High Tension

High Tension (Haute Tension, F 2003, Alejandre Aja)

Ich hatte den Film ja bereits auf dem FFF 2004 gesehen (Kritik dazu von mir in der aktuellen :IKONEN:)
– ein atemberaubend guter, luzider Film. Die DVD von McOne bringt das
Erlebnis ins Wohnzimmer … und dort wirkt es kein bisschen weniger!

„High Tension“ ist ein brachialer, grausamer Film. Blutrünstig und
spannend. Und das Beste: Er ist das alles nur, weil er sich selbst so
gut hinter den Erwartungen seiner Zuschauer zu verstecken weiß. Wenn
man die Pointe des Films kennt und ihn dann erst sieht, offenbaren sich
intellektuelle Meisterleistungen selbst hinter den kleinsten
Andeutungen und Szenen des Films. Aber die sind von langer Hand
(sprich: in der gesamten Filmgeschichte) vorbereitet:

1931 präsentiert Fritz Langs erster Tonfilm „M – Eine Stadt sucht einen
Mörder“ das Bekenntnis seines urbanen Monsters, seines Flaneur-Killers:

Immer, immer muss ich durch Straßen gehen und immer spür
ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber und verfolg mich
lautlos! Aber ich hör es doch! Ja, manchmal ist mir, als ob ich selbst
hinter mir herliefe! Ich will davon – vor mir selber davon laufen. Aber
ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen! Muss … muss den Weg gehen,
den es mich jagd.

In „High Tension“ hat der Mörder sich selbst eingeholt. Das frühe
Tonfilm-Experiment Langs (dass auch konstatiert: Serienmörderfilm lebt
vom Ton) wird zum Filmton-Experiment Ajas. Dräunender
Elektro-Industrial-Soundtrack und herzklopfenartiges Klackern bestimmen
die gesamte Tonspur und sind eindeutige Hinweise, wo sich der Zuschauer
befindet: Im Inneren eines Körpers. Er hört das Rauschen und Pulsieren
der Organe und Flüssigkeiten, hört den beständigen Herzschlag.

Doch in welchem Körper befindet er sich? Nun, die oben beschriebene
Verfolgungsjagt durch 73 Jahre Tonfilmgeschichte findet hier, in „High
Tension“, ihr Ende … wer sich die Pointe verraten lassen möchte,
klicke auf

Der Mörder und sein Opfer sind ein und dieselbe Person. Die durch die
Filmgeschichte beständige hierarchische Trennung zwischen Täter und
Opfer kehrt sich nicht nur um, sie hebt sich auf. Wir sind unseren
Sehgewohnheiten auf den Leim gegangen. Das katapultische Prinzip, das
den Zuschauerblick durch die Filmgeschichte sukzessive an das Objekt
des Blicks herangerückt hat, ist in „High Tension“ an sein Ende – im
Körper des Opfers, das hier gleichzeitig der Täter ist – angelangt.

Wie können Täter und Opfer ein und dieselbe Person sein? Hat uns die
Erzählung nicht getrennte Bilder und getrennte Geschichten von „beiden“
geliefert? Nein, die Erzählung hat uns zum Komplizen der mentalen
Innenwelt des Täters gemacht, dessen psychotische Trennung von Realität
und Halluzination nicht mehr funktioniert. Wir haben seinen Film
gesehen und uns damit unmerklich vom (ohnehin niemals!) neutralen
Zuschauerstandpunkt entfernt.

„High Tension“ schreibt damit den selbstreflexiven Diskurs aus Filmen wie „Blair Witch Project“ oder „Aro Tobulkhin“ weiter.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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