»no matter how much it may hurt«

Psycho (USA 1960, Alfred Hitchcock) (DVD)

Mit Hitchcocks "Psycho" beginnt das dritte Kapitel meiner Dissertation – und der "moderne Serienmörderfilm". Ich habe ein paar interessante Entdeckungen gemacht und eine mögliche Lösung für das Problem mit oft kritisierten Schlussmonolog des Psychiaters anzubieten.

Die Hauptrolle in "Psycho" spielt eindeutig die Kamera. Die Agilität und Selbstbestimmtheit des Blicks fällt schon zu Beginn des Films mit dem Schwenk über die Hausfronten in Phoenix auf. Im weiteren Verlauf wird die Kamera zum alles erfassenden Beobachter, blickt selbst dorthin, wo die Protagonisten nicht hinsehen (können). Zentral dafür sind natürlich die beiden spektakulären Draufsichten, in denen Arbogast und später Norman sich im Obergeschoss des Hauses aufhalten. Diese Extrem-Perspektive, die Hitchcock vor allem deswegen eingesetzt hat, um die "punchline" seiner Erzählung zu verschleiern (das Mutter und Norman identisch sind), offenbart sich auf den zweiten Blick als eine sehr interessante Transzendierung psychoanalytischer Traumsymboliken, wie sie der Serienmörderfilm der klassischen Phase tradiert hat.

Nach etwa einer dreiviertel Stunde gibt es eine Szene, in der Norman unten am Treppenabsatz steht, kurz überlegt, ob er zu Mutter hinauf gehen soll, es dann aber lässt. Das Treppen-Motiv (einer der ältesten Bekannten im Serienmörderfilm) verbunden mit der vulgären Traumsymbolik des Hauses (derer sich der Serienmörderfilm ebenfalls ausführlich bedient) geben hier ein interessantes Doppel zur "Psycho"-Analyse ab. Das obere Geschoss des Hauses wird darin Sinnbild für das "Über-Ich" Normans, ein "Über-Ich", das komplett von den asexuellen und gewalttätigen Doktrinen der Mutter sprichwörtlich "besetzt" ist und das Norman nicht zu betreten wagt.

Als der abgeklärte Arbogast ins Oberstübchen hinaufklettert, begeht er im psychoanalytischen Sinn einen Tabubruch: Ohne Erlaubnis oder das geeignete Instrumentarium hat er "dort oben" nichts zu suchen und wird für die Grenzüberschreitung abgestraft. Das wissen wir nur deshalb, weil wir mit dem Kamerablick noch höher sind, weil zwar nicht die Erzähl- aber die Blickperspektive in diesem Moment aktorial ist. Das selbe gilt für die Szene, als Norman später die Mutter in den Keller (ein weiteres Traumsymbol für das "Unbewusste") trägt (verdrängt).

Diese zweite Szene eröffnet uns wieder einen "Überblick" über die Sachlage – mit deren Hilfe wir später die Aussage des Psychiaters relativieren können: Norman habe die Mutter, nachdem er ihre Leiche gestohen hatte, im Obstkeller versteckt gehalten und – wie der Fachmann weiter ausführt – den Tod der Mutter damit "verdrängt". Er benutzt hir das Wort "erase", sagt damit aber ewas ähnliches – auch auf der symbolische Ebene, wenn er annimmt, die Frau sei im "Keller" verborgen – "hid(e)" – gewesen. Die Erklärung des Psychiaters, der, wie er sagt, "verstehen will", wird damit brüchig und jede Kritik an diesem Schluss von "Psycho" damit eigentlich entschärft: "der Psychiater, der am Ende des Films die Psyche des ‚Psychos‘ mit seinen lächerlichen Theorien über Mütter und Söhne zu beleuchten versucht, versagt kläglich und kann mit seinen Thesen keine echte Aufklärung leisten." (Angelica Schwab. Serienkiller in Wirklichkeit und Film, Münster et al.: Lit 1998, S. 220)

Schwab, die das Scheitern der Erklärung des Psychiaters mit dem Scheitern der Erklärung des Films gleich setzt, scheint auch hier nicht genau genug hingesehen zu haben: Die transzendierend-psychlogische Position, die Hitchcock zeigt, stellt er doch ganz offensichtlich in Kontrast zum psychologischen Diskurs, der in "Psycho" geführt wird. Mir scheint es eher, als würde hier mit Klischees abgerechnet werden, worauf nicht zuletzt die Ästhetiken der demedialisierenden Medialisierung hinweisen. Doch dazu äußere ich mich an dieser Stelle (noch) nicht.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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