Raid over Moscow

Fail-Safe (USA 1964, Sidney Lumet) (DVD)

Das wahrscheinliche Szenario für den Beginn eines Atomkrieges basiert auf der Annahme, dass irgendwo ein Fehler auftritt, der die Maschinerie in Gang setzt, die niemand mehr stoppen kann. Filme wie „War Games“ haben den Finger spürbar in die Wunde der elektronischen Raketenverwaltung gelegt. Der frühe Vorgänger von „War Games“ ist Sidney Lumets überaus spannender Atomkriegs-Thriller „Fail-Safe“.

Der Film spielt an nicht mehr als vier Handlungsorten: Einem Konferenzzimmer im Pentagon, wo gerade Militärs und zivile Wissenschaftler beraten, wie ein Atomkrieg mit begrenzter Reichweite zu führen ist; im War-Room irgendwo in einem Atombunker, wo einer Delegation vorgeführt werden soll, wie das Fail-Safe-Prinzip funktioniert, bei dem Flugzeug-Verbände ab einem gewissen Punkt autarke Angriffe auf Ziele des Feindes fliegen, ohne sich durch (eventuell gefälschte) Nachrichten davon abhalten zu lassen; in einem dieser Flugzeuge, das unglücklicherweise einen falschen Alarm nicht als solchen erkennt, über den Point-of-no-return hinausfliegt und sein Angriffsziel Moskau ansteuert; und in einem Beratungszimmer des White House, in dem der Präsident der USA mit dem Premierminister der UdSSR in telefonischen Kontakt tritt, um die Katastrophe vielleicht noch verhindern zu können.

Es gelingt nicht. Das Fail-Safe-System ist im Wortsinne „bombensicher“. Vom Angreiferverband können nicht alle Flugzeuge abgeschossen werden. Es gibt Opfer auf beiden Seiten und ein Flugzeug erreicht Moskau. Dem Präsidenten der USA bleibt nur, um einen weltweiten Atomkrieg zu verhindern, den Russen ein Opfer anzubieten: Er lässt New York von einem Bomber angreifen – in der Stadt hält sich gerade die Präsidentengattin und die Ehefrau des Bomberpiloten auf.

Lumets Film ist nichts anderes als erschütternd. Er führt vor, nach welchem Kalkül die Kriegsmaschinerie funktioniert. Während im Hinterzimmer darüber verhandelt wird, ob 40 Millionen Opfer im Gegensatz zu 60 Millionen Opfern einen Krieg lohnenswerter erscheinen lassen, führt uns Lumet vor, was es bedeutet, auch nur ein einziges Leben für ein derartig absurdes Ziel beenden zu müssen. Im War Room sieht der Krieg wie ein Spiel aus und die Realität der Vernichtung wird uns auch nicht vor Augen geführt – das macht sie aber umso effektiver: Wenn aus dem Telefon des amerikanischen Botschafters in Moskau nur noch ein pfeifen dringt, das die Vernichtung der Stadt belegt und wir kurz darauf ein Stakkato an Bildern aus New York vorgeführt bekommen, in denen die Bewegung vollständig einfriert, dann ist das Maß des Erträglichen eigentlich längst voll.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.