»One murder makes a villain; millions, a hero!«

Monsieur Verdoux (USA 1947, Charles Chaplin)

Erst sehr spät habe ich den Tipp bekommen, mir einmal diesen Film aus Chaplins Alterswerk anzusehen.

Und es hat sich gelohnt: Voller Ironie und ästhetisch exzellent
inszeniert erzählt Charlie Chaplin (gleichzeitig Hauptdarsteller,
Regisseur, Soundtrack-Komponist und Drehbuch-Autor – nach einer Idee
von Orson Welles) die Geschichte eines französischen Blaubarts, die auf
den authentischen Fall von Henri Landru zurück geht.

Henri Verdoux – so der Name des Täters – ist Börsenspekulant. Die Krise
von 1929 „zwingt“ ihn jedoch dazu sein Geschäft vom Börsenparkett auf
die zahlreichen Höfe alternder, betuchter Damen zu verlegen, die er
ihnen zunächst macht und unter denen er sie dann begräbt. Grund für
seine Morde ist, dass er einen Sohn und eine Frau – beide ahnungslos –
zu versorgen hat. Verdoux mordet also weder aus sexueller Devianz noch
aus psyochtischen (Ab)Gründen, sondern schlicht und ergreifend, um in
mörderischen Zeiten selbst zu überleben.

Der Film erzählt die Geschichte aus seiner Perspektive, wie er sein
Leben zwischen seinen zahlreichen Ehefrauen organisiert, diese
bestiehlt und neue Methoden ersinnt, sie zu beseitigen. Chaplins Stärke
liegt in der Burleske und seinem Kleiner-Junge-Charme, mit dem er
Zuschauer und Opfer gleichermaßen für sich gewinnt. Dass er dabei
keineswegs unmoralisch ist, wird mehrfach betont; so lässt er ein
junges, obdachloses Mädchen, das er auf der Straße aufgelesen hat und
an dem er zunächst eine neue Giftmischung ausporobieren wollte,
kurzerhand frei, gibt ihr Essen und Geld – weil sie ihn zu sehr an
seine eigene Situation erinnert. Schließlich, als er alt geworden ist
und die Zeiten immer schlechter werden (dass Hitler an die Macht
gekommen ist, wird ausgibig ins Bild gerückt!), stellt er sich der
Polizei und wird zum Tode verurteilt.

Die Todeszelle sieht Chaplin als den passenden Ort, moralisch Bilanz zu
ziehen. Grausame Zeiten erfordern grausame (Überlebens)Methoden, meint
er und stellt seine Verbrechen kurzerhand in den Schatten der
Verbrechen der aktuellen Politik. Chaplin, der in „Der große Diktator
ja bereits mehr als deutlich Position gegen die Nazis und deren
Ideologie bezogen hat, zieht hier – 1947 – eine Bilanz. Die jüngste
europäische Geschichte ist grausam; die Geschichte Verdoux‘ ist es
auch. Er beschönigt nichts, kennzeichnet all die Ironie, Lebensfreude,
den verlotenen Charme und die ahnungs- und hilflosen Opfer seiner
Serienmörder-Geschichte jedoch als Parabel.

Noch deutlicher als Capra in „Arsen und Spitzenhäubchen“ und Clouzots „Der Mörder wohnt in Nr. 21
nutzt „Monsieur Verdoux“ das Phänomen des Serienmordes als
komödiantische Parabel und Möglichkeit der Kritik gegen unmenschliche
politische ideen und Systeme.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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