Ist der Empatikalismus ein Chauvinismus?

Ein süßer Fratz (Funny Face, USA 1957, Stanley Donen) (DVD)

Was für ein wunderbarer Film: Perfekt choreografierte Tänze, sagenhafte Musik (von George Gershwin), hinreißende Schauspieler (auch wenn Fred Astaire 30 Jahre zu alt für Audrey Hepburn ist) und eine Melanche aus Ausstattung, Konstümen und Setting-Wahl, die einem die goldene Zeit des Klassischen Kinos spürbar vor Augen führt.

Wenn da nun nicht dieser frauen- und intellektuellenfeindliche Diskurs wäre, der an allen Ecken und Enden aus dem Film herausquillt. Mitte der 1950er Jahre richten die Intellektuellen der Welt ihren Blick auf Paris, wo der Existenzialismus in persona Jean-Paul Sartres seinen Höhepunkt erlebt. Auch die New Yorker Intellektuelle Jo (Hepburn) will dort hin, um ihren Professor und Guru Emile Flostre einmal live zu erleben. Zuvor wird sie jedoch von einer oberflächlichen Modemagazin-Herausgeberin aus ihrem Buchladen gezerrt, in eine Schaufensterpuppe verwandelt und Dick (Astaire, dem hier unwiderstehlichen Modefotografen) an die Seite gestellt. Derart gezähmt, darf sie nun nach Paris reisen, um dort eine für sie entworfene Modekollektion vorzustellen. Dass sich Jo allerdings doch und immer noch zu den Intellektuellen hingezogen fühlt, deswegen Termine verpasst und Dick Hörner aufsetzt, als sie einer privaten Einladung Flostres, dem Professor für „Emaptikalismus“, folgt, versetzt der geradlinigen Handlung den notwendigen Schwung.

fratz.jpg

Es ist bitter zu sehen, wie Hollywood die intellektuelle Szene jener Zeit wahrgenommen zu haben scheint. Flostre werden natürlich ausschließlich niedere Motive unterstellt: Auch er will Jo nur unter den Rock, versucht den Zugang aber von oben (Kopf) anstatt wie Dick von unten (Tanzschuhe). Bitter enttäuscht von der Scheinwelt des Empatikalismus entdeckt Jo ihre weiblichen Tugenden (heiraten), entschuldigt sich für ihr undamenhaftes Benehmen (denken) und zieht mit Dick vor die weichgezeichnete Kirche.

„Funny Face“ (bereits der Titel, mehr noch der deutsche Titel deuten diese Missgunst gegenüber der Möglichkeit einer intellektuellen Frau an) ist so gesehen ein Schlag ins Gesicht jeder Emanzipationsbewegung. Weiblichkeit jenseits der heteronormativen Vorstellungskraft der Männer, ist gleichbedeutend mit Lesbentum, Wahnsinn und Frigidität. Davon gibt es im Film genügend Beispiele. Erschütternd uns erhellend gleichzeitig, so ein Blick 50 Jahre in die Vergangenheit.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.