»sans colère et sans haine, comme un boucher«

Le Sang des bêtes (F 1949,
Georges Franjú)

Es ist schwer, sich über diesen Film zu äußern, ohne in einen moralisierenden Jargon zu verfallen.

Franjús Erstlingswerk kontrastiert morgendliche und abendliche Bilder
der Arbeiter-Außenbezirke Paris‘ mit verschiedenen Schlachthofszenen,
in denen in dokumentarischer Detailliertheit die industrielle
Vernichtung tierischen Lebens vorgeführt wird. Zwei
Off-Kommentarstimmen – eine Frau in poetischer Sprache über die Stadt
und ein Mann zwischen kühlem Bericht und metaphorisierender Allusion in
den Schlachthofszenen – begleiten die Bilder und stellen sie einander
gegenüber.

Dies ist auch eine  Gegenüberstellung von (neo-)realistischer
Arbeitswelt und surrealistischer Spach-Bild-Komposition und erzeugt
äußerste Ambivalenz gegenüber dem Film und seinem Thema. Ist zuerst
kaum klar, warum uns hier grausamste Schlachtsezenen von Pferden, Kühen
und Schafen und Kälbern vorgeführt werden, so zeigt sich im letzten
Viertel doch ein deutlicher Stoß in Richtung Allegorie: Die Engführung
von Viehtrieb und Deportation, von Fleischauktion und Kirche, von
Schlachtvieh und Opfer … das alles ruft kurz nach Kriegsende
sicherlich mehr noch als heute Erinnerungen an den Holocaust und die
von ihm betroffenen Gesellschaften wach.

In der heutigen Rezpetion schlägt dieser Ton jedoch um: „Le Sang des
Bêtes“ führt heute, angesichts noch stärker ausdifferenzierter
Nahrungsmittelproduktion die „schonungslose Realität“ vor Augen, die
durch die Schwarz-Weiß-Bilder nur noch „authentischer“ (weil
dokumentarischer) wirkt. Den Beginn jenes Prozesses, an dessen Ende das
Stück Fleisch auf dem Teller liegt („Die Kälber müssen schnell
ausbluten, damit das Fleisch weiß bleibt“ – hierzu werden ihnen bei
lebendigem Leib die Köpfe fast abgeschnitten. Das noch schlagende
Kälberherz und ein paar gezielte Tritte gegen den Rumpf pumpen den
Körper in Sekunden leer, während im noch am Torso hängenden Kälberkopf
die Augen hin und her rollen). Gerade einem Vegetarier, der nicht damit
beschäftigt ist, die kongnitive Dissonanz während des Zusehens
fortzurationalisieren, offenbart sich
in solchen Szenen und in der Kühlheit solcher „Prozessebeschreibungen“
das Barbarische hinter dem gesamten Phänomen.

Ich denke, dass der Film diese Kühlheit zur Steigerung seines
Kontrastes bewusst ins Zentrum rückt. Die Schlachter werden als
abgestumpfte, mitleidlose Handwerker beschrieben, die singen und
pfeifen, während sie die groteskesten Tötungsritualie vollziehen. Der
Film nimmt diese Lakonie auf und lässt einen seiner Schlachter Charles
Trenets „La Mer“ singen, während in Großaufnahme die Blutseen durch den
Schlachthof wogen. Dass daraus eine „Poetik des Blutes“
resultieren soll (die aus „Les Sang du Bêtes“ vielleicht einen rein
surrealistischen Film gemacht hätte), ist angesichts dieses Sarkasmus
zweifelhaft.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu »sans colère et sans haine, comme un boucher«

  1. Stefan sagt:

    Ein Nachtrag,

    gerade läuft auf 3Sat zum „Welttierschutztag“ eine Sendung, die die Bilanz der letztjährigen Tierschutzbemühungen aufstellt. Während der Eingangstitel wird der Zuschauer darauf hingewiesen, dass eine visuelle Skala ihn vor „Szenen, die unangenehm zu ertragen sind“ gewarnt wird … Entwarnung am Ende dieser Szenen gibt es akustisch durch ein paar Tackte eines Robbie-Williams-Songs … Augen zu für die kognitive Dissonanz!

  2. EvaS sagt:

    Das ist natürlich ganz bizarr. Die Frage ist vor allem, für wen diese Szenen denn schließlich gezeigt werden und welche Wirkung dabei beabsichtigt wird? Was entspricht mehr der Intention der Autoren – dass man die Augen zumacht oder doch offen läßt? 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.