In China essen sie Föten!

Dumplings (HK 2004, Fruit Chan) (DVD)

Da ich wegen des Fantasy-Filmfestes wohl leider nicht dazu komme, mir
die Langfassung von „Dumplings“ im Kino anzusehen, habe ich mich
gestern mit der schon seit längerem erhältlichen HK-DVD begnügt.

Zunächst wirft die Langfassung ein ganz anderes Bild auf das Thema als
der „Kurzfilm“ (enthalten auf der Kompilation „Three Extremes“). Der
ohnehin
schon sehr minimale exploitative Gestus, die Selbstverständlichkeit des
Tabubruchs, die den Film so
beunruhigend macht, wird durch den (melo)dramatischen Plot noch weiter
zurück gedrängt. Dass sich diese Kannibalen-Geschichte vor dem
Hintergrund einer Eifersuchtstragödie abspielt, hat enorm verstörendes
Potenzial: Nun ist es nicht mehr der reine Selbstzweck („Women must
fight time.“), sondern der verzweifelte Versuch einer Frau, ihren auf
20-jährige fixierten Ehemann wieder zurückzugewinnen. Dass sich die
Geschichte dann zu einer echten Dreiecksbeziehung zwischen dem Ehemann,
seiner Frau und der Köchin entwickelt, gibt dem Plot ordentlich Drive.


Der Kanibalismus in „Dumplings“ wird auf eine Selbstverständlichkeit
vollzogen und vor einem kulturhistorischen und etymologischen
Hintergrund vollzogen, dass einem schier die Spucke fort bleibt. Die
anfängliche Kosten-Nutzen-Abwägung (den Tabubruch begehen, um ewige
Jugend zu erlangen) macht bald einer viel weiter reichenden Ideologie
Platz. Menschen haben immer Menschen gegessen oder wollten es. In ihrer
Geschichte, in der Medizin, in der Sprache – überall finden sich kannibalische Spuren. Damit bestätigt der Film eine Theorie,
die ich unlängst im Buch Christian Mosers gefunden habe, die der
westlichen Kultur genuin anthropophage Strukturen unterstellt.
Besonders perfide wird dies in „Dumplings“, weil die ehemalige Ärztin
und nun Engelmacherin & Köchin ihr gewinnorientiertes Streben aus
der traditionellen chinesischen Medizin ableitet.

„Dumplings“ ist nicht nur ein sehr intelligenter Kannibalenfilm über
Kannibalismus; er ist filmisch exzellent umgesetzt. Man fühlt sich an
die Oppulenz Greenaway’scher Küchen-Szenen erinnert, wenn man der
Köchin beim Zubereiten ihrer Klößchen zusieht. Sehr gelungene
Kamerafahrten und -perspektiven (letzere immer im Dienst der
„Erforschung des Skandals“) werden begleitet von einer wunderschönen
Farbgebung und einer ausgeklügelten Verwendung von Tiefenschärfe. Alle
Bilder des Films erzählen auf märchenhafte Weise einen Alptraum, führen
den Zuschauer optisch in Versuchung, decken kleine und große
Geheinmisse auf und leiten auf den unvermeidlichen Schluss
hin (den ich hier nicht verraten will).

Irgendwie muss ich es wohl doch noch schaffen, den im Kino anzuschauen. 🙂

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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