»Real or imaginary?«

Donnie Darko (USA 2001, Richard Kelly) (DVD)

Eigenartigerweise habe ich um den Film bislang einen Bogen gemacht, weil ich von zu vielen Leuten (vor allem von zu vielen, die davon keine Ahnung haben) gehört habe: "Das könnte auch ein Film von David Lynch sein." In Ermangelung einer besseren Idee habe ich vorgestern dann mal die noch eingeschweißte DVD aus dem Regal gezogen und mich überraschen lassen. Und ich war dann auch überrascht.

 

"Donnie Darko" ist großartig – und das ist er nicht, weil er "irgendwie nach Lynch aussieht" (das tut er nämlich keineswegs), sondern weil er sein Thema "Zeitreise" so perfekt vergegenständlicht. Blickt man an dem Mysterium, das die zeit-paradoxe Erzählung präsentiert, einmal vorbei, lassen sich zahlreiche Details erkennen, die aus "Donnie Darko" eine großartigen Film über das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahrtausends machen.

Augenscheinlich ist die Erzählung Ende der 1980er Jahre angesiedelt. Hinweise auf den Wahlkampf zwischen George Bush Sr. und Michael Dukakis situieren die Geschichet in 1988. Der Film selbst sieht aber keineswegs nach "80er" aus (einmal abgesehen von der Musik, die jedoch in Retro-Zeiten ein sehr unzuverlässiges "Leitfossil" ist). Vielmehr bildet "Donnie Darko" einen Blick auf diese Zeit verbunden mit einer analytischen Position aus seiner Produktionszeit. Im Rückblick wird der sich mit Bushs Wahlsieg zementierende Protestantismus einem kritischen bis sarkastischen Blick unterzogen: Der Ethik-Unterricht in der Schule ist undifferenzierte dualistische Gut-Böse-Esoterik und der ortsansässige Guru der Kopf eines Kinderpornorings.

In dieser Gesellschaft wächst eine Jugend heran (repräsentiert durch Donnie und seine Schwestern), die sich entweder dafür entscheidet, sich vom System korrumpieren zu lassen oder es zu hinterfragen – was gleichbedeutend mit einer Krankheit ist. Das, was Donnie seiner Therapeutin erzählt und was wir zusammen mit ihm erleben, sind eigentlich nichts anderes als typisch adoleszente Probleme – in der gesellschaftlichen Konfiguration, die "Donnie Darko" schildert, allerdings krankhafte Probleme.

Nähme man den Film als ein Coming-of-Age-Drama, wäre die Zeitparadoxie auflösbar als ein moralisches Dilemma: Entweder in dieser Zeit überleben, sich anpassen und die Wirklichkeit gesellschaftskonform so verzerren, dass man die Authentizität verliert oder den Tod wählen als einen Akt des finalen Aufbegehrens gegen diese Mechanismen. Die Zeitreiseparabel verdeutlicht uns diese Optionen und verschiebt die Wahlmöglichkeiten in ein teleologisch-theologisch abstraktes Gedankenexperiment.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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