»Manchmal ist eine Minute eine Ewigkeit.«

Die Stunde des Wolfs (Vargtimen, Swe 1968, Ingmar Bergman) (DVD)

Bergmans „Die Stunde des Wolfs“ gehört – zusammen mit „Der Ritus“ und „Passion“ – zu meinem Lieblingsfilmen des Regisseurs. Kinowelt bringt ihn jetzt auf DVD heraus. Obwohl ich den Film bestimmt schon 20 Mal gesehen habe, hat mir die Untertitelung zur Originaltonspur jetzt ein ganz anderes Werk eröffnet. So gut der Synchronton auch zur Stimmung passen mag – er ist teilweise bis zur Groteske entstellend.

Ich bin mir erst jetzt darüber klar geworden, dass der Film keineswegs „Bergmans einziger Horrorfilm“ ist, wie irgendein Kritiker einmal behauptet hat. Durch die Schrifttafeln am Beginn wird klar, dass wir den Verlauf einer Psychose erzählt bekommen, die sich – durch das Schlusswort Almas, zwei Menschen, die ihr Leben zusammen verbringen, werden einander immer ähnlicher, wird das klar – auf die Erzählerin überträgt. Bergman sichert seine Narration dadurch ab, dass er den Filmproduktions-Kontext in die Rahmenerzählung einblendet und Alma direkt zum Interviewer (und keineswegs zum Publikum, wie die Synchron-Fassung insinnuiert) sprechen lässt.

Den horriblen Charakter des Films verdankt dieser ebenfalls der Synchronisation, die den Protagonisten ständig bedeutungsschwangere Aposiopesen in den Mund legt und die Johans Nachtmare als Monster zeichnet, die auch außerhalb seiner Vorstellung existieren könnten. „Die Stunde des Wolfs“ ist bei neuerer Betrachtung also „Schreie und Flüstern“ viel ähnlicher als „Fanny und Alexander“ – wo es in letzterem wirkliche Gespenster zu geben scheint, ist die Wiederauferstehung Agnes‘ in ersterem ebenfalls ein allein „filmischer Trick“ Bergmans, die Trauerarbeit und die Lebenslügen der Frauen zu visualisieren. In „Schreie und Flüstern“ bereitet er dies durch die Überbetonung des Filmischen ebenso behutsam vor, wie in „Die Stunde des Wolfs“.

„Die Stunde des Wolfs“ ist der vielleicht monochromste Schwarzweiß-Film, den ich kenne, denn er schafft es, dass die Stimmung und Atmosphäre auf die Bildwahrnehmung Einfluss nimmt. Nicht nur die Erinnerungsszene, in der Johann den kleinen Jungen erschlägt und die Verfolgungsjagd durch den Wald kurz vor Ende, die ja beide wirklich stärker kontrastiert und gesättigt sind als die übrigen Bilder, erwecken diesen Eindruck. Es sind gerade die tonlosen Momente, in denen sich Alma und Johann anschweigen – jene im Topic zitierte „Minute“ etwa -, die die Schatten und die Dunkelheit in den Bildern von Außen langsam ins Zentrum wachsen lässt. (Im Kontrast dazu enthält der Film eine Sequenz, die ich als eine der schönsten der Filmgeschichte empfinde: Als Johan von einem Malausflug nach Hause kommt, Alma ihm entgegen läuft und beide schließlich unter einer Wäscheleine stehen, sich küssen und der Wind ihnen die weißen Laken auf der Leine um den Kopf weht.)

Ich finde, dass Liv Ullmann nie besser und tiefgründiger, erschütternder und verletzter gespielt hat als in „Die Stunde des Wolfs“. Von ihrer mädchenhaften Unbekümmertheit am Anfang des Films bis zu jenem finalen Blick in die Kamera, kurz nachdem sie sich von dieser abgewandt hat – ein Blick, in dem ein völlig unprätenziöser, aufrichtiger Weltschmerz und ein Wissen um die Abgründe der menschlichen Seele liegt.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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