ZardOz

29.07.03: ZardOz (VHS)

Die
vielleicht herausragendste Eigenschaft des Films ist seine Fähigkeit
zur Visualisierung von Gedankenexperimenten. Dies gilt insbesondere für
die „Was wäre wenn“-Konzepte der möglichen Zukunft im Science Fiction.
Der Film zeichnet eine fiktive Achse in eine Zukunft, deren Parameter
er bestimmt und deren eigene Zukunft (als die Zukunft der Zukunft) er
damit entwirft. Doch nicht selten sind es dabei die Vergangenheiten,
die auf diese Weise als Reinkarnation, als deja vu zurück kehren.

John
Boormans Zardoz beschreibt eine Zukunft des 23. Jahrhunderts in der die
Menschheit in zwei Klassen separiert ist. Auf der einen Seite leben die
Menschen in vollständiger Bedürfnisbefriedigung ein mit technischen
Mittel in die Ewigkeit verlängerbares Leben, können auf jeden Luxus und
jede Information zugreifen – an einem Ort names „Vortex“, der von der
Außenwelt durch eine unsichtbare Barriere abgeschirmt ist. Geschützt
und Bestimmt wird ihr Leben vom „Tabernakel“ – einem vor langer Zeit
installierten Computer-Programm, das die Errungenschaften dieser
Gesellschaft regelt und sichert, an dessen Funktionsweise (aus
Schutzgründen) aber alle Erinnerungen ausgelöscht wurden. Auf der
anderen Seite gibt es die Außenwelt, in der die „Brutalen“ leben. Sie
sind eine von Hunger, Krieg und Krankheiten gezeichnete, gesichtslose
Masse, der scheinbaren Willkür der Vortex-Bewohner ausgesetzt.
Beständig werden sie verfolgt von den Kämpfern Zardoz‘ – einer
künstlich geschaffenen Gottheit, die über die Außenwelt qua Furcht und
Gewalt herrscht, die die Außenweltler grundlos tötet und versklavt.
Zardoz ist aber nichts weiter als ein fliegender Steinkopf, der von
einem der Vortex-Bewohner gesteuert wird, allein zum Zweck, die
Außenwelt zu kontrollieren und zu beherrschen.

Z ist einer der
Kämpfer Zardoz‘, der sich eines Tages unbemerkt im Steinkopf versteckt
und auf diese Wese nach Vortex gelangt. Dort wird er von der völlig
vergeistigten Gesellschaft als Bedrohung und gleichermaßen Faszinosum
wahrgenommen. Die Brutalität, die Z verstömt (die Vortex-Bewohner
nennen ihn deshalb „Mostrum“ oder „Das Brutale“), lässt sie zum ersten
Mal seit langer Zeit spüren, was es bedeutet sterben zu können und zu
müssen. Denn ihre Gesellschaft ist zum Leben verdammt. Jeder Versuch
den Bann der permanenten Existenz zu durchbrechen, scheitert. Nach
jedem Tod folgt zwangsläufig die Wiedergeburt. Und weil die
Unsterblichkeit bedeutet, in einem bestimmten (jugendlichen) Alter zu
stagnieren, gilt als höchste Strafe für ein Vergehen das künstliche
Altern. Es gibt im Vortex eine ganze Siedlung angefüllt mit alten
Renegaten, von Senilität gezeichnet zu ewigem Alter und Siechtum
verdammt. Auf der anderen Seite verfallen mehr und mehr Bewohner der
Vortex in eine Agonie und werden ebenfalls aus der Gemeinschaft
verdrängt – fristen ein Leben in völliger Apathie, angewiesen auf
Almosen. Z dringt buchstäblich in dieses System ein und durchsetzt es
mit Zweifel, Aufruhr und Tod. Er ist derjenige, der als ehemaliger
Menschenjäger Zardoz‘ nun den erlösenden Tod für die Bewohner von
Vortex verheißt. Und in dieser Eigenschaft wird er von ihnen
vollständig unterschätzt. Nur die wenigsten erkennen in Z denjenigen,
der das System besiegen kann und wird, eben weil er augenscheinlich
kein Teil davon ist.

Boormans Zardoz ist schwer nachzuerzählen,
weil er so „realistisch“ ist. Damit ist keineswegs die Plausibilität
seiner futuristischen Entwürfe gemeint, sondern im Gegenteil gerade
deren Lückenhaftigkeit. Das System des 23. Jahrhunderts wir nur
ansatzweise erklärt. Die Funktion der wissenschaftlichen
Errungenschaften – sonst ein dankbares Sujet der Science Fiction –
bleibt unerklärt (eben weil es auch für die Bewohner von Vortex nicht
zu erklären ist). Einzig das soziale System zwischen Innen und Außen,
Oben und Unten, bewaffnet und wehrlos wird in all seinen Konsequenzen
dargelegt. Ausgiebig werden Menschenjagden durch die Schergen Zardoz‘
vorgeführt und mit geradezu perverser Detailfreudigkeit experimentiert
die Wissenschaftsgilde von Vortex mit dem Eindringling Z, der ihnen
vollständig unterlegen zu sein scheint.

Dies lässt den Eindruck
entstehen, der Film Zardoz sei in erster Linie eine politische/soziale
Utopie. Er könnte auf die künftige Kluft zwischen den wissenden und
unwissenden, den besitzenden und armen Gesellschaften hinweisen. Er
wäre somit eine in die Zukunft projizierte reine Klassengesellschaft
und würfe einen marxistischen Blick auf das Geschehen … „Was wäre
wenn?“ Doch damit käme man dem Stoff Boormans nicht sehr nahe. Denn das
Gedankenexperiment ist nicht nur sozial-politischer, sondern vor allem
auch philosophischer Natur. Alle Gewaltätigkeit und Zynismus werfen
ständig die Frage nach dem Sinn des Sterbens auf. Nun ist es ein
Allgemeinplatz, dass das ewige Leben ewiges Leid wäre und Zardoz folgt
dieser Annahme und formuliert sie im Gedankenexperiment aus. Die
Langeweile und die Agonie liegen dicht beieinander, wenn die Ewigkeit
den Takt des Denkens und Handelns diktiert. Das Impulsive, das
„Brutale“ sind Eigenschaften des Bewusstseins von der eigenen
Vergänglichkeit und der ständig unbewussten Angst vorm Tod. Die
Leidenschaft und die Angst – das zeigt selbst die Vortex-Gesellschaft
kurz vor ihrem Ende – sind Merkmale der Trennung von „Bewusstsein“ und
„Unterbewustsein“ (wie es im Film heißt). Das „totale Bewusstsein“ (der
Vortex-Gesellschaft), das zudem ein vernetztes ist, hat allenfalls
„Interesse“.

Der Film wird auf eine Art erzählt, die sich am
besten als Gratwanderung zwischen Kitsch und Genailität bezeichnen
lässt. Oft setzt er an, Elemente der Gesellschaften in solcher
Überzeichnung darzustellen, dass man beinahe lächeln möchte. Doch dann
zeigt sich – auf Grund der oben erwähnten Lückenhaftigkeit – das es
einfach nur das fehlende Verständnis der Gesamtzusammenhänge ist, dass
so etwas wie „kitischige Hilflosigkeit“ im Betrachter entstehen lässt.
Etliche klischeehafte Situationen der Erzählung bricht Boorman auf
diese Weise. Bildelemente – vom fliegenden Steinschädel über die
überdrapierten Kostüme der Vortex-Bewohner bis hin zur Bebilderung der
Wissenschaft – werden immer wieder mit ihrem Gegenteil konfrontiert und
„entzaubert“ und über alledem steht die stets unterschätzte und in
ihrem Wollen undurchdringliche Erscheinung Zs, der mit amüsiertem und
analysierendem Blick die Welt um sich herum zerfallen sieht.

Zardoz
ist daher viel mehr als ein utopischer, mehr als ein Science Fiction:
Er ist ein filmisches Experiment auf mehreren Ebenen. Er stellt Fragen
über das „Was wäre wenn“ der gesellschaftlichen Zukunft genauso wie
über das philosophische Klischee der „Agonie ohne den Tod“. Er
kontrastiert Szenen von unglaublicher Gewalt (Menschenjagden und
Vergewaltigungen) mit dem vielfach variierten Allegretto aus Betthoven
7. Symphonie. Sicherlich: In seiner Hauptaussage, dass das Rohe
schließlich (immer) über das Gekochte siegen wird, ist er in gewisser
Weise „kulturrevolutionäres“ Klischee. Aber verhindert die Offenheit
seiner Erzählung und die Ambivalenz seiner Hauptfigur, dass sich dieses
Thema zu sehr in den Vordergrund drängt.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmkritik, Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.