Die Augen der L. M.

Die Augen der Laura Mars (The Eyes of Laura Mars, USA 1978, Irvin Kershner) (DVD)

Kershner (RoboCop 2) adaptiert ein John-Carpenter-Drehbuch – und nicht einmal eines der schlechtesten. Animiert von der Lektüre eines Aufsatzes aus diesem Band, habe ich mir den Film von Amazon ausgeliehen. Als Fazit der Sichtung könnte stehen: Hochinteressantes Konzept verpackt in einem stinklangweiligen Film. Zudem hat die Besetzung (oder deren Image) sehr unter den 30 Jahren gelitten: Faye Dunaway kaufe ich ihre Rolle wirklich nicht ab und Tommy Lee Jones als Psychotiker? … Ups! 😀 Aber zum Thema:

Was bewirkt eigentlich eine Täter-Subjektive? Diese Frage stellt sich der Film und subtil auch seinen Zuschauern während der gesamten Laufzeit. Die Fotokünstlerin Laura Mars „sieht“ vor ihrem geistigen Augen Verbrechen und reinszeniert diese, um sie dann abzufotografieren. Die Ähnlichkeit von Tatort und Bildraum ruft bald die Polizei auf den Plan. Die Fotografin gesteht, von Visionen heimgesucht zu werden. Genau genommen sieht sie mit den Augen eines Serienmörders (ganz anders jedoch als Joan Crawford). Vor ihrem geistigen Auge entstehen unvermittelt Tatortbilder bzw. -filme, die sie künstlerisch umsetzt. Dies ruft vor allem Gewaltkritiker auf den Plan, die ihre Settings und Sujets (die zeitweilig sehr an Hemut Newtons Arbeiten erinnern) als geschmacklos, sexistisch und gewaltverherrlichend schelten. Laura Mars kontert jedoch, dass sie lediglich die aggressive Atmosphäre, die in der Gesellschaft herrsche, in ihren Fotos abbilde. Eine zirkuläre Begründung.

Sie spricht jedoch nicht von der symbolische oder der medialen Gewalt, sondern von der realen eines Serienmörders. Sie interpretiert in ihren Bilder die von diesem empfangenen Tätersubjektiven. In einer Schlüsselszene versucht sie, dem ermittelnden Polizisten zu erklären, wie sie sieht. Sie benutzt dazu sinnfälligerweise eine Videokamera und einen an dieser angeschlossenen Monitor. Sie stellt sich mit dem Rücken zum Objektiv auf und weist den Polizisten mit einem Finger auf das Monitorbild hin: So sehe sie die Visionen – auf dem Monitor ist sie in Rückansicht abgebildet. Der Polizist ist jedoch der Täter, was Laura nicht weiß und sie führt ihm in diesem Moment quasi eine mediale Rückkopplung seines Tuns vor. Im Finale wird dem Zuschauer genau diese „Visions“-Vision geliefert: Der Täter verfolgt Laura und sie sieht sich selbst in der Rückansicht aus der Tätersubjektiven.

Ganz anders als in den Horrorfilmen und Serienmörderfilmen bis dahin, wird die Tätersubjektive nicht mehr zur Vermittlung von Suspense oder als Sinnbild für die verzerrte Sicht des Monsters eingesetzt, sondern an den Blick des Filmzuschauers gekoppelt. Dieser ist der Verfolger, der Blicker – ganz so, wie Laura Mulvey es in ihrem Essay konstatiert. „Die Augen der Laura Mars“ ist damit – lange vor Bigelows „Strange Days“ oder Jeunets/Caros „Die Stadt der verlorenen Kinder“ – ein Film (vielleicht der erste) in dem sich das Opfer als Opfer über einen medialen Mechanismus erkennen und erleben muss und der Zuschauer diesem Erleben hilflos ausgesetzt ist. Schade, dass der Film so langweilig ist …

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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