Fenster zum Tod

Heute habe ich endlich mal Hans Schmids hier schon ewig herumliegende Dissertation über den „Raum im Horrorfilm“ fertig gelesen.

Schmids Buch ist zunächst ein außergewöhnlich guten Beispiel für
Wissenschaftspublizistik. Der Autor formuliert seine Thesen und
Argumente absichtlich fernab des akademischen Jargons, ist dabei jedoch
überaus präzise und selten redundant.

Das Ziel seiner Untersuchung lässt sich dem Untertitel bereits entnehmen: Es geht ihm um Raumphänomene im
Horrorfilm. Schmid entwickelt seine Überlegungen zweigleisig: Zum einen
verfolgt er die technische Entwicklung der Kinematographie – immer im
Hinblick auf die Ermöglichung raumkonstruierender Äshtetiken; zum
anderen untersucht er – zunächst – frühe Film-Beispiele auf ihre
Raumdarstellungen.

Sein theoretisches Konzept entwickelt er an Denis Diderots
malerei-theoretischen Schriften und vor allem an Camille Paglias viel
gescholtener gendertheoretischer Theorie aus „Sexual Persona“. Den Raum
im Film weist er – mit Paglia – als „weiblich“ aus. In ihm verlieren
sich die männlichen Protagonisten. Die Ästhetiken des Films sind dabei
stets bemüht, die Rahmen des Bildes „unangetastet“ und Diderots „vierte
Wand“ (nämlich die, die den Zuschauer- vom Filmraum „trennt“) bestehen
zu lassen. Diese konservierenden/konservativen Ästhetiken unterläuft
Schmid zufolge nun der Horrorfilm, indem er den Zuschauer ins Geschehen
hineinholt und/oder die Rahmung des Bildes derart auflöst, dass der
Filmraum in den Zuschauerraum übergeht. Schmid bleibt hier bei seiner
Argumentation leider im (für Anfang der 90er Jahre verständlich!)
gendertheoreitischen Korsett gefangen. Medientheoretische oder
-anthropologische Diskurse bemüht er nicht, die feministische
Filmtheorie (Mulvey, Schlüpmann, Modleski) dafür umso intensiver.

Prägnant ist die Auswahl der Filme, die Schmid näher unter die Lupe
nimmt. Die sind nicht immer (reine) Horrorfilme. Einige zentrale Filme
seien genannt: Les Vampires (1915), Das Cabinet des Dr. Caligari
(1919), Rear Window (1954), verschiedene Brian-de-Palma-Filme,
Halloween (1978), Psycho (1960), TCM (1974) und schließlich Silence of
the Lambs (1990). An diesen exemplifiziert er seine These, dass der
Horrorfilm beständig an der Verunsicherung des Raumgefühls arbeite und
diesbezüglich das progressivste Genre der Filmgeschichte darstelle.
(Allein die Lektüre der Kommunikationssituation zwischen Starling und
Hannibal Lecter in „Silence of the Lambs“ als „kino-analog“ ist schon
brillant!)

Das im belleville-Verlag erschienene Buch ist seit Jahren vergriffen
und nur sehr schwer über das Antiquariat zu bekommen. Leider ist auch
die Qualität der Klebebindung nicht sehr berauschend: Schnell ergeben
sich unschöne Knickfalten im Buchrücken und die mangelhafte Leimung
lässt dem rabiateren Leser die Argumentation des Autor schnell
„räumlich entgegenkommen“. Es wäre also einmal Zeit für eine
Neuauflage. Wer das auch glaubt, sei hiermit aufgerufen, sich an den Verleger zu weden.

Hnas Schmid
Fenster zum Tod. Der Raum im Horrorfilm
München: belleville 1992
251 Seiten (Paperback)

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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