Weißes Rauschen

White Noise (USA 2005, Georffy Sax)

Heute in der Originalfassung in der Pressevorführung gesehen. Dass mir
der Film gefallen würde, hatte ich ja schon als positives Vorurteil mit
ins Kino genommen. Er war dann aber noch besser als erwartet.

Und das lag vor allem daran, dass „White Noise“ sich so auf Bild und
Ton konzentriert. Dabei gerät die Erzählung selbst zur Nebensache (was
ihr auch ganz gut tut, denn zum Ende hin wird sie reichlich obskur).
Aber sämtliche Phänomene der „Informationszergliederung“, die durch den
Titel angedeutet werden, finden sich auf der Oberfläche des Films
wieder. Angefangen bei den Titles, die sich aus Bildrauschen
herausentwickeln über verschiedenste Anschlüsse zwischen einzelnen
Szenen, die wie Zapping realisiert sind, bis hin zu einem sich immer
mehr in „information overflow“ verwandelndem Bild, in dem der
Protagonist zuerst die Konturen und dann das Leben verliert.

Der „Signalabstand“ zwischen Rauschen und Soundtrack ist ebenfalls
denkbar gering. Hier scheint der Score von Cluade Foisy beständig vom
statischen Knistern, Farbrauschen und anderen Interferenzgeräuschen
kommentiert zu werden. Momenteweise erscheint es dann so, als nehme die
Musik „Rücksicht“ auf die eventuelle Bedeutsamkeit der wirren Töne und
lässt, obwohl er seine Musik immer noch „über“ diesen Teppich legt,
Informationen durchsickern.

Die Kamera reiht sich in dieses Spiel ein. Erstaunlich häufig wird mir
sehr kurzen Brennweiten gearbeitet, bei denen auch der Vordergrund
nicht immer ganz scharf ist, der Hintergrund aber vollends im
Farbenmeer verschwimmt.

Für telepolis bereite ich eine ausführliche Besprechung vor, in der ich
vor allem auf das Rauschen als diskursives Phänomen eingehen
möchte und seine Geschichte vom analogen Störgeräusch bis hin zu seiner
digitalen Renaissance als Kunstmotiv („Clicks & Cuts“) nachzeichne.
Eventuell entwickelt sich daraus eine Perspektive, die die Geister aus
„White Noise“ als die Geister des Analogen liest, das aus vergangenen
Zeiten hervorbricht, um unseren DVB-T-Empfang zu stören. 😀

Lesetipps:

  • Rauschen – ein Jenaer Medienmagazin, bei dem sich auch theoretische Texte über’s Rauschen finden
  • Bernhard Siegert: Gehörgänge ins Jenseits. Zur Geschichte der Einrichtung
    telephonischer Kommunikation in der Psychoanalyse
    . In: FRAGMENTE.
    Schriftenreihe zur Psychoanalyse, H. 35/36, Juni 1991, S. 51-69.
  • Bernhard Siegert: Die Geburt der Literatur aus dem Rauschen der Kanäle. Zum
    poetologischen Status der phatischen Funktion des Zeichens in der Literatur
    des 20. Jahrhunderts
    . In: Michael Franz, Wolfgang Schäffner,
    Bernhard Siegert, Hg., Electric Laokoon. Zeichen und Medien, von der
    Lochkarte zur Grammatologie. Berlin 2003.
  • Michel Foucault: Botschaft oder Rauschen? In: Ders. Botschaften der Macht. Reader Diskurs und Medien, hrgs. v. Jan Engelmann. Stuttgart: DVA 1999, S. 140-144.

»Aus der Hörmuschel kam ein Summen, wie K. es sonst beim Telefonieren
nie gehört hatte. Es war, wie wenn sich aus dem Summen zahlloser
kindlicher Stimmen – aber auch dieses Summen war keines, sondern war
Gesang fernster, allerfernster Stimmen -, wie wenn sich aus diesem
Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine einzige hohe, aber
starke Stimme bilde, die an das Ohr schlug, so, wie wenn sie fordere,
tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör. K. horchte, ohne zu
telefonieren, den linken Arm hatte er auf das Telefonpult gestützt und
horchte so.« (Franz Kafka: Das Schloss)

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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