»Von Liebe schreiben und sie finden«

Pillow Book (F/GB/NL 1996, Peter Greenaway) (DVD)

Gestern kam die Presse-DVD von Universal/Prokino und ich habe gleich
einmal reingeschaut. Den Film kannte ich schon von einer
ARTE-Ausstrahlung von vor ein paar Jahren und war damals von dessen
Oppulenz etwas abgeschreckt (vielleicht, weil ich zuvor „Prospero’s
Books“ gesehen hatte). Zugang zu Greenaway habe ich eigentlich erst
über „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ gefunden. Der
Film scheint so eine Art Portal in das filmische Universum Greenaways
zu sein, indem er in die speziellen Äshetiken, Themen und Obsessionen
des Zeichners, Bilshauers, Mathematikers und Filmemachers einführt.

Kurzum: „Pillow Book“ sah dann gestern ganz anders aus. Vieles aus den
frühen Kurzfilmen Greenaways findet sich hier als Kondensat auf
„höherer äshtetischer Ebene“ wieder. Da ist natürlich zuvorderst die
Leidenschaft für die Schrift. Besonders aufflällig ist hier, dass – bis
auf den immer wieder perpetuierten Schöpfungstext – der Inhalt der
geschriebenen Texte selbst keine Rolle spielt. Vielmehr ist es ihr
ornamentaler Charakter, ihre Synästhesie mit der „Unterlage“ (der
Haut), die Greenaway hier ins Zentrum rückt.

Natürlich hat diese Faszination, vor allem die für ost-asiatische
piktografische Schriften, etwas mit dem ganz Anderen dieser Schrift und
Kultur zu tun. Greenaway wittert ein Geheimnis hinter dieser
Schrift-Kultur, in ihrer Unüberseztbarkeit und vor allem in der
Bedeutsamkeit, wer, wie schreibt und worauf geschrieben wird. In
„Pillow Book“ geraten Körper, Film und Schrift in eine Synäshesie, die
mehrfach codiert ist. Natürlich ist hier auf der Oberfläche die
sexuelle Obsession, beschriftet zu werden und schließlich selbst zu
beschriften. Die Protagonistin Nagiko wird hier förmlich in den
„Masochismus“ hineinerzogen, sich selbst zum totalen Lustobjekt des
Schreibers zu machen. Als der (sie beschriftende) Vater schließlich
stirbt, dreht sie den Spieß um und verleiht sich selbst die Macht „zu
signieren“.

Was der Film auf der Oberfläche einfach als „polymorph pervers“
inszeniert – die Lust, überall mit dem Pinsel bestrichen zu werden –
offenbart darunter Greenaways kulturelle Verwurzelung mit Europa, der
er sich aber durchaus bewusst zu sein scheint. Wie Roland Barthes ist
auch Greenaways Denken über „das System Japan“ (Barthes) davon geprägt
„wie unsinnig es ist, wenn wir unsere Gesellschaft in Frage stellen
wollen, ohne zugleich die Grenzen der Sprache zu bedenken, mittels
deren (ein instrumentelles Verhältnis) wir sie in Frage zu stellen
vorgeben.“ (Barthes)

In der Figur des multilingualen Europäers Jerome, der eine Beziehung
mit Nagiko erst eingehen kann, als sie nicht mehr „nur schriftlich“
ist, zeigt sich dieses Denken. Jerome ist ein „typischer Westler“, der
zwar die Regelhaftigkeit von Schrift und Sprache in Windeseile erlernen
kann, den mythischen Unterbau jedoch ignoriert. So sind Jeromes erste
Versuche, Nagikos Körper zu beschriften auch rein „kolonialistischer“
Art. Der spirituelle Gestus – wie etwa das alljährliche
Geburtstagszeremoniell Nagikos, an dem sie von ihrem Vater mit dem
Schöpfungsmythos beschriftet wird – bleibt dabei aus. Allein der
deklarative Charakter des Beschriftens (zur Vereinnahmung) steht ihm im
Sinn. Als er aufhört, sinnvolle Texte auf Nagiko zu schreiben und
einfach Zitate aus dem Alten Testament verwendet, erhält die Beziehung
auf einmal Gegenseitigkeit.

Doch auch die japanische Schreibkultur inszeniert Greenaway nicht mit
mythischer Überhöhung (oder Verkitschung). Auch hier scheinen die
Grundlagen des Beschriftens ambivalenter: Der Verleger etwa handelt
ganz deutlich (trieb-)ökonomisch. Sein „Handeln mit Schrift“ ist ebenso
fetischistisch (etwa im Umgang mit dem verstorbenen Körper Jeromes),
wie die Ökonomie aller. Die Schriften in Form der „13 Bücher des Pillow
Book“ scheinen ihn vor allem auch als Waren zu interessieren. Dass er
nur denjenigen verlegt, den er auch sodomiert, inszeniert der Film als
„sexuelle Ausbeutung“.

Greenaway erzählt hier nicht einfach eine Geschichte vom Schreiben und
Sex – und ich denke, er entfernt sich mit „Pillow Book“ auch weitest
gehend von seinem Vorurteil, Film sei nur illustrierte Schrift. Dazu
nutzt er die Techniken (zum Beispiel Inframierungen) viel zu
„filmisch“. In „Prospero’s Books“ waren die Ein- und Überlagerungen von
Bildern noch eher verwirrend (wenn ich mich richtig erinnere); in
„Pillow Book“ folgen sie einem strikten narrativen Zweck: Es sind
Rückblenden, alternative Perspektiven usw. (grandios ist vor allem, wie
Greenaway das 4:3-Bild einsetzt, um unterhalb des Filmstreifens Raum
für Glossierungen aller Art zu bekommen!)

Sehr beredt ist auch der Einsatz des Soundtracks. Die Lieder spielen
nicht nur eine Rolle in der Filmhandlung; einige werden auch durch ihre
Lyrics direkt im Bild präsent(iert). Da gehen Musik, Bild, Schrift,
Darsteller eine Symbiose miteinander ein, die mir zuerst das Wort
„Gesamtkunstwerk“ ins Bewusstsein gerufen haben. Alles ist aufeinander
abgestimmt, steht zueinander in ergänzender Beziehung und verdeutlicht
den Kerngedanken des Films.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.