Töne, Daten und Signale*
Computer waren immer schon tönende Maschinen: die laut vernehmlichen mechanischen Operationen der frühen Analogrechner, das Klicken der Relais und Summen der Elektronenröhren in den ersten Generationen der Digitalcomputer, das Brummen der Netzteile und Chopper in moderneren Analogcomputern … Wo gerechnet wird, da fallen Töne (an), könnte man sagen. Doch so, wie es immer schon solche ungewollten akustischen Ausgaben des Computers gab, kam der Generierung von Schall von Beginn an auch eine Aufgabe zu. Mein folgender Beitrag möchte diese zweite Dimension des Akustischen historisch nachvollziehen und die Zusammenhänge zwischen Audio- und Speichermedien zeigen.
Von Drähten, Streifen und Wellen
Als nach den frühen, experimentellen Digitalcomputern der 1950er-Jahre ernsthafte Überlegungen dahin gingen, eine Architektur für derartige Maschinen zu entwerfen, die den gestiegenen Anforderungen von Wissenschaft und Militär genügen könnte, kam auch bald die Frage auf, wie unterschiedliche Signale – nämlich Programme und Daten – kurzzeitig im Rechner und auf Dauer außerhalb gespeichert werden können. Hatte der ENIAC zum Beispiel noch gar kein »Software-Programm«, sondern eine Repräsentation desselben in Form von Patchboard-Verdrahtung, so sollte ein neuer Computer ohne großen Aufwand Programme auf einem externen Medium speichern und von diesem lesen können. Konrad Zuse hatte mit seiner Z1 bereits einen passablen Weg dazu gefunden: Die Rechenprogramme seines mechanischen Digitalcomputers wurden in ausgediente 35-mm-Filmstreifen gestanzt und diese »Lochstreifen« später wieder von diesem eingelesen, wenn das jeweilige Programm gebraucht wurde. Ein so gestanztes Programm konnte dann beim Einlesen abgearbeitet werden – die langsame Einlesezeit kam der mechanisch arbeitenden Maschine und der emp ndlichen Lochstreifenlese-Vorrichtung entgegen. Problematischer war allerdings die Frage, wie die nicht zum Programm gehörenden Daten (also die zu verrechnenden Zahlen) sowie die Zwischen- und Rechenergebnisse »in der Maschine« gespeichert werden konnten. Zuses Z1 regelte dies mechanisch: Eingaben veränderten den Aufbau der Maschine. Aber spätestens als die Computer elektronisch wurden (und man nicht wieder auf Verdrahtung wie beim ENIAC zurückgreifen wollte), war das Problem wieder da.
Einer der ersten Lösungswege nutzte die Tatsache, dass Wellen, um sich in einem Medium auszubreiten, Zeit benötigen. Der Effekt ist vom Echo bekannt, welches erst nach einiger Zeit an seinen Ausgangsort zurückkehrt. Im EDSAC, der in den frühen 1950er-Jahren in England gebaut wurde, fanden sich daher neben den Lochstreifen als externem Speichermedium so genannte »Quecksilber-Verzögerungsspeicher« zur kurzzeitigen Aufbewahrung von Daten im Computer. Sie nutzten Ultraschall-Impulse als Speichersignal. Diese wurden durch einen kleinen, elektrisch angeregten Piezokristall erzeugt. Der Kristall war mit Quecksilber in Berührung, in welchem sich die Schallschwingung mit etwa 7200 Metern pro Sekunde ausbreitete. Am anderen Ende des Quecksilberbades befand sich ein zweiter Kristall, der, durch die aufgenommene Schwingung angeregt, wieder einen elektrischen Impuls erzeugte und diesen an den Rechner zurückgab. Sollte das Signal länger gespeichert werden, so wurde es einfach wieder an den ersten Kristall abgegeben und lief so lange um, bis es vom Computer abgerufen wurde. Auf diese Weise konnten seriell Signale (Bits) gespeichert werden.
Bits on a wire and Bytes on a string
Das Problem der Quecksilber-Verzögerungsspeicher lag in ihrer enormen Größe, die unter anderem durch die recht hohe Geschwindigkeit des Signaldurchlaufs im Medium Quecksilber bedingt war. Darum überführte man das Prinzip noch im selben Jahrzehnt auf ein anderes Medium: Anstelle von Quecksilber wurden mit nicht-magnetisierbaren Drahtspulen (etwa aus Nickel) in so genannten Torsions-Verzögerungsleitungen ebenfalls Kristalle in Schwingung versetzt. Der Schall lief nun durch den Draht und wurde am anderen Ende durch einen zweiten Kristall aufgenommen, elektrisch verstärkt und an den ersten Kristall abgegeben. So ließen sich Signale beliebig lang auf dem Draht speichern; und je länger der Draht war, desto mehr Signalimpulse konnte er gleichzeitig transportieren – ein enormer Vorteil gegenüber dem Quecksilber.
Bis in die 1970er-Jahre fanden sich solche Draht-Speicher in Rechenanlagen – zumeist in Tischrechnern. Ihr immer noch beeindruckender Platzbedarf wurde angesichts der hohen Preise von Halbleiterspeichern toleriert. Im Gegensatz zu diesen und aufgrund ihrer Größe konnten Verzögerungsspeicher aber immer nur als Zwischenspeicher genutzt werden. Für Programme benötigte man mehr Platz. Die SRAMs (auf Flip-Flop-Schaltungen basierende Speicher) und dann die viel kleineren und billigeren DRAMs (bei denen ein Transistor bestimmt, ob ein Kondensator geladen wird oder nicht – dieser Ladezustand muss dann aber wie bei den Verzögerungsspeichern regelmäßig refreshed werden) wurden daher immer populärer, was ihren Herstellungspreis drückte.
Das bedeutet aber keineswegs, dass die Töne damit aus dem Computer verschwanden. Sie waren zu dieser Zeit längst auf einem ganz anderen Weg in die Technologie eingewandert. Dazu ein kleiner Rücksprung, der die Familienbeziehungen noch deutlicher macht: Ende des 19. Jahrhunderts wurde an verschiedenen Enden der Welt an dem Problem laboriert, wie sich Ton dauerhaft speichern lässt. Im Jahre 1890 erfand der Däne Valdemar Poulsen eine Möglichkeit, Töne auf Draht (!) aufzunehmen. Sein »Telegraphon« magnetisierte dazu mittels einer Aufnahmespule ein Metallband, das, wenn es später durch eine Lesespule geführt wurde, Wechselspannungen erzeugte, die wieder als Ton ausgegeben wurden. So konnte man eine viertel Stunde Musik auf etwa 2,2 Kilometern Draht aufnehmen (wenn dieser mit circa 6 Zentimetern pro Sekunde transportiert wurde).
Auch hier zeigte sich ein markantes Missverhältnis zwischen Material, Platzbedarf, Speichergröße und Qualität. Daher wurde dringend nach einer Alternative gesucht: Dünnste Trägermaterialien wurden getestet: Zunächst diente Papier, dann Zelluloid und schließlich Kunststoff als Untergrund für die Beschichtung mit magnetisierbarem Material. Das Magnettonband, wie es bis heute bekannt ist, löste in den 1930er-Jahren nicht nur das Drahttongerät ab, sondern wäre auch rechtzeitig zur Erfindung des Computers verfügbar gewesen. Dieser fand jedoch erst später Anschluss an diese Technologie.
Magnetbandspulen
Wer kennt sie nicht, die riesigen Computeranlagen, die in den Filmen der 1950er- bis 1970er-Jahre den Zuschauern Fortschritt vor Augen führen sollten? Erkennbar waren sie zumeist an den schrankgroßen Magnetbandspeicher-Einheiten, in denen Rollen rotierten und Rechentätigkeit suggerierten. Der Magnetbandspeicher bot verhältnismäßig geringen Platzbedarf, enorme Speicherkapazitäten und hohe Beständigkeit – alles Merkmale, die auf vorherige Massenspeicher gar nicht oder nur teilweise zutrafen. (Den wesentlichsten Nachteil, dass sequenziell geschrieben und gelesen werden muss, machen heute digitale Bänder durch die Möglichkeit von sektoriellem Anspringen der Daten wett.)
Es gab natürlich unzählige unterschiedliche Formate für solche Bänder – sowohl was ihre äußere Beschaffenheit (Bandbreite, Spulengröße) als auch die Signalformate auf ihnen angeht. Darin unterscheiden sie sich aber nur wenig von den Audiotonbändern, für die auch lange Zeit kaum Standards geherrscht haben. Das Format, das sich bei letzteren schließlich auf dem Verbrauchermarkt durchgesetzt hat, war – wie üblich – ein Kompromiss aus Preis und Qualität. Mehr oder weniger zum Standard hat sich bei stationären Tonbandgeräten das Viertelzoll-Format entwickelt. Für transportable Musikdatenträger wurde mit verschiedenen Formaten experimentiert, die einerseits in kleine Gehäuse verpackt werden konnten, andererseits guten Ton bei sinnvoller Speichergröße boten.
Das Viertelzoll-Format wurde erfolgreich zunächst in die so genannten »Achtspur-Kassetten« eingesetzt. Das waren etwa postkartengroße Gehäuse, in der eine einzelne Bandspule lag, die an der oberen Kante nach außen geführt wurde, wo sie am Tonkopf vorbei lief und sich dann selbst wieder aufwickelte, weshalb diese Kassette nicht zurück gespult werden musste. Das 1965 erschienene Format war vor allem bei den Herstellern von Auto-Audiogeräten beliebt. Aufgrund der massenhaften Herstellung der Gehäuse waren diese so günstig, dass sogar einige Computerhersteller ihre ROM-Platinen darin unterbrachten: Im Sorcerer von Exidy ist ein Modulschacht für dieses Format eingebaut. Ataris erstes Mikroprozessorspiel »Quiz Show« von 1976 nutzte ein »Stereo 8«-Magnetband-Modul, auf dem die Fragen gespeichert waren.
Auf nach Kansas
Achtspur-Kassetten sind heute allerdings kaum noch bekannt, geschweige denn in Gebrauch. Eine andere Bauform hat sich anstelle dessen durchgesetzt, die noch kompakter ist, langsamere Bandlaufgeschwindigkeit und daher größere Speicherkapazität besitzt und zudem günstiger zu produzieren ist. Schon drei Jahre vor der Achtspur-Kassette hatte Philips die »Compact Cassette« patentieren lassen. Bis in die 1980er-Jahre hatte das Philips-Produkt alle anderen Formate ausgestochen. Das mag daran gelegen haben, dass sich die Hersteller mobiler Audiogeräte auf die Compact Cassette konzentrierten (etwa die Firma Sony mit ihrem »Walkman« – aber auch die Radiorekorder, von denen Philips schon gleich einen batteriebetriebenen zur Vorstellung der Compact Cassette auf der Berliner Funkausstellung 1963 präsentiert hatte).
Nicht unterschlagen werden darf jedoch, dass die Compact Cassette auch schon sehr früh Eingang in die EDV als externer Massenspeicher fand. Ein Grund dafür lag in dem Bestreben der Computerhersteller der späten 1970er-Jahre, ihre Hardware »wohnzimmertauglich« zu entwerfen: Computer mussten an Fernsehgeräte passen, mit 110-/220-Volt-Spannung betrieben werden, sie sollten die Joysticks der weit verbreiteten Atari VCS nutzen können – und sich eines Massenspeichers bedienen, der sowieso schon vorhanden war, nämlich des Magnetbandes in der Compact Cassette. Damit letzteres gewährleistet werden konnte, war zunächst allerdings eine Standardisierung notwendig.
Im November 1975 veranstaltete deshalb das »BYTE Magazine« einen Kongress in Kansas City, auf dem ein Daten- und Signalformat für die Verwendung von Compact Cassetten an Computern verabschiedet werden sollte. Unter den 18 Teilnehmern befanden sich auch Mitarbeiter von MITS, die den damals am weitesten verbreiteten Homecomputer ALTAIR 8800 produzierten. Bill Gates war ebenfalls dort und als MITS-Mitarbeiter gelistet.
Die Ergebnisse wurden in der Februar-Ausgabe von »BYTE« publiziert: Daten sollten fortan mit einer Geschwindigkeit von von 300 Bit pro Sekunde seriell auf das Tonband geschrieben werden; Sinuswellen mit einer Frequenz von 1200 Hertz kodierten eine »0«, Sinuswellen mit 2400 Hertz eine »1«. Auf dieser Basis wurden dann die Betriebssysteme der Rechner und ihre Hardwares konstruiert. Der Vorteil daran: Die Schwingungen lagen allesamt im hörbaren Bereich und wiesen eine Datendichte auf, die sich problemlos auf Compact Cassetten schreiben ließ.
Datassettensalat
Commodore baute 1977 in seinen ersten Homecomputer PET 2001 nicht nur einen Monitor, sondern auch gleich ein Kassettenlaufwerk ein, das Compact Cassetten zur Datenspeicherung nutzte. Weil die Signale sich in ihrer Art nicht von denen normaler Musikaufnahmen unterschieden, wurde kurzerhand ein handelsüblicher Kassettenrekorder in großen Stückzahlen eingekauft, ein wenig bearbeitet (das Batteriefach musste ausgesägt werden, damit der Recorder in den Rechner passte) und mit dem Commodore-Schriftzug bedruckt. Dann konnte es eingebaut werden. Andere Hersteller, wie Apple oder Tandy Radio Shack versahen ihre Rechner mit eindeutig beschrifteten, standardisierten Anschlussbuchsen oder lieferten einen »Datenrekorder« aus eigener Produktion als Zusatzhardware. Mit Hilfe der Compact Cassette fanden auch Computerspielkonsolen, wie die G7400 von Philips (für die es ein BASIC-Modul mit Kassettenrecorder-Anschluss gab) oder die VCS von Atari Anschluss an das Computerzeitalter. Für letztere wurde ein Erweiterungsmodul namens Super Charger (mit zusätzlicher Rechenlogik) und Anschluss an Kassettenrecorder angeboten. Über diesen konnten dann vergleichsweise günstig Spiele mit höherer Qualität geladen werden.
Nicht immer wurde sich an den »Kansas City Standard« (wie der o zielle Name war) gehalten. Einige Hersteller (wie Acorn) wollten einen höheren Datendurchsatz, andere nutzten andere Frequenzen (wie Tandy/Radio Shack) – an der grundsätzlichen Unzuverlässigkeit der Datenspeicherung auf Compact Cassetten änderte dies nur wenig. Es gab Computertypen, die derartig empfindlich auf die Einstellungen des angeschlossenen Kassettenrekorders reagierten, dass es erst nach etlichen Versuchen gelang, Daten in den Speicher zu bekommen. Nutzer des ZX81 von Sinclair kennen das Problem – Verstärkerschaltungen waren für diesen Rechner schon sehr früh im Umlauf. Die im »Standard« versprochene Fehlerrate von nur 1 falschen auf 107 korrekt gelesene Bits erwies sich nämlich als recht euphemistisch.
Einige Hersteller wollten sich auch deshalb gar nicht erst auf die Kompatibilität der handelsüblichen Kassettenrekorder verlassen und bauten in ihre Geräte proprietäre Schnittstellen – um dann auch gleich eigene Datenrecorder auf den Markt zu bringen. Nicht ohne Erfolg: Die »Datassette« von Commodore ist regelrecht zum Synonym für Datenrecorder geworden. Problematisch daran war, dass man den Ladeton nicht mehr hören konnte, wie bei handelsüblichen Kassettenrekordern oder Computern, die ihn über einen kleinen Lautsprecher ausgaben (Sinclair Spectrum, Amstrad CPC). Das Laden von Band wurde daher nicht selten visualisiert und auf dem Bildschirm angezeigt – entweder als künstliches Flimmern (wie bei Commodore-Computern) oder dadurch, dass das Bild beim Laden tatsächlich zusammenbrach (siehe ZX81-Kasten unten).
Sonderwege ging auch die Firma Atari: Der Kassettenrekorder war in den proprietären SIO-Bus eingebunden und als einziger Hersteller besann sich Atari auch auf die Stereofähigkeiten der Bänder. Der »Kansas City Standard« besagte nicht, dass die Bänder nur auf einer Spur beschrieben werden müssen. Atari nutzte daher die rechte Spur für den Datensignalstrom, um auf der linken Spur Sprache oder Musik zu speichern. Weil der Ladeton über den HF-Modulator zum Fernsehlautsprecher durchgeschleift wurde, konnte (bei möglichst leisem Datensignal) während des Ladevorgangs Musik gehört werden. (Einige Zeitgenossen sollen sogar schnöde Musikkassetten eingelegt, den Atari-Recorder mit POKE 54018,52 aktiviert und anwesenden Freunden dann erzählt haben, das, was da zu hören ist, käme aus dem Soundchip des Rechners!)
Natürlich war die Compact Cassette nicht das einzige Magnetband-Speichermedium im Acht-Bit-Zeitalter. Es wurden sowohl andere Standardformate genutzt, wie die Microkassetten, die man aus manchen Anrufbeantwortern kennt und die sich etwa im Epson HX-20 nden, als auch proprietäre Formate, wie die Micro-Drives, die die Firma Sinclair in dem QL-Computer einbaute und für die es für die anderen Computer des Herstellers externe Laufwerke gab. Der Vorteil beider Klein-Formate war, dass es sich um »Endlosbänder« handelte, die sich beim Abspulen automatisch wieder aufspulten und so immer im Kreis liefen, ohne zurück gespult werden zu müssen. Damit gelang es sowohl Epson als auch Sinclair die Bänder wie Disketten nutzbar zu machen: Mittels Sektorierung ließen sich einzelne Dateien auf ihnen gezielt ansteuern, was das ungenaue, zeitaufwändige und damit lästige Hin- und Herspulen von Compact Cassetten unnötig machte.
Zurück zu den Wellen
Die Tatsache, dass sich die Signale des »Kansas City Standard« auf herkömmlichen Musikkassetten speichern ließen, brachte schnell eine alternative Verwendungsweise mit sich: Auch andere Audiohardware war deshalb grundsätzlich in der Lage, solche sonifizierten Daten zu speichern und zu übertragen. Schon im Mai 1977 war eine Ausgabe des »BYTE Magazines« erschienen, die eine Schallfolie enthielt, auf der sechs Minuten Datensignale eines 4-Kilobyte-BASICs für Motorola- 6800-Computer enthalten waren. Eine richtige Vinyl-Schallplatte produzierte der VEB Verlag Technik Berlin zusammen mit der VEB Deutsche Schallplatten Berlin, in die die BASICODE-Versionen für unterschiedlichste Heimcomputer gepresst wurde.
Der Erwerb dieser Platte, die in Herstellung wie Verkaufspreis weit günstiger als eine vergleichbare Compact Cassette war, bot für die Käufer die Grundlage, die wöchentlich im Radio der DDR ausgestrahlten Programmierkurse auch praktisch nachzuvollziehen: Wurden zu Anfang noch Bitstreams ausschließlich für den KC85 ausgestrahlt, so stellte der Autor, Horst Völz, nachdem er Kontakt zu den holländischen Entwicklern von BASICODE bekommen hatte, auf diese »Universalsprache« für Homecomputer um. Auf der Platte befanden sich nun der BASICODE-Interpreter für ganz unterschiedliche Homecomputer. Beim Anhören ermöglicht sie den akustischen Vergleich der verschiedenen System-Sounds.
Dass soni zierte Datenströme vom Rundfunk ausgestrahlt wurden, war allerdings keine Seltenheit in diesen Tagen. So gab es bis 1986 am Ende jeder Folge des »WDR Computerclub« eine Audioausstrahlung von Programmdaten (übrigens in BASICODE!), die während des Abspanns lief. Von den Redakteuren wurde diese ohrenbetäubende Tonspur liebevoll »Hard Bit Rock« getauft. Zuschauer beziehungsweise Zuhörer konnten währenddessen einen auf Aufnahme gestellten Kassettenrekorder gegen den TV-Lautsprecher halten und die Daten mitschneiden, um sie später in den eigenen Computer zu laden. Mit höherem Datenaufkommen musste allerdings auf andere Formate ausgewichen werden (etwa das »unsichtbare« Videotext-Signal, das unter- und oberhalb der Fernsehbildzeilen gesendet wird).
Fade out …
Die schwierige Handhabung der Bänder und die enorme Vergünstigung von alternativen digitalen Massenspeichern sind der Grund, warum heute eigentlich kaum noch auf Magnetbändern gespeichert wird (außer dort, wo riesige Datenmengen auf lange Zeit konserviert werden müssen – wie etwa beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach). Zeitgleich mit dieser analogen Speichertechnologie hat sich auch der Datenträger selbst verabschiedet: Nachdem die Compact Cassette zunächst »digitalisiert« wurde (Digital-Bänder sind an einer Kerbe im Gehäuse erkennbar), lebt sie heute vor allem als nostalgische Anspielungen weiter: iPod-Hüllen im Compact-Cassetten-Format, Krawatten aus ausgedienten Bändern und Ähnliches.
Allerdings hat sich im Zuge der Retro-Bewegungen auch die Kunst wieder dieser Datenträger und ihrer Aufnahmen angenommen. Der »Krach«, der auf den Datenkassetten gespeichert ist, lässt sich entweder selbst musikalisch modulieren (rtro.de/zxmarch) oder er bildet die Grundlage für Noise-Experimentalmusik und selbst für Techno- und House-Music-Kompositionen im Retro-Style. So ist im vergangenen Jahr aus den »sonischen Ausgaben« meines EACA Video Genie I (ein TRS-80-Nachbau der deutschen Firma Trommeschläger) ein solches Stück komponiert worden. Dabei kam nicht nur der Hard Bit Rock des eingebauten Datenrekorders zum Einsatz, sondern auch noch andere Geräusche des Gerätes: Tastaturklappern, Tastendrücken, Summen und Brummen der Hardware. Anhören kann man sich das vom Komponisten Moritz Wessing mit »Datenklang« betitelte Stück unter rtro.de/datasng.
Bildstörung
Warum der ZX81 zeigt, was man hört
Besitzer des Sinclair ZX81 werden den E ekt kennen: Wenn man ein Programm von Kassette in den Speicher des Computers lädt, ereignen sich merkwürdige Dinge auf dem angeschlossenen Fernsehbildschirm: Nach Eingabe von LOAD „“ (durch Drücken der J-Taste) und NEW LINE zeigen sich breite, vertikale Streifen. Sobald vom angeschlossenen Kassettenrecorder Signale an den Rechner übertragen werden, wechselt das Bild zu hektisch ackernden Diagonal-Mustern verschiedener Grauwerte. Ein ähnlicher E ekt tritt beim Speichern von Programmen auf Kassette auf: Dann erscheinen dünne, horizontale, aber ebenfalls ackernde Linien.
Der Grund ist im einfachen Aufbau des 1981 als Bausatz und später als auch gebrauchsfertig erschienenen Computers zu nden. Der ZX81 verfügt über keine eigenen Sound- und Videoprozessoren. Diese Arbeit übernehmen allein der eingebaute Z80-Mikroprozessor und die ULA (ein Sinclair-spezi scher Logikbaustein). Letztere erzeugt das Synchronisationssignal für die Bildausgabe und gibt es über denselben Pin aus, wie die Lade- und Speicher-Bits des Z80 von und zur Kassettenbuchse. Weil aber die Datenübertragung Priorität hat, wird die Synchronisation des Bildsignals so lange überlagert. Anstelle dieser »synchronisiert« nun der Datenstrom der Kassette das Bild. Kenner des Gerätes können anhand der scheinbar chaotischen Anzeige sogar erkennen, ob die Daten korrekt gelesen werden. Das ist angesichts der sehr emp ndlichen Datenübertragung oft auch notwendig. Beim ZX81 lässt sich also ganz ohne Hilfsmittel zeigen, was der Compuer »hört und sagt«.
Sound ohne Soundchip*
Tonerzeugung mit dem TrS-80 Model 1
Beim ersten Modell des TRS-80 aus dem Hause Radio Shack war Sparen angesagt. Um auf dem gerade entstehenden Homecomputer-Markt punkten zu können, musste die im Rechner verbaute Hardware so günstig sein, dass man damit Käufer erreichen konnte, denen die Produkte der Konkurrenz (Apple und Commodore) zu teuer waren. So war die Ausstattung des zur Einführung 1977 nur 499 US-Dollar teuren TRS-80 sehr spartanisch: nur vier Kilobyte RAM, ein sehr kleines BASIC-ROM, kein HF-Modulator – aber einige Anschlussmöglichkeiten, unter anderem an einen externen Kassettenrecorder zur Datenspeicherung. Hierfür musste der Mikroprozessor des TRS-80 einen Bitstrom generieren, der (in leichter Abweichung vom »Kansas City Standard«, siehe Artikel in diesem Heft) in analoge Tonsignale umgewandelt wurde.
Dass der TRS-80 weder über einen Soundchip noch über einen eingebauten Lautsprecher verfügte (letzterer fand sich sowohl beim Apple II als auch beim PET, die zeitgleich erschienen), machte den Rechner scheinbar unfähig für jede Soundausgabe. Den Umweg fanden Programmierer jedoch über den Kassettenrekorder-Anschluss, aus dem – wie gesagt – Audiosignale kamen: Man konnte den Mikroprozessor Z80 (natürlich in Maschinensprache) so programmieren, dass das von ihm erzeugte Bitmuster eine Tonkurve ergab. Mit den nahezu rechteckigen Signalen ließ sich zwar kein schöner, aber ein durchaus stabiler Sound erzeugen. Spiele wie »Zaxxon« oder »Robot Attack« nutzten dies – letzteres bot sogar eine Sprachausgabe. Man musste den Kassettenrekorder-Anschluss des Rechners lediglich mit einem Verstärker oder Kopfhöhrer verbinden und konnte dann hören, was einem der Z80 zu sagen oder zu singen hatte.
* zuerst erschienen in: Retro Nr 28 (Sommer 2013), S. 14-19.
** zuerst erschienen in: Retro Nr 28 (Sommer 2013), S. 13.
Eine Ergänzung zum Thema Atari 2600/VCS: Auch der Compumate von Spectravideo (hierzulande mit „Universum“-Aufkleber von Quelle vertrieben) konnte zum Laden und Speichern von Programmen über ein handelsübliches Kabel mit Klinkenstecker an Audioein- und Ausgänge eines Cassettengeräts angeschlossen werden.