Where we’re going, we won’t need eyes to see.

Event Horizon (USA 1997, Regie: Paul W. S. Anderson) (VHS)

Zur Recherche für einen telepolis-Artikel habe ich mir gestern noch
einmal Andersons Horror-Science-Fiction angeschaut. Mit einem
ambivalenten Sichtungsergebnis.

Denn Event Horizon ist leider recht unspannend, wenn man ihn nicht im
Kino sieht. Das liegt im Wesentlichen daran, dass der Spannungsbogen
des Films nicht etwa auf der Dramaturgie beruht, die von den
unvorhersehbaren Aktionen und Reaktionen der Protagonisten (vor allem
Dr. Weirs, der in einigen Charakterisierungen als „Kelvin“ direkt aus
Solaris übernommen scheint) konterkariert wird, sondern vielmehr auf
der Somatik des Films. Anstelle von kleinen erzählerischen
Verdichtungen, verursacht also allein die „Furcht vor dem nächsten
Knall“ eine gewisse Angst beim Zuschauer. Und knallen tut es häufig.
Das wirkt dann allerdings bei der Sichtung einer Longplay-VHS-Aufnahme
nicht mehr so wie im Kino, in dem man ja „mit dem ganzen Körper“ ist –
und wo die Audiovision den Zuschauer also ganz „einhüllt“.

Dennoch: Das, was Anderson als horribles Moment in Event Horizon
inszeniert, darf getrost als der „Spuk des technologischen Zeitalters“
angesehen werden. Angefangen hat alles mit H. G. Wells „The Time
Machine“, in dem die Technik den Menschen erstmals nicht nur in Orte,
sondern Zeiten jenseits seiner Vorstellungskraft transportiert hat.
Welles hat sich noch nicht für Einstein interesseiert – Anderson
hingegen schon. Und so macht Dr. Weir der Crew, die
relativitätstheoretisch in etwa den Bildungsstand des „normalen
Zuschauers“ besitzen dürfte, klar, warum Zeit und Raum eigentlich
dasselbe sind, warum man also durch extreme Krümmung des Raums (das
Raumschiff „Event Horizon“ – damit ist die Namensanspielung zu
verstehen  – erzeugt eine Gravitationssingularität) die Zeitdauer
einer Reise auf „Null“ reduzieren kann. Und dass das alles eigentlich
gar keine Zauberei ist.

Ist es aber doch, denn die „neue Physik“ im Verbund mit der „neuen
Technik“ (für die das Raumschiff steht) ist das Andere. Die Verbindung
von Theorie und Technologie hat eine Pforte geöffnet, ein schwarzes
Loch, das die „Event Horizon“ nicht etwa zu Proxima Centrauri gebracht
hat (so war es geplant), sondern sogar weit über die Grenzen des
Universums (d. i. die Grenzen des Denkbaren) hinaus. Zurückgekehrt ist
eine Maschine, die beseelt ist, die lebt (darauf wird des Öfteren im
Film hingewiesen). Im Film „Event Horizon“ passiert genau das mit der
Technik, wovor Science Fiction schon immer warnt: Sie wird belegt und
wendet sich gegen den Menschen. Das Andere des Menschen, der die
Technik benutzt, kommt in die Welt durch den Menschen.

Anderson operiert wiedereinmal an der Grenze des Denkbaren. Dadurch,
dass er sich die mittlerweile fast einhundert Jahre alte
Relativitätstheorie als logischen Unterbau seines Plots zunutze macht,
kann er ein ganzes Arsenal an „wilden Theorien“ in seinen Film einbauen
– aus der Perspektive des Zuschauers und der Crew eine bedrohlicher als
die andere. Und da die Kopplung des ganz Neuen mit dem ganz Alten bei
Andersons Horrormärchen schon immer bestens funktioniert hat ( Resident
Evil: Gentechnik/Zombiekult, AvP: Azteken/Aliens), funktioniert sie
auch hier: Der Teufel und die Raumfahrttechnologie … Je weiter wir
hinaus fliegen, desto tiefer steigen wir hinab. Die Raum/Zeit-Fahrer
treffen daher konsequenterweise nicht etwa auf neue extraterrestrische
Phänomene, sondern auf ihre toten Verwandten.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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