Fleisch (D 1979, Rainer Erler) (DVD)
Rainer Erlers wohl bekanntester Film bezieht seine Suggestivkraft vor
allem aus dem Titel. „Fleisch“, das ist zur Ware gewordenes Leben,
Schlachtvieh, dessen Wert man nicht mehr ideell, sondern nur noch
materiell misst. In Verbindung mit dem sehr eindeutigen Filmplakat
weckt der Titel „Fleisch“ die schlimmsten Vorahnungen und verrät
demjenigen, der den Film noch nicht kennt, womit er es in den nächste
100 Minuten zu tun bekommt: Mediziner als Fleischbeschaffer,
Menschenleben als Handelsgut, Organdiebstahl.
Das
frisch verheiratete Studenten-Paar Monika (Jutta Speidel) und Mike
(Herbert Hermann) – sie Deutsche, er US-Amerikaner – wollen die
Flitterwochen im Südwesten der USA verbringen: Wüsten und verschlafene,
fast ausgestorbene kleine Städtchen: Das halten sie für das ideale
Ambiente ihrer Liebe. Bei einem Stopp in einem kleinen Ort steigen sie
in einem Honeymoon-Motel ab. Kurze Zeit darauf taucht dort ein
Krankenwagen auf, zwei bewaffnete Männer steigen aus, überwältigen und
betäuben Mike und zerren ihn in den Wagen. Monika kann entkommen.
Völlig verstört hält sie einen Truck auf der Landstraße an und steigt
ein. Der Fahrer Bill (Wolf Roth) wird im Folgenden ihr Beschützer, ihre
einzige Bezugsperson im ihr fremden Land und mit seiner Hilfe versucht
sie Mike wiederzufinden. Dabei stoßen die beiden auf ein dichtes Netz
von mafiösem Organhandel, bei dem gezielt junge, gesunde Menschen in
bestimmte Krankenhäuser verschleppt werden, um dort als
Erstatzteillager für reiche Organempfänger „ausgeschlachtet“ zu werden.
Die offenbar zentrale Figur dieser Verschwörung, die Ärztin Dr. Jackosn
(Charlotte Kerr), bekommt aber zusehends Zweifel an diesem Art, Leben
gegeneinander auszutauschen und hilft Monika und Bill, Mike
wiederzufinden.
„Fleisch“ zählt sicherlich zu den bedrückendsten und düstersten Werken
des sich ohnehin schon durch sein soziales Engagement und seine
politische Kritik auszeichnenden deutschen Kinos der 1970er Jahre.
Vieles hat Erlers Film mit den Werken seiner Kollegen Fassbinder,
Schlöndorff oder Wenders gemein: Da ist zum einen die mir immer
mysteriös gebliebene Faszination für die USA – vor allem für den
Westteil, die Prärie, die Wüsten (siehe Wenders „Paris, Texas“ oder
Fassibnders „Whity“ – letzterer jedoch „traditionell“ im spanischen
Andalusien gedreht). Andererseits verbindet „Fleisch“ mit dem
zeitgenössischen Autorenkino die Verknüpfung einer individuellen
Geschichte mit dem politischen Ambiente, in das diese Geschichte
eingebettet ist und bei dem das eine das andere kontrastiv illustriert
und kommentiert.
Doch „Fleisch“ ist anders – Erlers Film ist kein deutsches Autorenkino
nach dem klassichen Verstädndnis. Zwar stammt Idee und Buch direkt aus
seiner Feder, doch fehlt gerade das aus heutiger Sicht konstitutivste
Merkmal des „Neuen Deutschen Films“: Die Langweiligkeit – die (das will
ich ausdrücklich nicht als Kritik verstanden wissen) die vielgestaltige
„Lähmung“ jener Zeit so überdeutlich vor Augen führt (siehe etwa
Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“ oder Wenders „Der Stand
der Dinge“). Erler erzählt einen Thriller, der sicherlich auch seine
Längen hat, jedoch über diese Längen keineswegs parabelhafte Züge
entwickelt. Überdeutlich geht er sein Thema an: Vom Titel über das
Ladegut von Bills Lastwagen (eben „Fleisch“) bis hin zur Metaphorik der
Protagonisten (die Krankenwagenfahrer melden Organspender-Neuzugänge
mit dem Passwort „Fleisch für Doktor Jackson“ an). Die Plakativität des
Films lässt seinen kritischen Gestus dann fast schon wieder hinter der
Exploitation des Phänomens „Organraub“ verschwinden. Und genau das
zeichnet das Kino Erlers aus: Er ist eben nicht jener bierernste
filmende Politiker; ihm reicht es, einen Missstand, eine kritische
Haltung oder soziale Erkenntnis als Hintergrund für seine Filme zu
verwenden und „im Vordergrund“ eine Geschichte zu erzählen.
Dass diese Geschichte – das sieht man an „Fleisch“ – nicht immer nach
allen Regeln der Erzählkunst vorgeführt wird, stört aus heutiger Sicht
nur wenig und weist darauf hin, dass wir es eigentlich mit einer
TV-Produktion zu tun haben, die mit kleinen Budgets und unter ganz
anderen logistischen und terminlichen Bedingungen entsteht als „großes
Kino“. Umso mehr kann man sich aber auf das Resultat freuen: Sehr gute
Schauspieler, die selbst Peinlichkeiten und Lücken ihrer Motivation mit
einem Handstreich überspielen, Sex and Violence (die im TV der
70er/80er sicherlich noch nicht Gang und Gäbe waren) und ein
durchdachter und gleichzeitig witziger Soundtrack.



