Brägenpanne

Elmer (Brain Damage, USA 1988, Frank Henenlotter)

Unermüdlich grabe ich mich durch die sumpfigen Untiefen des 70er- und 80er-Jahre Parasitenfilms.

„Brain Damage“ ist dabei ein besonders obskures Werk, weil es zwischen
einer ernsthaften Fortführung des Themas und dessen ironischer Brechung
oszilliert.

Das ältere Ehepaar Morris und Martha hält sich einen Parasiten in der
Badewanne, der täglich mit frischen Gehirnen gefüttert werden will,
dafür aber eine berauschende Substanz über eine Injektion durch die
Halswirbelsäule direkt ins Gehirn der beiden Wirte abgibt. Der Effekt wird in etwa mit
der Wirkung von LSD und Amphetaminen verglichen. Eines Tages – und so
beginnt der Film – ist der Parasit jedoch verschwunden, weil er einfach
keinen Appetit mehr auf die Tiergehirne hatte, die Martha aus der
Schlachterei holt. Er verschwindet durch den Abfluss und
nistet sich bei dem etwa 20-jährigen Mike, der im selben Haus wohnt, ein. Schnell wird Mike
nach der Droge, die der Parasit absondert, süchtig. Während seiner
ausschweifenden Nächte versorgt Mike, ohne es zu Wissen, den Parasiten
mit menschlichen Opfern, denen das wurmartige Wesen das Gehirn
aussaugt. Als Mike erfährt, dass er im Prinzip nur dazu dient, den
Parasiten zu dessen Opfern zu transportieren, will er sich von ihm trennen – woran ihn
die Sucht nach der Droge jedoch hindert. Auch Morris und Martha tauchen
plötzlich wieder auf und stellen Besitzansprüche an Mike: „Elmer“, so
der Name des Parasiten, gehörer Ihnen. Er sei ein seit Jahrhunderten
existierendes Wesen, dass durch sein Tun entscheidenden Einfluss auf
den Verlauf der Weltgeschichte hatte, erfährt Mike von Morris, und es
gehöre viel Erfahrung dazu, ihn zu „halten“. Mike händigt Elmer jedoch
nicht aus. Dessen Hunger nach Gehirnen wird indes immer größer und bald
gerät auch Mikes privates Umfeld in Gefahr, von Elmer ausgesaugt zu
werden.

„Brain Damage“ erzählt zunächst eine Geschichte um Kontrolle und
Kontrollverlust im New York der 1980er Jahre. Der Film ist dabei so
„typisch 80s“, das sich bald der Verdacht aufdrängt, er wäre als Kritik
an der Club-Kultur entstanden (die von Henenlotter als besonders
verkommen inszeniert wird) – Elmer sei mithin eine Metapher für den
Vergnügungsrausch der 80er-Jahre-Jugend, der als Tribut den gesunden
Menschenverstand fordert.

Doch mit einer solch platten, sozialkritischen Interpretation käme man
dem Wesen dieses Parasiten nicht näher. Elmer ist eine ambivalente
Erscheinung. Die Tatsache, dass er sprechen kann (und dies auch mit
sonorer Stimme und stets ironischem Unterton ständig tut), lässt ihn
als Abspaltung des Wunsches/Triebes erscheinen, der sich gegenüber dem Ich „Gehör verschafft“. Sein
„asozialer“ Hunger nach Leben und sein Versprechen des Lustgewinns
deuten ebenfalls in diese Richtung. Nur ist Elmer eben nicht der Wunsch
einer Person, der – wie die Parasiten in „Shivers“ – gegenständlich und
übertragbar wird; Elmer ist ein Wesen, das schon wenigstens seit dem
16. Jahrhundert existiert (soweit gehen Morris‘ Forschungen zurück) und
die Triebökonomie der Menschheit begleitet. Elmer ist sozusagen die
Begleiterscheinung der neuen Zeit, die sich nach dem Mittelalter
einstellt.

Die Parasiten-Metapher erfährt hier eine weitere Konnotation als Manifestation einer genotypischen
Entwicklung des Individuums, die Norbert Elias‘ „Prozess der
Zivilisation“ entgegengestellt wird: Der in der höfischen Gesellschaft
zunehmend unterdrückte Trieb kehrt nach und nach wieder zurück und
befällt genau jenes Moment der „Rationalisierung“, das deren Werkzeug
darstellt: Das Gehirn – den Sitz der Ratio. Angriffe aufs Gehirn hat es
im Horrorfilm von je her gegeben. Sie alle sind lesbar als die dunkle
Angst vor dem Verlust des Verstandes, der in „Brain Damage“ noch
dadurch verstärkt wird, dass die unterdrückten Triebregungen durch die
Droge (re)aktiviert werden. Der Film stellt diesen Prozess trotz der
zunehmenden Abhängigkeit des Wirtes vom Parasiten jedoch keineswegs nur
als fatal dar. Im Gegenteil ist der Effekt von Elmers Droge auf das
Gehirn Mikes mit „Leben“ assoziiert: In Detailaufnahmen sehen wir
mehrfach sich die blaue Flüssigkeit über die Hirnwindungen Mikes
ergießen, sich kleine elektrische Blitze ausbreiten, die dann zur
Ekstase führen. Als Mike am Ende von „Brain Damage“ eine Überdosis
bekommt, bricht gar sein ganzer Schädel auf und weißes Licht strahlt
aus ihm hervor.

Berücksichtigt man diese „positiven Effekte“ und die Bedeutung, die
Elmer für die Entwicklung der Gattung hatte, so scheint der Parasit
hier eher als Symbiont zu funktionieren. Er ist nicht – wie die
Parasiten in „Shivers“ – der Ausbruch des Triebes, sondern der immer
schon externalisierte Trieb, der auf den Menschen ebenso angewiesen
ist, wie dieser auf ihn auf dem Weg zur Erleuchtung.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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