»Remembering Games and Daisy Chains and Laughs«

Ein neues Buch über die dunkle Seite der C64-Spiele

Dass bei der Menge von mehr als 5000 Spielen (laut Lemon64, andere Projekte zählen bis zu 30.000 Titel), die es für den Commodore 64 bis heute gibt, nicht nur qualitative ‚Volltreffer‘ gibt, erscheint klar. Ebenso klar ist es, dass die Entstehungsumstände, die zu einem Spiel geführt haben, merklichen Einfluss auf dessen Qualität nehmen können. Nichts desto trotz bleibt es aber immer auch eine höchst subjektive Entscheidung, ob man ein Spiel „gut“ oder „schlecht“ findet. Das hängt von den Vergleichsmöglichkeiten, vom Geschmack, der Tagesform beim Spielen oder besonderen Interessen am Thema ab. Was Michael Greenhut bereits 2023 mit seiner „Selective History of Bad Video Games“ für alle Plattformen verucht hat, hat der Buchholzer Autor Jörn Cölsch nun auf Deutsch für den C64 nachvollzogen, für welchen er seine ganz persönliche Bad-List zusammengestellt und im Buch „Dark Side of C64 Games“ im Verlag tredition veröffentlicht hat.

Trotz des englischen Titels ist das Buch auf Deutsch und in drei Versionen erschienen: als Paperback mit schwarzweißen Abbildungen, als teilfarbiges als Soft- oder Hardcover und als vollfarbiges gebundenes Buch. Der Autor versammelt darin assoziativ geordnet seine Kritiken zu 74 Spielen, die immer jeweils vier Seiten einnehmen: Auf den ersten beiden Seiten beschreibt er das jeweilige Spiel, die Gründe, warum er es schlecht findet, zitiert (wo vorhanden) die Wertungen der zeitgenössischen Spielepresse und gibt unter der Überschrift „Goodies“ Trivia zu den Spielen, ihrer Rezeption oder Querverweise zu anderen Titeln. Diesem Hauptteil des Buches schaltet er eine ausführliche Motivation vor: Als „C64-Fanboy“, der den Brotkasten Anfang der 1990er bekommen hatte, dann aber während seines Studiums vernachlässigte und ihn erst im Zuge der Retrocomputing-Bewegung (auf dem Dachboden) wieder entdeckte, benennt er zunächst die Rolle, die der C64 für ihn und seine Generation gahabt hat, erläutert die Gründe für die Spielauswahl und warum er meint, dass es ein solches Buch (über schlechte Spiele) überhaupt geben müsse und rät – und das ist ausdrücklich zu loben! – zu vorsichtiger Lektüre: Erstens ist es sein Geschmack, der hier verhandelt wird, und zweitens anerkennt er dennoch die Leistung, die hinter der Entwicklung eines jeden Spiels steckt. Damit grenzt er sich vom aggressiven ‚bashing‘, das heutzutage sehr oft zu finden ist, wenn sich jemand mit einer Eigenkreation vorwagt, deutlich ab.

Die Kapitel zu den Spielen erscheinen wild durcheinander gewürfelt – mit System: Eine alphabetische oder chronologische Reihenfolge hätten aus dem Buch zu sehr ein ‚Nachschlagewerk‘ gemacht, das es aufgrund seiner notwendigen Lückenhaftigkeit nicht sein kann; eine Rubrizierung nach Genres hätte zu starke Akzente gesetzt (etwa darauf, dass die meisten erwähnten Titel Filmadaptionen und Sportspiele darstellen). So hingegen wirkt die Unordnung überraschend. Leider wird die Lektüre aber dennoch aufgrund der allzu starren Einteilung der Kapitel bald ermüdend. Nicht nur möchte man nicht immer alle Urteile nachvollziehen; auch erscheinen die jeweils zwei Seiten Screenshots pro Spiel keineswegs grundsätzlich als „Alptraumhafte Bilder“, als die sie jedes mal(!) überschrieben sind. So sind die etwa Grafiken von Spielen wie „Leonardo“ oder „Altered Beast“ nicht nur für ihre Entstehungszeit durchaus ansprechend.

Hervorgehoben werden sollte allerdings der erfrischende, immer leicht sarkastische Stil, mit dem Cölsch über die Spiele schreibt. Was sich in der Filmpublizistik (dank Autoren wie Christian Keßler) seit ein paar Jahrzehnten bereits durchgesetzt hat, holt Cölsch hier nun in die Spielekritik: Den scheinbar objektiv schlimmsten ‚Gurken‘ wird durch ihre witzige Besprechung schon ein wenig „Kultstatus“ verliehen. So heißt es etwa motivgerecht zum marinen Kriegsspiel „U.S.S. John Young“: „Die Konvertierung auf den C64 wurde gefühlt durch ein Torpedorohr gepresst, nur um an dessen Ende ausgemergelt herauszukommen.“ Oder zum Sound von „Crazy Cars“: „Beim Sound denk man, man hört einem Staubsauger zu, wie er eine Stofftierkatze frisst.“ Wer wollte so etwas nicht einmal selbst hören? Überhaupt macht man sich so einige Notizen zu manchen unbekannteren Titeln, um sie nach der Lektüre einmal selbst auszuprobieren.

Dass man im Buch als die „Dark Sides“ der Spiele keine abgründigen Geschichten, die sich hinter der Publisher-Kulissen zugetragen haben mögen, keine schmutzigen kleinen Insider-Gemeinmisse der Entwickler oder Wirtschaftsmachtkämpfe von Software-Konzernen zu lesen bekommt, ist angesichts des Buch-Untertitels „Unwürdige Spiele des Kultcomputers“ (leider!) von vornherein klar. Demgegenüber wirkt der 75-seitige Appendix des Buches, aber dennoch etwas deplatziert: Dort werden moderne Hardware/Erweiterungen, Emulatoren, Datenbanken, Homebrew-Projekte, Shops und Papier- und Internet-Quellen vorgestellt. Hier hätte man sich eine deutlich darkside-igere Darstellung gewünscht, denn es war und ist in der Tat auch im Nachleben des C64 nicht alles Gold, was erschienen ist. Fragwürdige Hardware-Emulatoren wie der C64 Mini, tippfehlerübersäte Bücher wie „Die Commodore Story“ und natürlich wiederum die Mehrheit der seit 1996 erschienen Spiele hätten hier entsprechend erwähnt werden können. Anstelle dessen: bloß Auflistung und machmal nicht mal das (etwa bei allgemeinen Darstellungen über Homebrew, Tools und Shops. So etwas erwartet man eher in einem Buch, dass ins „Retrocomputing mit dem C64“ einführt.

Nun, Pink Floyds Album „Dark Side of the Moon“ hat ja auch keineswegs versucht die eine Seite des Mondes „schlecht zu machen“, sondern ihre ungesehene Skurrilität zu besingen. Das gelingt dem Buch im großen Spielekapitel allerdings auch sehr gut: Viele der Titel wird man sich nach der Lektüre noch einmal (oder ein zweites mal) genauer ansehen. Über etliche lernt man etwas dazu. Ich war etwa überrascht zu erfahren, dass man beim Laden der Tape-Version von „Star Wars Droids“ einen „Space Invaders“-Clone zum Zeitvertreib spielen kann.

Jörn Cölsch
Dark Side of C64 Games. Unwürdige Spiele des Kultcomputers
Ahrensburg: tredion 2025

  1. 396 Seiten (farbig), Hardcover: 65 Euro (ISBN: 978-3-384-17826-8)
  2. 396 Seiten (farbig & sw), Hardcover: 49 Euro (ISBN: 978-3-384-07008-1); Softcover: 39 Euro (ISBN: 978-3-384-07007-4)
  3. 396 Seiten (sw), Softcover: 25 Euro (ISBN: 978-3-384-17826-8)

Weitere Informationen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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