Das Mädchen, das vom Himmel fiel

Das Schloss im Himmel (Tenkû no shiro Rapyuta, Japan 1986, Hayao Miyazaki) (PV Köln Ufa)

Miyazaki hat mich nun endgültig für sich eingenommen. "Das Schloss im Himmel" ist mit zwanzigjähriger Verspätung nach Deutschland ins Kino gekommen und zeigt, um wie vieles reicher schon damals der Zeichenrick des Ghibli-Studios im Vergleich zu dem europäischer oder amerikanischer Provenienz war. Eine Mixtur aus Fantasy (inspiriert von Jules Verne und anderen Techno-Fiktionen des 19. Jahrhunderts) und Coming-of-Age-Geschichte erzählt "Das Schloss im Himmel", die grafisch im Vergleich zu jüngeren Produktionen des Hauses Ghibli noch etwas grobschlächtig ist, diesen in Komplexität und Fantasie jedoch in nichts nachsteht.

Die kleine Waisin Sheeta findet heraus, dass sie in Wirklichkeit die Prinzessin eines sagenumwobenen Schlosses ist, das seit Jahrhunderten verborgen in den Wolken schwebt. Sie bleibt mit diesem Wissen nicht lang allein: Zuerst wird sie verfolgt von einer Bande Piraten, die es einen Flugstein, den das Mädchen als Erbstück bei sich trägt, abgesehen haben, als sie jedoch von dem Schloss im Himmel erfahren, sind sie hinter dessen Schätzen her. Darüber hinaus hat auch das Militär reges Interesse an Sheeta, stellt das Schloss doch eine unbekannte, fliegende Bedrohung dar. Einzig der gleichaltrige Pazu hält zu Sheeta. Als diese von den Soldaten entführt wird, schließt er sich der Piratentruppe an und schafft es, sie auf seine Seite zu bringen und Sheeta zu befreien. Es zeigt sich, dass das Militär, vor allem aber der Geheimagent Muska, noch ganz andere Interesse bezüglich des Schlosses verfolgt.

Miyazaki verschränkt hier viel offensichtlicher als in seinen späteren Filmen die Adoleszenz-Geschichte des kleinen Mädchens mit dem Abenteuer, das es erlebt. Ihre Reise, die zunächst ein idealtypischer Freud’scher "Familienroman" zu sein scheint, wird mehr und mehr zu einer Initiation, in der sich das Mädchen den sexuellen Interessen der Erwachsenenwelt konfrontiert sieht und dabei die eigenen Gefühle und Sehnsüchte kennelernt.

Neben diesem deutlichen psychologischen Motivkomplex ist "Das Schloss im Himmel" eine moralische Lektion über die Ambivalenz des Bösen und Guten, die die Fronten jederzweit zu wechseln imstande sind. Keine strikte Dichotomisierung a la Disney, sondern moralische Komplexität zeichnen die Charaktere des Films aus. Das ist vielleicht die größte Stärke von Miyazakis Kinderfilmen: Dass sie zum Modelllernen von Toleranz und Vorurteilsfreiheit geeignet sind.

Ich schreibe eine Kritik zu "Das Schloss im Himmel" für "epd Film".

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.