Blair Witch Project

Blair Witch Project (USA 1999, Myrick/Sanchez)

Im Reclam-Horror-Buch schreibt Ursula Vossen in der Einleitung über
BWP: „dass das wirklich Unheimliche das ist, was wir nicht sehen und
was sich nur in unserer Phantasie abspielt.“ (26) Damit hat sie nur die
eine Hälfte der Wahrheit (über BWP) zur Sprache gebracht. Denn ich
meine, das Unheimliche dieses Films besteht in der Differenz zwischen
Sehen und Hören. der Film eröffnet eine Blianz, in der der
marginalisierte, wesentlich basalere Sinn des Hörens überhand über das
Sehen bekommt – jenem Sinn, dem unsere Kultur den Primat am Erwerb von
Erkenntnis einräumt.

BWP spielt beide Sinne bewusst gegeneinander aus. Der Ton, der
wesentlich geeigneter ist, den „Reizschutz“ (Freud) zu druchbrechen und
chochafte Affekte auszulösen („Plötzlichkeit“ im Film wird stets mehr
über die auditiven als über die visuellen Ästhetiken evoziert), „passt“
nie zum gezeigten Bild. Entweder hören die Protagonisten etwas
(schreiende Kinder, die ums Zelt laufen, lautes Knacken im dunklen
Wald, die Schreie Joshs, ..) oder die sehen etwas (Steinhaufen,
Reißigfiguren, blutige Zähne, …). Gesehenes und Gehörtes stehen aber
nie in einem direkten kausalen Zusammenhang. Der muss erst durch
„Hineininterpretation“ eines metaphysischen Elements ergänzt werden –
dadurch entsteht „Grusel“.

BWP experimentiert gekonnt mit dieser Diskrepanz zwischen Sehen und
Hören. Das zeigt sich besonders in der Schlussszene des Films. Ich
zitiere da einmal aus einem Vortrag, den ich letztes Jahr in Berlin
gehalten habe:

Die zum Ende noch Überlebenden Heather und Mike haben das
den gesamten Film über gesuchte Hexenhaus schließlich gefunden. Mike
befindet sich mit der Farb-Videokamera, an der ein Mikrofon befestigt
ist, im Keller, Heather mit der schwarzweiß-16 mm-Kamera ohne
Tonabnehmer auf dem Dachboden. Die folgende Szene zeigt nun, wie sich
Heather voller Angst vom Dachboden in den Keller begibt. Wir sehen
dabei abwechselnd das Video- und das 16 mm-Bild, hören aber nur den Ton
der Videokamera, dem Heather hinterher zu eilen scheint. Im Keller des
Hauses lauert das Andere, dessen Bild den ganzen Film über nicht
zusammen mit seinen Geräuschen in Verbindung zu bringen war. Die
gezeigte Szene kulminiert in der Erkenntnis, dass Mike längst verloren
ist und Heather in ihr eigenes Verderben gelaufen ist. Das einzige, was
sie effektiv vor ihrem Ableben erreicht hat, ist die Wiedervereinigung
der den ganzen Film über getrennten Einheiten „Bild“ und „Ton“. In dem
Moment, wo ihre Kamerafahrt vom Dachboden in den Keller beendet und die
Synchronität wieder hergestellt ist, ist der Film zu Ende.

Und
irgendwie wird durch dieses Zusammentreffen von Bild und Ton doch in
jedem Gruselfilm der kathartische Moment inszeniert: In diesem Moment,
wo Synchronität herrst, entscheidet es sich, ob der Grusel romantisch
war (unerklärt oder aus der falschen Perspektive inszeniert, wie bei
The Others) oder ob er „nur“ die Vorbeiretung auf dem Weg von Horror
zum Terror war und in der Präsentation des Monsters oder einer
Splatterszene endet.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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Eine Antwort zu Blair Witch Project

  1. baehr sagt:

    Eine sehr schöne Analyse, wie ich finde. Zumal die Feststellung, „dass das wirklich Unheimliche das ist, was wir nicht sehen und was sich nur in unserer Phantasie abspielt.“ ein ähnlich ranziger Gemeinplatz wie „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ ist. Stimmt irgendwie immer, aber muss es wirklich schon wieder gesagt werden?

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