(über Die Kriegs-Filme des David Cronenberg)
Ein Krieg tobt. Ganz im Verborgenen, aber an Milliarden Fronten gleichzeitig. Eine Schlacht, die seit jeher von den gleichen Parteien geführt wird, die den Angreifer immer erbitterter zuschlagen, den Angegriffenen sich immer verzweifelter wehren lässt.
Ein Krieg mit ungleichsten Waffen geschlagen: Die Zeit und das Fleisch gegen die kleinen elektrischen Blitze: das Ich. Seit ich denken kann, kämpfe ich in diesem Krieg: Das Bewusstsein gegen den Körper: Ein ständiger Zustand von Stalingrad! Doch je bewusster ich mir meiner Niederlage werde, desto erbitterter versuche ich sie zu verhindern.
Kann ich mein Fleisch bezwingen, oder wird der Zynismus siegen: das was „ichÒ sagt zum fleischlichen sarg dieses ich werden? Ich bin ein kriegsgefangener meines Körpers, der mich jeden abend begnadigt, um mich morgens erneut dem Erschießun gskommando vorzuführen.
Damit ist im Großen und Ganzen beschrieben, worum es gehen soll. Mein Bewusstsein verneint die Endlichkeit seiner Hülle, doch diese geht radikal ihrem Ende entgegen – durch nichts aufzuhalten.
Einer ist da, der analysiert die Strategien, vergleicht die Gegner, dokumentiert den Krieg: David Cronenberg – Propagandist des Neuen Fleisches. Eines Fleisches, dass des Bewusstseins überdrüssig geworden ist, denn es ist ein Bewusstsein für sich selbst. Dass seine Endlichkeit nicht mehr in Frage gestellt sehen will und sich aus dem Sklaventum des Lebens empört. Es hat erkannt, dass, wie es den Körper zum Tode verurteilt, er dieses auch zum leben verdammt. Es strebt nach Autonomie und Entwicklung und seine einzige Chance erkennt es in der Evolution seiner Substanz.
„In meinem Kopf wächst kein Tumor – es ist ein neues Organ“, sagt Professor Brian (brain) O’Blivion in Videodrome. Er erkennt die Krankheit als r-evolutionären Akt an. Sicher: das neue Organ ist für ihn (noch?!) unbrauchbar, es br ingt ihn um, aber es befreit seinen Körper. Er scheint diesen Untergang in Kauf zu nehmen, zumindest hat er ihn selbst herbeigeführt.
„Mein Körper rebelliert gegen mich.“, sagt ein anderer Protagonist Cronenbergs in the brood. Nachdem er diesen Körper der Psychoplasmatik – einer neuartigen, fleischlichen Psychotherapie – unterworfen hat, kontert dieser: Lymphdrü senkrebs.
Zugegeben: Auch der Krieg Cronenbergs ist immer derselbe, nur die Fronten variieren. „Sex ist eine Schlacht – Liebe ist Krieg.“, könnte das Motto shivers lauten. Ein Parasit fungiert hier als Kriegsschürer und deutet so die sexuelle Re volution ganz neu.
Von der todesorgiastischen Katharsis des Neuen Fleisches in shivers und rabid führen Cronenbergs „Beschreibungen eines Kampfes“ über die Verschmelzung der Körper in scanners, dead zone und dead ringers, über die Suche nach Ve rbündeten im Fremd-Genom (shivers und der fliege) bis hin zur Annexion der Technologie (in Videodrome, und crash). Doch immer ist es das Bewusstsein selbst, dass das Neue Fleisch in die Situation führt, die es zur Revolution nutzt.
Ein bunter krieg: rot wie Blut, gelb und grün wie die Sekrete, blau wie die Hämatome; ein vielseitiger Krieg: terminal-erotisch, brüllend-laut und schleichend-leise, in der Familien-Brut oder auf verlorenen Autobahnen.
Und allemal spannender als die transzendenten Fluchten in ein Leben nach dem Tode: Für Cronenberg liegt das Potential des Neuen Fleisches im Leben, Pardon: Sterben vor dem Tod. Er stellt die „Warum?“-Frage der Philosophie mit neuen Akzent: mit welchem Recht behaupten die synaptischen Ströme meines Gehirns „Ich“ zu sein?
Ist das eine neue Fleisch-und-Blut-Mystik, in der nur die Entwicklung der Substanz Geschichte macht? In der dem Intellekt das Licht, Angesichts der unendlich größeren Potentiale des Neuen Fleisches, ausgelöscht wird? Ich glaube kaum, denn einen Cronenberg-Film hat – so gesehen – noch niemand überlebt, um als Sieger daraus hervorzugehen. Sein Resümee: Der krieg besteht fort und kennt keine Gewinner, nur Verlierer. Worauf es ankommt, ist, wer die bunteren, die vielseitigeren Wunden davonträgt; eine Ars Morandi.