»I’m not a lunatic.«

Mann beißt Hund (C’est arrivé près de chez vous, Belgien 1992, Rémy Belvaux) (DVD)

Ein Serienmörderfilm, der in vielerlei Hinsicht aus der Reihe fällt. Angefangen beim Dokumentarfilmstil, der sich selbst jedoch immer mehr als authentisierende Maske einer ausgeklügelten Dramaturgie entlarvt, über die sich immer mehr in den Vordergrund drängenden Ästhetiken und Techniken bis hin zur metaleptischen Verdopplung von diegetischem und realem Filmteam. "Mann beißt Hund" ist eine Herausforderung auf jeder Ebene – vor allem an die Moral des Zuschauers. Ganz ohne eigene moralische Stellung (da gebe ich Georg Schmitt Recht – das macht Belvaux besser als Haneke) zu beziehen, entwickelt er eine derartige Abneigung im Zuschauer, dass die kritische Haltung desselben am Ende eigentlich außer Frage stehen muss. "Mann beißt Hund" ist eine echte Wegmarke im Serienmörderfilm und liefert etliche intellektuelle und ästhetische Vorlagen für das Horrorkino. Wie wenig z. B. innovativ eigentlich "Blair Witch Project" wirklich ist, merkt man, wenn man die wesentlichen Techniken der Somatisierung und Authentisierung bereits sieben Jahre vorher zu sehen bekommt.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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5 Antworten zu »I’m not a lunatic.«

  1. tschill sagt:

    Nun, daß Belvaux es besser macht als Haneke, spricht nicht unbedingt für die Qualität des belgischen Filmes, die ich ihm gar nicht in Abrede stellen will. Ganz im Gegenteil, man kann die Idee gar nicht ausreichend loben und preisen.

    Bezweifle dennoch, daß der Film keine moralische Stellung bezieht. Sie mag nicht so offensichtlich und platt daherkommen wie beim gräßlichen Haneke, aber die Positionierung wird doch schon darin sichtbar, daß den Machern die Herstellung des Filmes ein Anliegen war. Andernfalls hätten sie mit viel weniger intellektuellem Aufwand (und einer klareren Zielgruppe) einfach einen kleinen Alien-Zombie-Matschie-Film gemacht; da hätten sie genauso in Schweinedärmen wühlen können.
    Ebenso bezweifle ich, daß automatisch im Zuschauer Abscheu vor dem Gesehenen evoziert wird. Ich wette, daß es eine Klientel gibt, die sich daran ergötzt, wie sehr ihre Mitgucker bei diesem Film emotional gestreßt werden.

  2. Zum einen hast du Recht: Die Intention der Autoren mag moralisch gewesen sein. Im Interview äußert sich der Regisseur auch diesbezüglich: „Das Paradox, daß das Kino das Furchtbare schön macht, hat uns interessiert, nicht der Mörder.“ Es ist aber der moralische Diskurs im Film, den ich meine. Dessen Neutralität wird eigentlich an keiner Stelle unterbrochen. Haneke hätte an wenigstens zwei oder drei Stellen seine Protagonisten in die Kamera schauen lassen und Sachen wie „Das wollt ihr doch sehen!“ sagen lassen.

    Die programmierte Abscheu kann natürlich in die Hose gehen. Das sehe ich auch so. Der Film zielt ja mit seiner Affekt-Ästhetik vor allem auf ein bürgerliches Publikum und seine Moralvorstellungen. Es sind jedoch auch Sphären denkbar, in denen Bens Handeln anders aufgenommen wird. Interessant scheint mir hier, dass der Film gerade durch seine streckenweise Komik auch diese Lesart anbietet. Da wird natürlich eine Fallhöhe erzeugt, weil die jeweils nächsten Szenen dann umso grausamer sind (auffälligerweise immer nach witzigen Kneipensituationen). Die Zuschauer, von denen du sprichst, haben den Film ja vorher schon mindestens einmal gesehen und seine Ästhetik und Ethik transzendiert. Die habe ich natürlich mit meiner Aussage nicht gemeint.

  3. tschill sagt:

    Das war mir schon klar, was Du mit Hanekes Filmdiskurs meintest. Aber sein Schrott ist gerade deshalb so unerträglich, weil es kein rechter Diskurs ist. Bei ihm verkommen die Zuschauer zur Belehrungsmasse, eine Haltung, die wohl zu Zeiten der Aufklärung mit ihren informationellen Defiziten vernünftig gewesen sein mag, aber mittlerweile obsolet ist. Haneke spielt sich als moralische Institution und gleicht darin dem erlöserkomplexbehafteten Shyamalan.
    Dies schreibend bin ich mir schon im Klaren, daß es offenbar genügend Menschen gibt, die derlei Belehrungen erbaulich finden. Zumindest sehen sie sich die Filme gerne an.

  4. Was Heneke betrifft, brauchen wir uns glaube ich nicht länger gegenseitig zu bestätigen, wie fürchterlich der manchmal ist. Aber dann gibt es ja auch noch Filme, wie „Wolfzeit“ oder „Das Schloss“, wo er – gerade, weil er „das Maul hält“ – zu enormer künstlerischer Größe anwächst.

  5. tschill sagt:

    Öhm, was genau ist an Wolfzeit jetzt so dufte? Fand den in jeder Beziehung grauslich. Habe jetzt nicht weiter Lust, dies hier auszuführen, weil das an einer anderen Stelle nachzulesen ist.
    Muß aber meine Meinung mittlerweile korrigieren, daß der Mann nix kann. Das wurde für mich sichtbar bei – nein, nicht
    Die Klavierspielerin, da könnte es auch die Stärke der Vorlage sein – bei Caché. Komme immer noch nicht drüber hinweg, daß dieser unaufdringliche und dennoch starke, metareflexive Film von Haneke sein soll. Den halte ich immer noch für einen Höhepunkt dieses Kinojahres.

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