28.08.03: Summer of Sam (VHS)
Eine
besondere Stärke von Spike Lee ist es, dass er es schafft, aus
gesellschaftlichen/historischen Ereignissen die Basis für eine
interessant erzählte Geschichte von Individuen zu machen. Das war es
auch schon, was mir an Malcolm X besonders gefallen hat.
Summer
of Sam ist daher nur in zweiter Linie ein Serienkiller-Film (der sich
im Übrigen nur vage an die Kriminalhistorie hält). Die Kriminalhistorie
wird dazu benutzt, das Bild der sich selbst verausgabenden späten 70er
Jahre nachzuzeichnen. Er funktioniert damit als Kontrast und als
Kommentar zu zeitgenössischen Filmen wie Saturday Night Fever, in denen
sich der Emotionshaushalt der Figuren viel zu sehr am Musical
ausrichtet, um authentisch zu wirken. Bei Spike Lees Film ist die Musik
eher der erzählerische Kontrapunkt. Wenn etwa ABBA zu hören ist,
passiert immer etwas unangenehmes.
Die Geschichte aus dem
italenischen Stadviertel, die in so vielem an Scorsese erinnert, sich
aber – zum Glück – nicht bei dessen Gewalt-Klischees bedient, fesselt
darum viel mehr, als die Rahmenhandlung. Und das, obwohl vieles in ihr
darauf hindeutet, dass sie ein Simulacrum ist. Denn bei aller
Authentizität und „Wahrhaftigkeit“ der Figuren und ihrer Emotionen
entlarvt der Film durch seinen Blick diese Erzählung als inszeniert,
ihren Verlauf als „zu glatt“, ihre Höhepunkte als „zu melodramatisch“,
ihre Wendung zum Ende hin als zu „happy ending“. Lee gibt nur wenige
Hinweise, dass etwas nicht stimmt: Etwa als Vinny betrunken in den
Friseur-Laden geht und sich mit seiner Chefin anlegt: Ohne Grund wird
die Sukzession dieser „Anekdote“ bildlich zerhackt und deren Fragmente
wieder aneinander montiert.
Ich vermute, dass hier die
Rahmenhandlung dann doch Einfluss auf die Binnenerzählung nimmt. „Dass
etwas nicht stimmt“ in New York, scheint nämlich die Kernaussage des
Films zu bilden. Der Killer, der ja in der historischen Realität nicht
ganz so „erfolgreich“ war, wie im Film behauptet wird, tötet fast
ausschließlich junge Paare und immer im Auto. Warum hält sich Lee hier
nicht an die Historie, in der fast alle Opfer überlebten, fast alle
weiblich waren und „nur“ die Hälfte von ihnen im Auto angegriffen
wurde? Spike Lee läst seinen Sam bewusst die Ikonografie der 70er Jahre
attackieren. Er stellt die bürgleriche gegen die sexuelle Hysterie. Er
greift die Statussymbole an und das Konzept der bürgerlichen
Kleinfamilie. Der gesellscchaftliche Konflikt zeigt sich auch in
anderen Erzählelementen überdeutlich: an den (warum so ausführlichen?)
Szenen des Stromausfalls und der darauf folgende Plünderungen oder an
den (warum so agressiven?) Interviews mit den Schwarzen, die Statements
zum Killer abgeben sollen (aber in Wirklichkeit Mentalitätsgeschichte
einfangen) oder an der (warum so resignativen?) melodramatischen
Geschichte von Vinny, seiner Frau und seinen Geliebten oder der
vermeintlichen Emanzipation von Ricky dem Punk – dem einzigen, der
wirklich versucht auszubrechen … Der Summer of Sam ist in jedem Falle
ein makro- und mirosoziale Ereignis gewesen, behauptet Lee.



