weg
gefunden haben, so offen miteinander zu reden!
Das, was Du schreibst, wirft grundsätzliche Fragen auf und vielleicht
überrascht Du mich erneut mit einer Erläuterung.

Wie sollte schlechte Presse unseren engagierten Start in die Filmbranche
behindern?
Gibt es überhaupt schlechte Presse zu Filmen?

Wenn Du mit schlechter Presse übriges "zu anspruchsvoll" meinst, so kann ich
sagen, dass uns schon von anderen Presseseiten mitgeteilt wurde, dass dies
landläufig als schlechte Presse gilt.

Solche Widersprüchlichkeiten haften ja auch in Deiner Kingkong-Predigt an.

Im übrigen solltest Du spätestens jetzt merken, dass dies auch eine
persönliche Sache ist. Was Du auf Deinem Spezial-Seitchen sagst, ist weit von
jeder Filmbranche entfernt.

Unserer Meinung nach gibt es übrigens niemals "zu anspruchsvoll"!
Sondern nur zu dumm, zu feige, zu provinziell und zu faul.

Rette sich wer kann.
Dein Beobachter

Aha, erst werde ich zitiert (siehe erste Mail), dann wird meien "Kingkong-Predigt" ( 😕 ) und mein "Spezialseitchen" ( I-) ) schlechtgefunden. So viel stichhaltige Kritik vertrage ich nur schwer 😀 (und so viel Gägnelung und Beleidigung lasse ich mir nicht gefallen – daran, dass ich "beobachtet" werde, kann ich ja wohl nix ändern), also habe ich zu härterer Rhetorik gegriffen:

vielleicht sollten Sie sich mal an einen Spezialisten wenden. Muss ja nicht unbedingt ein Filmspezialist sein.
Sie stehen jetzt auf meiner Spamliste und Kollegen werde ich gern von Ihrem Umgang mit der Presse berichten.

Die DVD hatte ich zwischenzeitlich von meinem Autoren – mit meinem Absender versehen, damit klar ist, von wem die kommt – zurückschicken lassen. Und kurz nach meinem sarkastischen Zweizeiler fand ich einen Brief von "Scharfweiss" im Briefkasten, in dem die Wogen geglättet und das Verhalten des Mail-Schreibers erklärt werden sollten. Ich las ihn mit Interesse und überantwortete ihn (leider) dem Altpapier.

Heute kam dann noch ein Brief:

wir haben Ihnen im August 2005 eine DVD unseres Films "Der Abgesangt" zur Ansicht zugeschickt mit dem Anliegen diesen zu kommentieren und möchte Sie nun darum bitten, uns die DVD schnellstmöglich zurückzuschicken. Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Bemühungen.

Nur einmal ganz davon abgesehen, dass es unüblich ist, aufgedrängte Pressemuster zurückzuverlagen (erst recht, selbstgebrannte DVDs) und davon auch in der DVD-Zusendung nichts erwähnt war, kein Lieferschein, keine Rechnung oder sonst ein Hinweis auf Eigentumsvorbehalt vorlag, hatte ich die DVD ja schon zurückschicken lassen. Was wollen die denn von mir? Noch eine DVD mit dem Film? Das schrieb ich dann auch per Mail an das "management" (das den gleichen Nachnamen wieder Macher des Films trägt) und bat, jetzt doch bitte Funkstille einzuhalten.

Ich könnte diese Provinzposse natürlich auch für mich behalten, aber die Sache finde ich mittlerweile so ärgerlich, dass ich die Korrespondenz doch einmal zugänglich machen möchte. Die eine Moral, die man gegebenenfalls daraus ziehen mag, ist: Schickt mir keine DVDs zu, die ich eigentlich nicht will. Die Andere könnte lauten: Wenn man als Filmkritiker von engagierten Kleinlabeln angerufen wird und engagierte Filmkunst aufgeschwatzt angeboten bekommt, sollte man sich genau überlegen, wieviel Engagement man in solch einer Sache selbst aufbringen kann oder will. Die Sache könnte nämlich Zeit und Nerven kosten.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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