Postkolonialismus und Altertiät im Film

Proseminar:
Postkolonialismus und Alterität im Film
Wintersemester 1996/97
Leitung: Frau Dr. habil. Sigrid Lange

Postkolonialismus und Alterität im Film
am Beispiel von Werner Herzogs
„Aguirre, Der Zorn Gottes“

Inhalt

1. Einleitung: Einführung in die Problematik und Stoffabgrenzung

2. Zum Inhalt des Films

3. Charakterisierung der wichtigsten ProtagonistInnen
3.1. Die Männer
3.1.1. Bruder Gaspar de Carvajal
3.1.2. Fernando de Guzman
3.1.3. Don Lope de Aguirre
3.2. Die Frauen
3.3. Die Indios

4. Sequenzanalyse: „Auf dem Strom, Mittagszeit“
4.1. Aufbau der Sequenz
4.2. Filmtechnische Analyse

5. Weiterführende Betrachtungen

6. Schluss

7. Anhang: Sequenzprotokoll
7.1. Sequenz 1 – 6
7.2. Sequenz 6 – 15
7.3. Sequenz 15 – 22
7.4. Sequenz 22 – 26
7.5. Sequenz 26

8. Quellen- und Literaturverzeichnis


1. Einleitung: Einführung in die Problematik und Stoffabgrenzung

Der Spielfilm hat, wie die Literatur überhaupt, neben seiner „Unterhaltungsfunktion“ auch immer (vom Regisseur bewusst oder unbewusst) die Tendenz, Themen zu problematisieren, die im philosophischen und politischen Diskurs der Zeit, in der er entsteht, aktuell sind. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, in der die Sichtweisen der Postmoderne und die Theorie des Poststrukturalismus aufkamen, war dies unter anderem die kritische Auseinandersetzung mit der europäischen Kolonialpolitik im Lateinamerika des 15. und 16. Jahrhunderts.

In der vorliegenden Hausarbeit soll Werner Herzogs Film „Aguirre – Der Zorn Gottes“ aus dem Jahre 1972 unter diesem Gesichtspunkt untersucht werden. Hierbei werden vor allem solche Aspekte berücksichtigt, die die Frage nach der Sicht der Kolonialpolitik Europas in Lateinamerika beantworten.

Hierzu wird die Frage gestellt, wie „typisch“ die Figuren sind, die Herzog im Film entwirft und welches Bild von den Indios, dem Urwald und dem Thema des Kolonialismus im Film gezeigt wird. In wie weit die gesamte Handlung des Films Parallelitäten zur Konquista aufweist, kann jedoch nur kursorisch angeschnitten werden, da für eine genaue Beantwortung umfangreiches historisches Material ausgewertet werden müsste und die Arbeit dadurch wahrscheinlich ihren Charakter einer Filmanalyse zugunsten einer historischen Abhandlung verlieren würde.

Nur am Rande wird außerdem die Stellung des Films im Gesamtwerk Herzogs betrachtet. Es böte sich zwar an hier Vergleiche zu ziehen, da die Kolonialthematik bei Herzog öfter als nur in „Aguirre – Der Zorn Gottes“ vorkommt , kann aber aufgrund des Umfangs dieser Arbeit (und weil nicht alle diese Filme Werner Herzogs zu Verfügung standen) nicht geleistet werden.

2. Zum Inhalt des Films

Die Handlung erstreckt sich auf den Zeitraum vom 31. Dezember des Jahres 1560 bis zum 20. Februar des darauffolgenden Jahres. Eine Andenexpedition unter der Führung Gonzalo Pizzaros (Alejandro Repulles) ist auf der Suche nach dem Goldland El Dorado. Nachdem die Nahrungsvorräte der Truppe knapp geworden sind, schickt Pizzaro eine Expedition mit Flößen flussabwärts. Zu dem Trupp gehören neben dessen Anführer Ursúa, dem Soldaten Don Lope de Aguirre (Klaus Kinski) und dem Edelmann Fernando de Guzman (Peter Berling) noch der Geistliche Gaspar de Carvajal (Del Negro), Inez de Atienza (Helena Rojo), die Geliebte Ursúas, Flores (Cecilia Rivera), die 15jährige Tochter Aguirres, sowie circa 30 Soldaten.

Kurz nach dem Aufbruch geraten die Flöße in Stromschnellen und einige der Soldaten kommen um. Nachdem die Suche nach Nahrung erfolglos geblieben ist, kehrt der Trupp jedoch nicht innerhalb der mit Pizzaro vereinbarten Frist von 14 Tagen um, denn der Unterführer, Aguirre, führt eine Rebellion durch, mit der er die Weiterfahrt erzwingen will. Die Rebellion verläuft erfolgreich und der Trupp erklärt seine Unabhängigkeit vom spanischen Königreich, um auf eigene Faust El Dorado zu suchen. Guzman wird zum Kaiser von El Dorado gewählt.

Auf seiner Fahrt flussabwärts wird der Trupp mehrmals von Indianer angegriffen, die jedoch fast nie selbst zu sehen sind, sondern immer nur durch ihre Giftpfeile in Erscheinung treten. Es wird mehrmals versucht, an den Ufern des Flusses zu landen, um die Nahrungsvorräte aufzufrischen, doch kommt es dort zu Kämpfen mit den Indios. Die Männer, die die Gefechte überleben, werden fast ausnahmslos krank und durch Hunger geschwächt.

Guzman stirbt, doch Aguirre erzwingt die Weiterfahrt. Verrückt geworden plant er den „größten Verrat“, während seine Männer um ihn herum hinsiechen. Bei einem abschließenden Gefecht werden alle bis auf Aguirre von Indianern getötet. Er treibt allein auf dem Floß im Kreis in der Mitte des Flusses.

3. Charakterisierung der wichtigsten ProtagonistInnen

Werner Herzog beschreibt in seinen Filmen Charaktere, die „ohne festen Ort auf der verzweifelten, tollkühnen oder still fügsamen Suche nach der Möglichkeit ihrer Existenz“ sind. Besonders auffällig ist dies bei Aguirre. Die Spanier mit ihren Frauen, den indianischen Sklaven, den Sänften, Uniformen und dem höfischen Verhalten wirken, als wären sie wie ein „Keim“ in den Urwald verpflanzt. Dass das so offensichtlich von Herzog herausgestellt ist, lässt vermuten, dass es gerade die Protagonisten sind, die die Intention des Films transportieren. Daher wird im Folgenden auf die bedeutendsten von ihnen eingegangen.

3.1. Die Männer

3.1.1. Bruder Gaspar de Carvajal

Die Filmhandlung selbst wird an vielen Stellen von den Erläuterungen des Geistlichen begleitet. In der Sekundärliteratur wird die Vermutung angestellt, dass sein Bericht historisch belegt sei und Werner Herzog als Handlungsvorlage gedient hat.

Durch die teilweise vorausschauenden Kommentare aus dem Off (Zitate aus der von ihm während der Floßreise verfassten Chronik erahnen den Untergang bereits früh) und die Handlungen des Geistlichen bekommt die Figur eine ambivalente Ausstrahlung. Lassen o. g. Kommentare Sachlichkeit und die Präzision eines Berichts vermuten, so wirken viele Handlungen und Aussagen dieser nüchternen Distanz zum Geschehen entgegen. Als Inez ihn bspw. bittet, bei der Rebellion des Aguirre, von der sie glaubt, dass sie den Tod Ursúas nach sich zieht, einzuschreiten und sie zu verhindern, lehnt er die mit den Worten: „[…] Du weißt mein Kind: Für das Wohl unseres Herren war die Kirche immer auf der Seite der Starken.“ ab. Dieses Bekenntnis setzt er dann auch bald in die Tat um, wenn er den Vorsitz des Gerichts über Ursúa einnimmt und sein Todesurteil ausspricht.

Seine wesentliche Rolle ist jedoch die des Missionars, der er „vorbildlich“ in der Szene „Auf dem Strom, Mittagszeit“ nachkommt. Seine Feigheit vor Aguirre verlässt ihn erst am Ende des Films, als er, vom Giftpfeil getroffen, sowieso nichts mehr zu befürchten hat und mit dem Schwert nach Aguirre schlägt, diesen jedoch verfehlt und stirbt.

3.1.2. Fernando de Guzman

Aguirre beschreibt die wesentlichen Eigenschaften Guzmans, wenn er sich über seine Dickleibigkeit lustig macht und den sentimentalen und tumben spanischen Edelmann für seine Zwecke benutzt. So wird er zwar zum „Kaiser von El Dorado“ gekrönt, es ist aber zu keiner Zeit des Films unklar, wer den Trupp anführt und sein Schicksal bestimmt: nämlich Aguirre.

Wie auch Carvajal hat Herzog die Figur des Guzman schon fast archetypisch konstruiert. Er verkörpert den Hochadel Spaniens, der Landnahmen verbucht und gar nicht bemerkt, dass seine Handlungen sinnlos und ritualisiert sind. Mit den Worten: „Unser Land ist jetzt schon gut sechsmal größer als Spanien und jeder Tag unterwegs macht es gewaltiger“ , nimmt er das Sumpfland links und rechts des Urumbamba-Flusses in Besitz, das völlig unwirtlich ist. Im Gegensatz zum aggressiven Eroberer Aguirre verkörpert er die bürokratische Seite des Konquista-Imperialismus des 16. Jahrhunderts. Herzog lässt es sich nicht nehmen, ihn bei den intimsten Gelegenheiten vor der Kamera bloszustellen und der Figur jede Ernsthaftigkeit zu nehmen. So wird er bei der Morgentoilette gezeigt, wie er nach seiner Krönung vor Rührung weint und wie er vom Durchfall geplagt zweimal zur Toilette des Floßes eilt.

3.1.3. Don Lope de Aguirre

In der Figur des Aguirre verdichtet sich Herzogs Klischee des „absurden Helden“. Auf ihn trifft man in allen Filmen Herzogs, und sogar die Dokumentarfilme ranken um Typen, denen Aguirre auffällig gleicht.

Sehr bald erfährt der Rezipient, wie es um Aguirre steht. Die Besetzung der Figur mit Klaus Kinski lässt von Anfang des Films keine Unklarheiten über den desolaten geistigen Zustand dieses Protagonisten zu. Er selbst bezeichnet sich an mehreren Stellen als der „große Verräter“ und als der „Zorn Gottes“ . Aber auch seine Hybris dient der Handlung nur als Stereotyp des Ausbeuters ohne Gewissen. In ihm finden sich die Eigenschaften des Konquistadors, die aus zahlreichen historischen Publikationen bekannt sind: Gold nach Macht und Gewissenlosigkeit.

Hier kommt noch hinzu, wie Werner Herzog seine Hauptcharaktere plant. Sie sind immer extrem in dem was sie tun und denken. Es genügt Aguirre eben nicht, sich einfach von der Expedition Pizzaros loszusagen, er muss komplett gegen die spanische Krone rebellieren. Er ist ein einsamer Held mit mystischen Anklängen (Sisyphos, Prometheus), der an die Grenzen stoßen muss, der „zu Solidarität, aber auch zu Erfolg, unfähig“ ist.

Und so bleibt „der große Verrat“ ein Symbol für den Ausbruchs-versuch. Er muss sich angesichts der Lage auf dem Floß seines Scheiterns bewusst sein, akzeptiert es jedoch nicht, sondern kündigt als letzter Überlebender an: „Wenn wir[!] das Meer erreichen, werden wir ein größeres Schiff bauen und damit nach Norden segeln und Trinidad der spanischen Krone entreißen.“ Er feiert sein Scheitern mit diesen Visionen zum Ende des Films und legt dem Zuschauer damit sein zerrissenes Selbst, das nicht aufhören kann zu rebellieren, dar.

3.2. Die Frauen

Frauen spielen in den Filmen Werner Herzogs eine besonders auffällige Rolle: nämlich fast gar keine. Sie treten nie oder selten in den Vordergrund , geschweige denn sind sie Hauptdarstellerinnen. Er bedient sich der beiden Frauen Inez de Atienza und Flores, der Tochter Aguirres, in dem er ihnen nur durch den Geliebten Ursúa bzw. den Vater Aguirre eine vage Bedeutung zukommen lässt. Thomas Elsässer stützt diese Vermutung, wenn er darauf hinweist, dass „Aguirre […] zwar eine Tochter, aber keine Frau hat.“ Die Frauen spielen die Rolle der „märchenhaft Schönen“ und ein wenig unwirklichen Begleiterin, die zur Theatralik neigen.

Dies wird besonders augenfällig, als Flores am Ende des Films von einem Giftpfeil getroffen völlig unpathetisch in den Armen ihres Vater stirbt; ohne ein Wort zu sagen oder gar Schmerz zu zeigen. Und auch wenn Inez nach dem Tod ihres Geliebten Ursúa für ihr Leben keinen Sinn mehr sieht und schweigend in den Dschungel schreitet, wird deutlich, dass sie nur als Attribut für Ursúa gedient hat und nun keinen Einfluss mehr auf die Handlung nehmen kann.

Aber auch auf einer weiteren Ebene lassen sich die Frauen in Aguirre deuten: als das „Andere“. Dieser Begriff stammt aus der poststrukturalistischen Analyse der Moderne. In ihm werden die Denkschemata, die auf der binären Opposition beruhen, angesprochen. Es sind gegensätzliche Begriffspaare, die durch die europäische Aufklärung diskursiviert wurden und einen Wertmaßstab bilden. Die Frauen gehören damit ebenso zu dem Andre, wie die Wildnis und die Indios.

Der Gang in den Dschungel bringt Inez dahin, wo sie hinzugehören scheint: in die Wildnis. Denn die Wildnis ist genau das Gegenteil von der landvermessenden, christianisierenden und uniformierten Welt der Männer. Beide Frauen machen zu keiner Zeit des Films den Eindruck, als gehören sie in den Dschungel. Sie sind immer in langen, sauberen Kleidern zu sehen. Ihr Erscheinen (Frisuren, Sauberkeit, …) ist immer von Perfektion bestimmt und steht im absoluten Widerspruch zu den kranken, mit rostigen Rüstungen bekleideten Konquistadoren. Flores führt mitfühlende, moralische Gespräche mit Balthasar und Inez kümmert sich sorgenvoll um die Verwundeten und Gefangenen. Sie bilden dadurch einen Gegenpart zu „rauhen Männerwelt“ der Konquista. Hier entsteht „weibliche Utopie als Gegenbild zur männlichen Brutalität“

3.3. Die Indios

Das Bild des „Anderen“ findet sich auch bei der Beschreibung der Indios wieder. Sie sind fast nie selbst sichtbar, sondern treten nur durch ihre Giftpfeile ins Bild. Und da diese Angriffe häufig stattfinden, bekommen sie bald die metaphorische Bedeutung der Synekdoche: Die Indios sind das Gift. Aber auch ihnen ist eine besondere Dialektik zueigen, wie sich in Kapitel 4 zeigen wird.

Sie werden dem Rezipienten als Kannibalen und Wilde präsentiert und es entsteht eine eigentümliche Trennung der Protagonisten in „Unter- und Übermenschen“. Und so dient der Kampf dem Kannibalismus (einem negativen ethnischen Stereotyp) den Konquistadoren als „Entlastungs- und Abwehrfunktion“ .

Im Film kümmert man sich (genau wie zur Zeit der Konquista) kaum um die Kultur der Indios. Wenn sie nicht bekämpft werden, werden sie versklavt. Selbst der ehemalige König Chimalpahin wurde von ihnen erniedrigt, indem er den Namen Balthasar annehmen musste und von ihnen zum Sklaven wurde. Für ihn sind die Spanier schlimmer als eine Seuche. Und so verwundert es auch kaum, dass am Anfang des Films auf die Frage, wieviele Leute sich auf dem Floß befinden, das in den Strudel geraten ist, ein Soldat antwortet: „Sieben und zwei Indianer.“, denn sie werden mehr als Sache wahrgenommen, denn als Menschen.

4. Sequenzanalyse: „Auf dem Strom, Mittagszeit“

Die für die Feinanalyse ausgewählte siebte Sequenz des Films trägt im Drehbuch die Überschrift „Auf dem Strom, Mittagszeit“ . Weil Herzog laut eigenen Angaben die Drehbücher nur als Grobentwurf für seine Filme benutzt, weichen die Szenen des Films teilweise stark von dieser Vorlage ab. Da für die Betrachtungen dieser Arbeit hier eine der Kernszenen vorliegt, stützt sich die Analyse komplett auf das Sequenzprotokoll.

4.1. Aufbau der Sequenz

Die Szenenfolge schildert das erste und einzige persönliche Zusammentreffen der Expedition mit den Indios. Nach mehreren Angriffen sind die Soldaten misstrauisch, als zwei Indianer in einem Kanu auf das Floß zugeschwommen kommen. Mittels Balthasar als Dolmetscher findet zwischen den Indianern, Guzman und Carvajal ein Gespräch statt, in dessen Verlauf die Indianer – wahrscheinlich von Carvajal, dem Geistlichen – getötet werden.

Während im Vordergrund die Soldaten damit beschäftigt sind, die Indianer an Bord zu zerren, wird im Hintergrund von einem Soldaten entdeckt, dass sich auch ein Fisch an Bord des Kanus befindet, den die Indios als Gastgeschenk mitgebracht haben . Diese Entdeckung wird in ihrer Bedeutsamkeit erst dann übertroffen, als Guzman einen goldenen Talisman am Hals des Indio-Mannes entdeckt. Mit eindeutig ironischer Absicht zeigt sich hier, wie sehr die Prioritäten der Expedition verlagert sind: Die Soldaten – die später die Maiskörner einzeln abzählen – sind daran interessiert, nicht zu verhungern, während ihr Anführer, der von vorn bis hinten bedient wird, nur von seiner Goldgier getrieben wird.

Das bereits oben erwähnte Desinteresse der Konquista an der Kultur der Indios zeigt sich in dieser Szene in aller Deutlichkeit. Während der Indianer-Mann vom Mythos berichtet, der die Ankunft der „Söhne der Sonne“, die er in den Spaniern vermutet, fällt Guzman nur das Gold an dessen Hals auf.

In dem berichteten Mythos ist ein für die Deutung der Interaktion Aguirre/Flussfahrt interessantes Motiv enthalten. Der Indio beschreibt die Gegend, in der sich das Floß befindet: „[…] denn hier, an diesem Strom, sei Gott mit der Schöpfung nicht fertig geworden.“ Die Spanier sollen also da weitermachen, wo Gott aufgehört hat. Diese Aufgabe sieht wohl hintergründig auch Aguirre für sich: Er will die Natur bezwingen, befindet sich im Kampf mit ihr, wird ihr am Ende jedoch unterliegen.

Ebenso erfolglos wie das Bemühen, die indianische Kultur den Spanier zu vermitteln, bleibt auch der umgekehrte Versuch. Nachdem der Indio auf die Frage, wo El Dorado liege, wo das Gold herstamme, mit dem Finger vage in irgendeine Richtung deutet, startet Carvajal den Versuch, ihn zu missionieren. Dies soll erfolglos bleiben, denn der Indio kann nicht begreifen, als Carvajal ihm mit vorgehaltener Bibel erklärt, „dass in diesem Buch das Wort Gottes enthalten ist“ Er hält sich das Buch ans Ohr, um die Worte auch hören zu können. Herzog hat hier eine Szene beschrieben, die sich tatsächlich zugetragen hat. In einem Text über den Inka-König Atahuallpa und den Geistlichen Vincente de Valverde heißt es: „Und sie sagen weiter, daß Bruder Vincente de Valverde geantwortet habe, das [die Schöpfung des Universums] habe jenes Buch getan; und daß der König es genommen, betrachtet und ans Ohr gehalten und, da er inne ward, daß es nicht zu ihm sprach, zu Boden geworfen habe; und das Bruder Vincente de Valverde es aufgehoben und sich zu den Seinen begeben und gesagt habe: Christenmenschen, das Evangelium ward in den Schmutz getreten, Gerechtigkeit und Rache über diese! Wohlan, vernichtet sie, denn sie verachten unser Gesetz und verschmähen unsere Freundschaft.“

Und so wie die Spanier die Indios bisher wegen ihres „wilden Verhaltens“ getötet haben, bringen sie diese nun wegen der Blasphemie um. Carvajal, der sich bei der Verurteilung Ursúas bereits als Richter bewiesen hat, wird hier zum Henker und richtet die Indios mit seinem Schwert hin. Wie bei einer Schlacht stürzt sich eine Überzahl Soldaten auf die beiden; dadurch wird die begangene Grausamkeit ins Groteske verzerrt. Werner Herzog zeigt hier exemplarisch die Verbrechen der Konquista und betont dabei besonders die Schuld der katholischen Kirche, die in ihrem Missionierungseifer dem Imperialismus der Kolonialmächte in nichts nachstand.

Im Gespräch in der Einstellung 26 zwischen Guzman, Okello und Carvajal zeigt sich diese Tendenz dann noch einmal ganz deutlich. Guzman träumt bereits davon, seine Feinde mit goldenen Kugeln zu erschießen und sich von den Sklaven das Essen auf goldenen Tabletts servieren zu lassen, während Carvajal die absolute Priorität der Missionierung betont: „Vergessen wir niemals den wichtigsten Teil unserer Mission: Das Wort Gottes den Wilden zu verkünden.“ Er wendet sich schweigend und verschämt ab, als Guzman ihm anbietet mit einem goldenen Kreuz weiterzumissionieren.

Dass die Suche nach dem Goldland El Dorado erfolglos bleiben wird, zeichnet sich auch schon in der Aussage Okellos ab, der glaubt, nach der Entdeckung El Dorados irgendwann von der Sklaverei befreit zu sein.

4.2. Filmtechnische Analyse

Werner Herzog seziert die Sequenz, indem er 18 der 26 Einstellungen in Nah- oder Großaufnahmen fotografieren lässt. Gerade die Einstellungen 7 bis 11, in denen durch diese Größen die beiden Indios getrennt voneinander gezeigt werden, erinnern stark an die detailsüchtige Beschreibung eines Dokumentarfilms. Der Effekt wird noch dadurch unterstützt, dass die Kamera in 25 Einstellungen fixiert ist und so die reine Funktion der Abbildung übernimmt. Die Kommentare Carvajals leisten ein übriges. Der fehlende Soundtrack, der auch im übrigen Film nur spärlich zum Einsatz kommt, unterstreicht dies ebenso. Durch diese Techniken wird Authenzität erzeugt, die die ganze Handlung des Films historisch und lokal fixiert erscheinen lässt.

Aguirre selbst, der in dieser Szenenfolge nur sporadisch und gelangweilt auftritt, weil ihn weder die Indios noch das Gold interessieren, wird immer mit leichter Untersicht präsentiert. Diese Filmtechnik vermittelt das Gefühl, bei ihm handele es sich tatsächlich um einen Übermenschen.

5. Weitergehende Betrachtungen

Wie gezeigt, fungieren die Protagonisten in Aguirre, der Zorn Gottes, mehr als Prototypen, denn als reelle Figuren. Sie können als Beispiel der Konquista angesehen werden. Es sind nicht einige wenige, verschlagene Konquistadoren, die sich zum Erobern aufgemacht haben, sondern es ist die ganze alte Welt mit ihren Funktionsträgern, die sich in die „Neue Welt“ aufgemacht hat. Da fehlen ebensowenig der Adel, wie der Klerus, die Slaven und die Familie.

Das Scheitern, das sich symbolisch bereits am Anfang des Films im Abstieg der Expedition aus den Anden in das Urumbamba-Tal andeutet, findet seine Entsprechung in der Kolonialzeit selbst. Es zeichnet sich ab als die Erfolglosigkeit, mit der die Nationen versucht haben, Gold und Ruhm zu finden und doch nur einen Kontinent in ein Blutbad verwandelt haben. Das Scheitern der Protagonisten an der Natur (repräsentiert durch den Fluss und die Indios) hat seinen Grund in der völlig asymmetrischen Kommunikation, verursacht durch Egoismus und Unverständnis. „Aguirres Größenwahn, seine Maßlosigkeit sind die des Kolonialismus“ , schreibt Wetzel Kraft. Letztlich kann Aguirre, der Zorn Gottes also als eine Parabel auf die Kolonialzeit verstanden werden.

Das Thema des Films ist aber auch die Alterität, „das Andere“, das sich immer wieder in den Konflikten der europäischen Kultur mit der der Indios, der Frauen mit den Männern und des Menschen mit der Natur zeigt. Wie oft in den Filmen Herzogs wird auch hier kein echter Ausweg aus dem Dilemma gezeigt, sondern die absolute Katharsis der Zerstörung (durch Suizid im Falle Inez oder tödlichen Kämpfen, wie zwischen den Indios und den Konquistadoren oder die Übernahme des Floßes durch die Affen) ist es, die die Konflikte beendet.

Der Schauplatz der Handlung – die Natur Lateinamerikas – ist Letztenendes der einzige Feind, dem Aguirre noch gegenübersteht. Aguirre bleibt am Ende allein und er gehört da nicht hin, wo er ist. Er wird vernichtet, weil er sich gegen die übermächtige Natur aufgelehnt hat, anstatt zurück- oder gar heimzukehren.

Die Bilder dieser Natur sind es, die den Film bestimmen. Der Fluss mit seinen reißenden Stromschnellen, die Schmetterlinge, der Wald, der einer „grünen Wand rechts und links des Flusses“ gleicht, die Affen, die am Ende das Floß übernehmen: Sie besiegen Aguirre wirklich. Und die Aufnahmen der Natur lassen dann schließlich auch keinen Handlungsspielraum mehr zu. „Herzogs Filme […] [enthalten] die Tendenz, sich in schwelgerische, rauschhafte Bildfolgen auszuweiten, worin die Personen nur mehr wenig Gelegenheit zum Handeln finden“

6. Schluss

Die vorliegende Analyse hat die Frage zu beantworten versucht, wie Aguirre, der Zorn Gottes die Konquista darstellt und bewertet. Dabei hat sich vor allem gezeigt, dass Herzog versucht, über die Konstruktionen der Charaktere sowohl einen Einblick in seine Bewertung des Kolonialismus zu geben, als auch seine philosophischen Intentionen bezüglich der sinnlosen Revolte des Aguirre darzustellen.

Gerade dieser Aspekt der Werner-Herzog-Filme ließe sich noch auf psychologischer Basis auswerten. So kommt Herzog in einem Interview selbst zu dem Schluss, dass „zwanghafte Symbiosen zwischen mir und bestimmten Hauptfiguren“ bestehen. Diese „Symbiosen“ führen einige Interpreten auf eine gestörte Entwicklung seines Überichs zurück, die im frühen Verlassen des Vaters begründet sind. So könnte es sich bei seinen Hauptfiguren auch immer um Ersatzväter handeln.

Der philosophische und politische Diskurs, den der Film Anfang der 70er Jahre unterstützt, spiegelt sich eindeutig in den Bestrebungen des Aguirre wieder. Er setzt sich in den bisher unberührten Dschungel hinein, wie in ein eigenes Reich und will dort mit seiner Tochter Flores eine Dynastie gründen. Er nennt sich selbst den „Zorn Gottes“, versucht einen Schöpfer-Mythos zu begründen, erklärt „das Haus von Habsburg aller seiner Recht verlustig und [..] Philip II, [den] König von Castilien, enttront.“ , um das Re-Mapping der kulturellen und geografischen Landkarte Lateinamerikas unter seinem eigenen Namen durchführen zu können.

Aguirre ist der einzige Lateinamerikafilm Herzogs, in dem sich diese Dimension findet. In „Fitzcarraldo“ sind es „nur“ noch Neurosen, die den Helden vorantreiben. Aber auch dort ist es die Natur selbst, die ihn zum Scheitern verurteilt.

7. Anhang: Sequenzprotokolle

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8. Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

  1. Film: Herzog, Werner „Aguirre, der Zorn Gottes“, Werner-Herzog-Filmproduktion, 1990
  2. Herzog, Werner „Drehbücher 2“, Skelling-Edition, München, 1977

Verwendete Literatur

  1. Corrigan, Timothy (Hrsg.) „The films of Werner Herzog“ Methuen & Co. Ltd., 1986
    de la Vega, Garcilaso „Wahrhaftige Kommentare zum Reich der Inka“, Rütten & Loening, Berlin 1983, 1. Aufl.
  2. Elsaesser, Thomas „Der Neue Deutsche Film – Von den
    Anfängen bis zu den Neuziger Jahren“, Heyne-Filmbibliothek, Wilhelm
    Heyne Verlag, München 1989
  3. Galeano, Eduardo „Die offenen Adern Latein Amerikas“, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1973, 15. Aufl. 1992
  4. Gewecke, Frauke „Wie die neue Welt in die alte kam“, Stuttgart 1986
  5. Internet-Movie-Database: http://www.leo.org/M/person-exact?name=Werner+Herzog
  6. Pflaum, Hans Günther „Interview“, in: Werner Herzog, Reihe Film 22. Hanser Verlag, München – Wien, 1979
  7. Theobaldy, Jürgen „Fahrten ins Ungeheure“, in: Werner Herzog, Reihe Film 22. Hanser Verlag, München – Wien, 1979
  8. Wetzel, Kraft „Kommentierte Filmografie“, in: Werner Herzog, Reihe Film 22. Hanser Verlag, München – Wien, 1979