Nächte des Grauens im Odeon

Geschuldet einer Erkältung habe ich gestern einmal die Muße gefunden, mich einer alten Bonner Tradition anzuschließen und mir ein komplettes John-Sinclair-Hörspiel aufmerksam angehört: "Kino des Scheckens". So naiv und harmlos die Erzählung rund um ein Kino, aus dem heraus Dämonen während der Vorstellung Menschen entführen, um sie für eine Zwergenarmee zu rekrutieren auch war, gab es doch einige Details, die ahnen ließen, wie sehr das Kino zum Bestandteil populärer Mythen geworden ist und worin die Beliebtheit solcher Serien wie "John Sinclair" begründet sein mag.

Es beginnt bereits bei der Rahmenhandlung: Die Besitzer eines alten, kleinen, beinahe bankrotten Kinos bekommen das Angebot, eines von Europas größten Filmhäusern zu leiten. Bedingung ist, dass sie einen Film (den Horrorfilm "Nächte des Grauens") auf unbestimmte Zeit im größten Saal zeigen und verschiedene Technologien zum Einsatz bringen, die die Zuschauer an das Produkt binden. Wenn hier nicht George Lucas‘ Knebel-Politik, die bei den Star-Wars-Filmen zum Einsatz kam, Pate gestanden hat …

Der Horror der Erzählung beruht schließlich auf der Auflösung der Grenze von Filmraum und Zuschauerraum, sowie der vollständigen Affizierung des Publikums. Zum Einsatz kommt während des Films ein gasförmiges Narkosemittel, das die Zuschauer an das Leinwandgeschehen "fesselt". Von dort aus erscheint irgendwann Nebel, der in den Kinosaal wabert und schließlich ein "grauer Riese", der vor allem Frauen in die "Filmwelt" entführt. 

Diese Welt ist besiedelt von unheimlichen Kindern, drachengroßen Vögeln, Zwergen, Riesen – eben dem Repertoir an Figuren des fantastischen Films. Der Rückgriff auf solche tradierten Muster und Figuren ermöglichet es dem Zuhörer problemlos selbst einen Film zu imaginieren. Überdies wird das Geschehen durch eine klassische Helden-Opfer-Konstellation forciert, bei der der frisch verliebte Suko seine in die Filmwelt entführte Freundin Shao retten will und gleichzeitig ein von den Dämonen entführtes Kind (die Tochter der Kinobesitzer) zurück zu den Eltern gebracht werden soll.

Der Medien- und Mythen-Mix funktioniert. Das Hörspiel ist zwar – wie gesagt – keineswegs gruselig, doch die Verwendung bekannter Muster und Stereotype macht das Geschehen unglaublich plastisch. Die sich dahinter verbergenden subtilen Ängste des medialen Kontrollverlustes – filmästhetischer wie -ökonomischer Art – finden ihren Ausdruck in Bildern von entgrenzten Fiktionen und übermächtigen Dämonen. Das ist vielleicht der größte Vorteil an Heft- und Hörspielserien wie "John Sinclair": dass durch das Aufkochen, Destillieren und Amalgamieren  allseits und ewig bekannter Genre-Versatzstücke zwar nicht Neues entstehen kann, aber die Mechanismen des Alten dafür umso deutlicher hervorgekehrt werden.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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