Der Mann mit der Kamera (UdSSR 1929, Dziga Vertov) (DVD)
Das „Filmfaktum“ beschreibt Vertov als jeden „ohne Inszenierung aufgenommene Lebensaugenblick, jede einzelne Einstellung, die im Leben so aufgenommen ist, wie sie ist, mit versteckter Kamera, mit unverhoffter Aufnahme“.* In seinem Film „Der Mann mit der Kamera“ löst er diese Forderung zwar nicht direkt ein, transzendiert sie jedoch, indem er einen Film über das Entstehen eines solchen Dokumentarfilms dreht. Vielleicht ahnt er ja bereits, dass ein solches Verfahren seine Forderung nach „Faktizität“ niemals wird erfüllen können …
Die tolle DVD von absolutMEDIEN kann man ja – aufgrund der verschiedenen Soundtracks – bekanntlich drei mal mit Gewinn schauen. Ich habe mir zunächst die Version, die mit Musik von Michael Nyman vertont ist, angesehen und bin zwar von der Musik begeistert, nicht jedoch von der Abstimmung derselben mit den Bildern. Da sind doch etliche Ansynchronien, die manchmal so gravierend sind, dass Sequenz-Ende und das Ende eines Sountrack-Stücks mehrere Sekunden auseinanderfallen. (Das wäre wohl nicht so auffällig, wenn der Unterschied noch größer wäre, so zwingen einen aber die gestaltpsychologischen Gesetze der Nähe zur Wahrnehmung des Ungleichzeitigen.) Überdies scheint mir die typische Nyman’sche Hektik nicht zu jedem Bildinhalt zu passen. Manchmal, wie ganz zu Beginn, findet er jedoch genau die richtigen Töne.
Eine kleine Sequenz, in der innerhalb einer Montage-Kaskade die Geburt eines Kindes vorgeführt wird, ist für meine anstehende Forschungsarbeit zur Veröffentlichung des Privaten von besonderem Interesse – zumal es sich bei Vertovs Film ja keineswegs um ein Werk für Privatvorführungen handelt.
* Dziga Vertov: Verschiednes über dasselbe (1926). In: Wolfgang Beilenhoff: Dziga Vertov. Schriften zum Film. München: Hanser 1973, S. 30-31, hier: S. 30.



