A History of Violence (Canada 2005, David Cronenberg) (PV Off Braodway Köln)
Ein Film von Cronenberg, der fast vollständig aus dem Motivinventar des
Oeuvres fällt. Machart und intellektueller Zugang zum Thema (hier:
Gewalt und Identität) sind so sehr verschieden von dem, was man bislang
von ihm sehen konnte, dass dies wahrscheinlich der erste
Cronenberg-Film ist, den man ohne Stabangabe nicht zum Werk des
Kanadiers zuordnen könnte. Und dennoch – oder gerade deshalb – ist
„History of Violence“ eine absolut gelungene Überraschung.
Ausnahmsweise gebe ich hier mal einen Spoiler-Hinweis, weil die offene
Frage des Films in Ihrem Bezug zur Zuschauererwartung eine wichtige
Rolle spielt. Wer das Geheimnis aus „History of Violence“ also nicht
verraten bekommen will, der liest jetzt besser nicht
mehr.
Nachdem Tom, der Besitzer eines Imbisses und Familienvater, gewaltsam
einen Überfall zweier gesuchter Mörder verhindert, wird er von den
Medien zu einem Lokalhelden
stilisiert. Bald tauchen drei zwielichtige Gestalten in dem Örtchen
auf, die
Tom unterstellen, er sei ein Gewaltverbrecher namens Joey, der ihnen
aus Philadelphia bekannt ist und mit dem sie noch eine Rechnung offen
haben. Die Bedrohung durch die drei spitzt sich täglich weiter zu und
entlädt sich in einer
abermaligen Gewaltszene. In dieser tötet Tom die drei Mafiosi und
gesteht, dass er wirklich Joey ist – ein psychpathischer Killer, der
aus Gier und Lust zahlreiche Menschen ermordet hat. Irgendwann hat Joey
jedoch genug von seinem Leben in der Unterwelt gehabt, seine Identität
zu der Toms gewechselt und sich in das 600 Meilen entfernte Örtchen
zurück gezogen. Dort hat er eine Familie gegründet und bis zu dem
Überfall auf den Imbiss ein normales Leben geführt. Als Toms Frau von
diesem „Lebenswandel“ erfährt, bricht für sie eine Welt zusammen und
die Familie auseinander. Die neuerliche Gewalteskalation gegen die drei
Mafiosi führt auch Joeys/Toms Bruder Richie auf dessen Spur. Um ein
neuerliches Massaker im idyllischen Kleinstädtchen zu vermeiden, fährt
Joey/Tom ohne sich zu verabschieden nach Philadelphia, wo er auch die
Rechnung mit seinem Bruder gewaltsam begleicht. Der zurück gekehrte
Joey/Tom steht vor den Fragmenten seiner künstlichen Identität – der
zerstörten Familie, die ihn dennoch wieder in ihre Mitte aufnimmt.
Cronenberg zieht den Zuschauer mit allen zur Verfügung stehenden
Mitteln auf die Seite seines Protagonisten Tom/Joey. Die brutalen
Morde, die bis ins Detail vorgeführt und in ihren Konsequezen für die
Opfer dargestellt werden, hindern uns nicht daran, an Joey/Tom als
positivem Helden festzuhalten. Seine Verankerung in der bürgerlichen
Idylle, seine von leidenschaftlicher Liebe geprägte Ehe und nicht
zuletzt sein Heldenmut, mit dem er den Überfall zu Beginn des Films
vereitelt hat, wiegen einfach zu viel auf der Bilanz der Sympathien.
Durch diese Aufrechung gelingt es dem Film, die Mechanismen, nach denen
wir Gewalt akzeptieren oder ablehnen vollständig offenzulegen. In der
Figur von Toms Sohn, der sich zubächst als „deeskalativer Verlierer“
präsentiert, findet dieser Mechanismus seinen Übertrag. In dem Maße,
wie Tom seine Gewaltlosigkeit aufgibt und vom Opfer zu Täter wird,
ändert sich auch die Introviertiertheit des jugendlichen Sohnes, der
schließlich mit voller Brutalität gegen zwei seiner ihn mobbenden
Mitschüler zuschlägt.
Großen Verdienst an der Funktion der Geschichte trägt Viggo Mortensen,
der den ruhigen und in sich gekehrten Tom mit äußerster Ruhe spielt und
selbst in den Gewaltszenen nie als brutaler Killer dasteht. Die
Identitätsverwirrung, die sich an seiner Darstellung projiziert, könnte
besser kaum transportiert werden. Selbst als uns schon durch die
Erzählung bewiesen ist, dass Tom tatsächlich der Ex-Killer Joey ist,
können und wollen wir das nicht akzeptieren. Das Spiel mit den
Erwarungshaltungen, die sich aus dem Plot nach und nach ergeben und
forciert werden, ist Cronenbergs Meisterleistung in „History of
Violence“.




Ich fand, dass der Film insgesamt eine sehr pessimistische Einsicht suggeriert: Wenn du dein „bürgerliches“ Leben effektiv verteidigen willst, musst du irgendwie gleichzeitig auch ein kaltblütiger Killer sein. So funktioniert es jedenfalls am besten. 🙂
Mensch, maX, will den Film auch sehen – kann’s kaum bis zum 13.10. abwarten…