Pièges (F 1939, Robert Siodmak)
Nachdem ich die letzte große Lücke in meiner Dissertations-Filmografie
vor kurzem habe schließen können und nun in Besitz einer ungekürzten
Original-VHS-Kassette von „Pièges“ bin, wollte ich auch nicht zu viel
Zeit vergehen lassen, den Film zu sehen.
„Pièges“ basiert auf demselben Drehbuch wie das 1947 entstandene Remake „Lured“
von Douglas Sirk (Autoren: Jacques Companéez, Simon Gantillon und
Ernest Neuville). Doch obwohl die Dramaturgie beider Filme dieselbe
ist, gibt es doch etliche sehr interessante Unterschiede, auf die ich
aber an dieser Stelle nicht eingehen will. Eine interessante
Gemeinsamkeit will ich – sozusagen als Teaser auf mein
Dissertationskapitel 🙂 – jedoch vorstellen:
Wie „Lured“ versucht auch „Pièges“ durch hohes Star-Aufgebot die
Erwartungshaltung seiner Zuschauer zu forcieren. Die männliche
Hauptrolle spielt Maurice Chevalier, der – wie in den meisten seiner
Filme – auch „Pièges“ für ein paar Gesangseinlagen missbraucht. Ihm
gegenüber stehen zwei ebenfalls schon auf die Rolle des Bösewichtes
abonnierte Schauspieler: Erich von Stroheim und Pierre Renoir; letzerer
war in den 1930er Jahren ein schon beinahe berüchtigter Filmbösewicht
des französischen Kinos.
Die Strategie dieses Staraufgebotes korrespondiert mit dem
dramaturgischen Aufbau des Films. Die Ermittlung des mysteriösen
Mädchenmörders wird von einem weiblichen Lockvogel vollzogen. Sie geht
die privaten Kontaktanzeigen der Zeitung durch, weil bekannt ist, dass
der Mörder seine Opfer via Inserat kennen lernt. Ihr Ermittlungsweg
bekommt dadurch „szenischen Charakter“: Von einem kuriosen Treffen zum
nächsten hangelt sie sich. Und um dem Film die nötige Spannung zu
geben, könnte es natürlich jeder der besuchten Inserenten sein:
Dies wird besonders in der Stoheim-Episode deutlich. Und genau hier
liegt die „eigentliche“ Falle des Films:
So naiv, wie die unbekümmerte Darstellerin, ist der Zuschauer nämlich
nicht. Er assoziiert mit den Charakterdarstellern ja bereits die
Rollenklischees, auf die diese abonniert sind. Es ist in besagter
Stoheim-Sequenz also mehr als wahrscheinlich, dass Stroheim der Mörder
ist – zumindest für den filmsozialisierten Zuschauer. … er ist es
aber dennoch nicht. Anstelle dessen verdichtet sich der Verdacht um den
charmanten Schönling und Schürzenjäger Robert Fleury (Chevalier). Und
mit jedem Indiz, das für die Täterschaft Roberts spricht, gerät der
Film auf die „schiefe Bahn“. Es ist bekannt, dass sich gerade die
positiv besetzten Stars den frühen und klassischen Kinos nicht auf
zweideutige oder gar böse Rollen eingelassen haben, um eben ihr Image
nicht zu verderben. (Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist
Hitchcocks Dilemma mit Stummfilmstar Jonathan Drew in „The Lodger“:
Hitchcock musste seinen Film mit einem Happy End versehen, weil die
Produzenten es nicht zulassen wollten, dass Drews Image durch auch nur
leichte Ambivalenzen beschädigt wird.) Und so wird es auch in „Pièges“
von Minute zu Minute verwunderlicher, dass Chevalier der Bösewicht sein
soll – eine solche Rolle hätte er bestimmt nicht angenommen. Die Lage
klärt sich – und das ist in dieser Hinsicht keineswegs eine Schwäche
des Besetzungskonzeptes, sonder im Gegenteil dessen Bestätigung! – mit
dem Auftritt von Brémontière (Pierre Renoir): Hier ist also der wahre
Bösewicht!
Und diese mehr instinktive als intellektuelle Ermittlungleistung findet
nicht nur im Kopf des Zuschauers statt; auch die Polizei kann und will
nicht so recht an die Schuld Roberts glauben und konzentriert sich
daher – schon fast ohne jeden Grund – auf Brémontière (diesen
Übersprung macht „Lured“ übrigens nachvollziehbarer). Bis zum Zeitpunkt
siener Verdächtigung war die Detektion des Serienmörderfalles von
klassischen Ermittlungsarbeiten geprägt: Von der technischen Auswertung
eines Bekennerbriefes bis hin zur Abnahme von Fingerabdrücken. Doch nun
wird der Ermittler zum Profiler. Er beginnt sogar mit
psychoanalytischen Verfahren den Fetischismus des Täters in seine
Überlegungen mit einzubeziehen (Brémontière selbst gibt dem Kommissar
das Stichwort vor, als er fragt: „Kennen Sie Freud?“)
1939 geht Robert Siodmak in die USA. (Näheres siehe Siodmaks Biografie) „Pièges“ wurde auf Umwegen ebenfalls außer Landes nach Amerika geschmuggelt.
Vor seiner Veröffentlichung wurde der Film allerdings an einigen
Stellen geschnitten (u. a. die recht ambivalente Beziehung zwischen
Maxime und Adrienne, die deutlich sado-masochistische Züge trägt …
wohl zu deutlich). Erst 1993 wurde er ungekürzt im Deutschen Fernsehen
ausgestrahlt.
Literatur:
Vincendeau, Ginette.
„Avez-vous lu Freud?“: Maurice Chevalier dans „Pieges“ de Robert Siodmak.
Iris n21
Spring (1996): 89-98.
(Wer weitere Literatur kennt, möge sich bitte bei mir melden!)
P.S. Ich danke an dieser Stelle noch einmal Patrick Baum (philosophus) für seine Hilfe bei der Beschaffung, Sichtung und Auswertung des Films!




bei soviel lob werd ich ja ganz rot. danke, aber ich hab ja nur ein klein bißchen beigetragen.