Im Schatten des Zweifels (Shadow of a Doubt, USA 1943, Alfred Hitchcock) (Das Vierte)
Vorgestern abend habe ich die halbe Wohnung nach dem Film durchsucht, weil ich der Meinung war, Miriam müsste ihn doch in ihrer Hitchcock-Sammlung haben – Fehlanzeige. Gestern kam er dann – strange coincidence – gleich zwei Mal auf "Das Vierte". Ich habe allerdings den Verdacht, dass er dort gekürzt lief, denn anders kann ich mir die Handlungs- und Logiksprünge im Film kaum erklären (zumal, wenn Hitchcock gegenüber Truffaut behauptet, dass "dieser Film auch unsere Freunde die Wahrscheinlichkeitskrämer und unsere Freunde die Logiker zufriedenstellt.")
"Shadow of a Doubt" ist sozusagen Hitchcocks zweiter Serienmörderfilm (nach "The Lodger"). "Sozusagen", weil er genau wie dieser eigentlich gar kein Serienmörderfilm ist, sondern ein Film, der einen Nebenkampfplatz zeigt, während die Verbrechen des Serienmörders im erzählerischen "Off" geschehen.
Wie jener sympathische "Mieter" im Stummfilm ist "Onkel Harry" auch hier verdächtigt, ein mehrfacher Frauenmörder (mit dem von der Presse verliehenen Titel "Der Lustige Witwen Mörder") zu sein. Die Polizei jagt ihn und noch einen zweiten Mann. Charles flüchtet vor ihr aus New York in eine Kleinstadt zur Familie seiner Schwester. Doch die Ermittler folgen ihm und beginnen die Familie auszufragen. Langsam nährt sich vor allem bei der Nichte, die ebenfalls "Charly" heißt der Verdacht, dass ihr Onkel etwas zu verbergen habe. Und in der Tat klärt sie der Polizeiinspektor bald auf. Für Charly, die ihren Onkel sehr liebt, bricht eine Welt zusammen. Sie will nicht glauben, dass er ein Serienmörder ist – gleichwohl sie sogar Beweise dafür hat (als Gastgeschenk hat sie von Onkel Charles einen Ring mit den eingravierten Initialen eines der Opfer bekommen und auch seine schlechtes Reden über Witwen sowie seine Abneigung gegen Operetten Franz Lehárs ist ihr nicht ganz geheuer).
In einem Parforce-Ritt treibt Hitchcock die Handlung auf den Höhepunkt und die Gewissheit zu: Charles ist der Mörder und er versucht nun, seine wissende Nichte aus dem Weg zu räumen. Diese Erkenntnis stellt sich in der letzten Viertelstunde des Films ein. Während der Anfang recht schleppend von statten ging, schlägt die Erzählung nun Kapriolen, lässt etliches fort, was den Plot plausibel gemacht hätte und flüchtet sich zeitweise sogar in waghalsige Behauptungen (wie etwa die drei Mordanschläge auf Charly keineswegs so hätten verlaufen können).
Nebenher führt Hitchcock einen "Krimi"-nologischen Diskurs: Charlies Vater und sein skurriler Freund Herbie sind begeisterte Krimi-Fans und tragen ständig Hefte mit Titeln wie "Unsolved Crimes" mit sich herum. Eines ihrer Hobbies ist die Erfindung des perfekten Verbrechens, ein Mord, der später vom Gericht nicht als solcher ausgelegt werden kann. Während sich Hitcock hier offebar über die schrulligen Krimi-Theorien Agatha Chriesties lustig macht, "läuft" nebenher ein modernes Verbrechen – eben der Serienmord ab. Sogar die Zeitungen in dem kleinen Ort berichten über den "Lustige Witwen Mörder". Das Gefühl, dass hier zwei Film-Welten aufeinander treffen, stellt sich nicht nur an dieser Stelle ein.



