Die Stimme des Wahnsinns

Son of Dracula (USA 1943, Robert Siodmak) (DVD)

Dass an das zweite Sequel ein Meister seine Hand gelegt hat, spürt man in etlichen Details – vor allem aber an den geschliffenen Dialogen.

Die Tochter Kay eines amerikanischen Farm-Besitzers hat einen obskuren ungarischen Adeligen namens "Graf Alitard" auf den Landsitz eingeladen. Dass es sich dabei um zumindest einen Verwandten Draculas handelt, klärt der immer wieder ins Bild gesetzte Namensschriftzug auf: "Alucard – Dracula", die Namen verhalten sich spiegelbildlich zueinander. Nicht so deren Träger, denn das sich beides echte Vampire und schon bald ist der Hausherr ermordet, die Tochter (un)totbgebissen und der Landbesitz in Draculas Händen. Einzig der Liebhaber Stanley der zweiten Tochter Claire durchschaut das Spiel des Grafen und wird beim Versuch, diesem das Handwerk zu legen, zuerst gebissen und dann von der Polizei wegen Mordes eingesperrt. Zuerst glaubt man dem scheinbar Wahnsinnigen kein Wort, doch dann passieren immer mehr Dinge, die die hyperkritischen Ermittler das Fantastische in ihre Kriminologie einfügen lassen.

Siodmak liefert hier eine der frühesten mir bekannten Ontologisierungs-Ästhetiken des Films: Prof. Harry Brewster, seines Zeichens Psychiater und Wahnsinnigen-Zuhörer (s.u.) erfährt in einer Szene von den schrecklichen Ereignissen um den neu zugezogenen Grafen Alucard – und zwar während er in die Lektüre von Bram Stokers Roman "Dracula" vertieft ist. Hier entmythologisiert der Film sein eigenes Sujet, indem er es in den Bereich der literarischen Fiktion überführt. Ab jetzt muss nicht mehr nur gegen blutsaugende Vampire gekämpft werden, sondern auch für die Wiederlerlanung des "Fiktionalitätsprinzips": Entweder hat der Roman recht oder das Leben – aber nicht beide!

Foucault schreibt 1961, dass man im 19. Jahrhundert begann, der Stimme des Wahnsinns ein Ohr zu schenken und sie nicht länger als das "Rauschen" des verwirrten Geistes zu ignorieren. Siodmak nimmt diese Erkenntnis 1943 in seinem Film in zwei sehr interessanten Dialogen vorweg. Als Stanley im Gefängnis die soeben von ihm ermordete (un)tote Kay empfängt und mit ihr spricht, wird dieser Dialog zwar von den anwesenden Polizisten vernommen, aber ihm wird keine Beachtung geschenkt:

"You know, they’ll never convict Stanley of that killing."
"No?"
"No! He’s as nutty as a filbert. He’s been back there for a long time talking to some dame who wasn’t there. First he talks in his voice then he answers in the woman’s voice."*
"Did you … did you hear anything that was said?"
"That’d be a swell way to spend a rainy evening … eavesdropping on some goof talking to himself in two voices. Some fun."

(*Ob die Doppelstimmigkeit Stanleys schon als Hinweis auf eine eventuell vorhandene "multiple Persönlichkeit" gedeutet werden kann, wäre zu überprüfen) Als die Untote Kay Stanley allerdings hilft, aus dem Gefängnis zu fliehen, ändert sich der Diskurs über Stanleys "Geplapper" radikal:

"Did you hear him do any more talking to that girl?"
"It’s some kind of a crazy trick Stanley pulls. He pretends to be talking to some girl, first in his voice, then in hers."
"Did you listen in as we asked you to?"
"Yeah. But it was too crazy to bother about."
"For instance?"
"Well, the girl’s voice said someting about getting him out of jail."
"That wasn’t so crazy, was it? He’s out."
"That’s right. I never thought of that. Do you think someone was in there?"

Hier zeigt sich schon, dass "Son of Dracula" eine andere Tonart als die beiden Vorgängerfilme einschlägt. Siodmak steckt (noch) voll im kriminologischen Denken und man könnte fast meinen, sein fein austariertes Prä-Profiling, das er in "Pièges" entwickelt hat, käme auch in diesem fantastischen Film zum Tragen. Darüber, dass "Son of Dracula" kein Kriminalfilm ist, täuscht uns Siodmak jedenfalls beständig erfolgreich hinweg – ung das, obwohl wir hier erstmals die Fantastik des Vampirismus im Bild und Ohne (Weg)Blende(n) zu sehen bekommen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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