»It’s probably just some thing at the end of the trail.«

Gerry (USA 2002, Gus van Sant) (DVD)

Im September bringt Kinowelt Gus van Sants bislang außergewöhnlichsten
Film „Gerry“ auf DVD heraus. Gestern habe ich mir die Presse-DVD (die
bei Kinowelt immer identisch mit den VÖs sind) angesehen und der Film
hat mich schier umgehauen! Die beeindruckende Verbindung von
Minimalismus und Erhabenheit sucht ihresgleichen (und findet es wohl am
ehesten bei den Filmen von Antonioni oder Tarkovskij).

Der
Film beschreibt die „Wanderung“ zweier Freunde, die beide Gerry
heißen, durch eine Wüste. Ursprünglich befanden sie sich auf einem
„Wildnis-Tramplepfad“, der sie zu einem „Ding“ (so nennen es die
beiden) führen sollte. Doch recht bald kommen sie vom Weg ab und finden
nicht mehr zu ihrem Auto
zurück. Drei Tage lang irren sie durch verschiedenste Wüsten. Der Durst
und die Hoffnung, doch noch zurückzufinden treibt sie voran. Als sie
schließlich in der kärgsten Ödnis eines Salzsees angelagt sind, brechen
sie erschöpft zusammen.

„Gerry“ ist ein beeindruckendes filmisches Experiment mit der Zeit des
Zuschauers. In etlichen, schier endlosen Plansequenzen werden uns die
Protagonisten vorgeführt, wie sie sich völlig hilflos mit den Situationen
zurechtzufinden versuchen (etwa als sich einer von beiden auf einem
Felsen verstiegen hat und beide nicht wissen, wie er heil wieder
herabkommen soll) oder es werden uns in unmerklichen Schwenks die
Landschaften vorgeführt, in denen sie sich (und wir unseren Blick) immer mehr verlieren.

Die Landschaft ist überhaupt der eigentliche Hauptdarseller des Films, in
den die Gerrys wie Fremdkörper eindringen. Sie sind nicht gefasst auf
die „Dinge“, die ihnen in der Wildnis begegnen. Ihr Wissen über die
Natur stammt aus Computerspielen; doch ihre dortige Allmacht wird mit
ihrer Ohnmacht im Angesicht der realen Weite völlig aufgehoben. Und so scheint
es bald, dass die immer kärger werdenden Wüsten ein äußeres Symptom
ihrer wachsenden Hoffnungslosigkeit darstellen.

Schließlich, am Ende ihrer „Wanderung“, als nichts mehr übrig ist, an
dem sie sich orientieren könnten, nichts, was ihnen eine neue
Marschroute vorgeben könnte, als der Wassermangel und die Trauer
überhand nehmen, beginnt für die beiden ein Prozess der
„Sozialisation“, auf den man die ganze Zeit gewartet hat: Waren sie
zunächst zwei, die wie zufällig zusammengewürfelt wirkten und die immer
einen eigenartigen Abstand zueinander gewahrt haben, so kommt in der
Todesstunde nun das erste Mal das Bedürfnis nach körperlicher Nähe und
Trost auf.

„Gerry“ fungiert jedoch nicht als Entwicklungsgeschichte seiner beiden
Figuren. In
ihrer Dumpfheit und ihrer (ziemlich authentischen) Weltfremdheit
bleiben sie stets starre Fremdkörper in ihrer Umgebung. Dass beide
Gerry
heißen und auch einen großen Teil ihres Verb- und Substantiv-Inventars
aus dem Wort „Gerry“ besteht, zeigt eigentlich schon, wie sehr sie
allein auf sich bezogen und eine Entität sind. Der Kontrast zwischen
Figuren und Setting wirkt so stark, dass man zum Ende hin man
manchmal den Eindruck hat, van Sant habe ein Musikvideo über die Wüste
drehen wollen, aber einen dramaturgischen Vorwand benötigt. Und gerade
dieser Eindruck macht das unangenehme Potenzial des Films aus.

Die Art und Weise, wie diese Bilder uns erreichen, ist absolut
beeindruckend. Die Plansequenzen korrespondieren mit dem Nichts und der
Erhabenheit dieses Nichts, das sie abzubilden versuchen. Die
akustische Untermalung dieser Bilder ist- hier zeigt sich der experimentelle und
gleichzeitig hypnotische Zug des Films – eine Art Meeresrauschen, das
selbst die heißeste Trockenheit intoniert. Abgewechselt wird es von
meditativen Synthesizer-Flächen und von der minimalistischen Musik Arvo
Pärts. Dessen „Alina
(meine Lieblingskomposition von Pärt) wirkt wie
eigens für die Bilder hergestellt. Die unendlich langsam rhythmisierten
Klaviertöne bilden akustische „Peaks“, die die optischen – jene immer
seltener werdenden Markpunkte in der Wüstenlandschaft – perfekt
verdoppeln. Durch diese Verdopplung entsteht eine Synästhesie, die den
Zuschauer direkt und ohne Ausweichsmöglichkeit trifft. Das Drama der
beiden Gerrys zieht ihn in den Bann, der doch eigentlich von den
Bildern und Tönen ausgeht. „Gerry“ ist damit als
„dramaturgisch-synästhetisches Erlebnis“ perfektes Kino – „Kino an
sich“, könnte man es nennen.

Die Präsentation auf DVD ist deshalb mehr als bei vielen anderen Filmen
eine „Krücke“. Die Kinowelt-DVD führt diese Schwäche auch technisch vor
Augen: Es gibt so viele Szenen mit monotoner Farbgebung oder sehr
sanften Farbverläufen, dass der Film – trotz voller Auslastung der DVD-Kapazität – von Kompressionsartefakten nur so
wimmelt. „Gerry“ sollte für alle Zweifler deshalb auch ein
hinreichender Grund sein, sich auf neue Medien (HD-DVD, Blu-Ray) zu
freuen, die ohne Bildkompression auskommen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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