Kalifornia

26.03.04: Kalifornia (DVD)

Michael
Haneke sagt 1997 in einem Interview: „Um zu vermitteln, was ich denke,
bediene ich mich hier [bei Funny Games, S.H.] des Thrillers – und nutze
die Erwartung des Zuschauers ans Genre: Dort darf das Furchtbare
geschehen, solange nur am Ende die Ordnung wiederhergestellt ist. Der
Abgrund, der aufgerissen wird, nur um letztlich wieder zugeschüttet zu
werden: Mit dieser Verlogenheit machen Genrefilme ihr Geld.“ (Spiegel
38/1997, S. 146) Gut, er hat Kalifornia wohl nicht gekannt Aber die
Ausschließlichkeit, mit der er seine Genre-„Theorie“ hier darlegt,
zeigt schon, dass für die Erzählung eines solchen Films gar nicht
„sensibel“ genug sein kann.

Worum geht’s in Kalifornia? Erzählt
wird die Geschichte vom Publizisten Brian und seiner Freundin Carrie,
die Fotografin ist. Die beiden wollen eine Tour durch die USA zu den
Orten, an denen Serienmörder ihre Taten begannen haben, unternehmen.
Brian versucht seine Recherchen dort mit plastischen Eindrücken und
Tatortfotos zu illustrieren. Um die lange Riese nicht allein
finanzieren zu müssen, nehmen sie Early, einen gewalttätigen und
offenbar wegen Mordes vorbestraften (wovon die beiden aber nichts
wissen) und dessen Freundin Grace mit. Es kommt, wie es kommen muss:
Early begeht auf der Reise einen Mord nach dem anderen – zunächst
unentdeckt. Doch als Carrie die Anwesenheit der beiden Mitfahrer immer
unangenehmer wird uns sie Brian bittet, sie rauszuwerfen, eskaliert die
Situation: Early begeht einen brutalen Raubüberfall auf eine Tankstelle
und nimmt die Brian und Carry als Geiseln. Er überfällt ein Haus und
bringt dort den Hausherren und dann seine Freundin Adele um. Brian
schlägt er nieder und Carrie verschleppt er. Und erst an dieser Stelle
wird aus dem „brutalen Roadmovie“ ein Thriller: Brian begibt sich auf
die Suche nach Carry und ihrem Entführer, findet sie schließlich,
ermordet Early und befreit seine offenbar vergewaltigte Freundin.

Das
besondere an diesem Genrefilm ist seine reflektierende Haltung
gegenüber seinem Sujet: Da ist auf der einen Seite der etwas arrogante
Schriftsteller und seine intellektuelle Freundin, die gleichermaßen
fasziniert und abgestoßen vom poor-white-trash-Pärchen Early und Grace
sind. Brian hat „keine Ahnung“, was Serienmörder wirklich sind. Für ihn
ist das Phänomen Serienmord ein Gegenstand kultureller Reflexion, ein
Gedankenspiel, in das er seine psychogenetischen Theorie über
Tatmotivation und Täterbiografie einfügen kann.

Auf der anderen
Seite steht Early, für den Mord ein modus vivendi ist: Er tötet, um aus
unangenehmen Situationen zu fliehen, aus Rache, aus Geldgier und
zeitweise schlicht aus Langeweile. Brian versucht, als er später über
Early Bescheid weiß, hinter die Motivantion zu kommen, jedoch
erfolglos. Schließlich reduziert er es auf die Erkenntnis, dass das
einzige, was den Serienmörder vom normalen Menschen unterscheidet, das
mangelhafte oder fehlende Schuldbewusst sein ist.

Early indes
belustigt sich über die intellektuellen Spielchen Brians. Er macht ihm
mehr als zynisch klar, dass seine Taten nichts mit seinem Vater zu tun
haben (die Erschießung des Polizisten ist wohl die sarkastischste und
entlarvendste Filmszene, die je ein Serienmörderfilm gezeigt hat). Und
dass er Schuldbewusstsein besitzt, macht er auch klar: Er reagiert sehr
verstört auf seine eigenen Taten und reflektiert sogar über einen der
von Brian besuchten Serienmörder-Schauplätze und dass der nie gefasste
Täter wohl heute jeden Tag an seine Taten zu denken gezwungen ist.

Brians
Theorien gehen also nicht auf. Serienmord als kulturelles Phänomen
betrachtet, bleibt ein elitäres Gedankenspiel. Selbst als er am Schluss
gezwungen ist (?) Early aus Rache an der Vergewaltigung Carries zu
erschießen, zeigt er kein Verständnis für den Akt des Tötens. Danach
geht es weiter für das Pärchen wie zuvor: Sie veröffentlicht ihre Fotos
in einer Ausstellung und er kommt mit seinem Buchprojekt, in das er nun
sogar einen Erlebnisbericht einfügen kann, „gut voran“.

Doch
irgendwie ist die Stimmung des Films im Epilog brüchig geworden. Die
heile Welt, die uns der Thriller als Genrefilm verspricht (und die
Haneke dem Ende eines Genrefilms an sich attestiert) ist nicht zu
finden. Das liegt nicht etwa daran, dass Brian gezwungen wurde selbst
zu töten, oder dass der Zuschauer mit ihm durch die Hölle gegangen ist,
sondern vielmehr daran, dass der Film es geschafft hat, die
intellektuell-unterkühlte Reflexion über seinen Gegenstand als blanken
Zynismus zu entlarven. Sowohl die Täter als auch die Opfer und erst
Recht die Zeugen sind nicht das, was uns die Kulturproduktion
suggeriert: Sie dürfen weder allein als Ingredienzien einer Story noch
als Variablen eines intellektuellen Gedankenexperiementes (Funny Games)
dienen. Sie sind auch Platzhalter für reale Schicksale. Wer das nicht
mit berücksichtigt, ist ein Zyniker (wie eben Haneke).

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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