Jack the Ripper ist:

Dracula (USA 1931, Tod Browning) (DVD)

Zugegeben: eine kriminalhistorisch gewagte These, aber sieht man sich einmal Brwonings Film an, so entdeckt man eine überraschende Übereinstimmung in der Motivwahl beider "Stoffe".

Das London des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist es, an dem Dracula sein neues Wirkungsgebiet entfaltet. Geschützt durch den Nebel (ein sich durch die gesamte Jack-the-Ripper-Rezeption ziehendes Motiv) ist seine erste Handlung- nachdem der Zuschauer durch die Schrifttafel "London" über den Ort informiert ist – der Überfall eines "Blumenmädchens" (s.o.). Wie ein Gentleman tritt er mit Zylinder und Umhang auf, gibt sich als Großstädter – und auch dies korrespondiert mit der Motivgeschichte der Ripper-Stoffe.

Stoker zieht 1878 von Dublin nach London und veröffentlicht dort 1897 seinen Roman "Dracula". Dass er von den Geschehnissen im Jahre 1888 nichts mitbekommen hat dürfte angesichts der medialen Ausschlachtung der Ripper-Morde äußerst unwahrscheinlich sein; dass sie keinen Einfluss auf die zweite Hälfte seines Romans genommen haben, halte ich für fraglich. Viel zu groß war das horrible Potenzial, dass ein durch das nächtliche London streifender Frauenmörder mit sich brachte. Vielleicht ist "Dracula" der erste prominente Versuch einer literarischen Verarbeitung des Geschehens.

Brownings Film, der ja nicht direkt auf Stokers Roman, sondern auf Hamilton Deanes Bühnenstück basiert, entbirgt über die Inszenierung seiner Motive jedenfalls die vielleicht verdeckten Bezüge beider Stoffe zueinander. Etliche der nächtlichen Stadtaufnahmen ähneln in Perspektive und Ausschnitt stark den Vorgängern "The Lodger" und "Die Büchse der Pandora".

***

Mir ist vor allem die ungemeine Zurückhaltung von Brownings Film aufgefallen. Das Grauen bleibt stets der Assoziation des Zuschauers überlassen. Entweder schwenkt die Kamera weg (etwa, wenn Dracual seinem Sarg entsteigt) oder zeigt nicht, was Gegenstand des Gespräches ist (vor allem die immer wieder erwähnten Wunden an den Hälsen der Opfer). Im Vergleich zur spanischen Fassung, die am selben Set zur selben Zeit gedreht wurde und nichts ausspart, wirkt der Lugosi-Film geradezu "züchtig".

Er schöpft sein Potenzial vielmehr aus den Figuren, die mit Kamera- und Beleuchtungstricks "aufgegruselt" werden. Hervorstechend ist vor allem das Leuchten der Augen – und damit ist nicht einmal das ziemlich plumpe andauernde Anleuchten von Lugosis Augenpartie gemeint, sondern die oftmals weit aufgerissenen Augen der anderen Protagonisten. Hier beerbt Brwoning das expressionistische Kino deutlich und erzielt einen Effekt, den die Erzählung vergeblich zu erreichen bemüht ist.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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Eine Antwort zu Jack the Ripper ist:

  1. kaspar sagt:

    Sehr schöner Eintrag mit Esprit. Die Wirkungsthese würde einem Stephen Greenblatt zur Ehre gereichen.

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