Nummer 6 – Der General (The Prisoner – The General, UK 1967, P. G. Scott) (Blu-ray)
Ich schaue mir derzeit erstmals die „60er-Jahre-Kult-TV-Serie“ „The Prisoner“ an, die vor kurzem auf ARTE ausgestrahlt und danach auf DVD und Blu-ray-Disc erschienen ist (letztere rezensiere ich für F.LM).
Gestern Abend bin ich bei der Episode „Der General“ angekommen, in der es darum geht, dass das gesamte „Village“ an Schnelllern-Kursen über Geschichte eines ominösen Professors teilnimmt, die dieser mit Hilfe einer Technologie durchführt, welche ein noch ominöserer „General“ entwickelt hat. Der Professor entwirft seine wöchentlich im TV übertragenen Lektionen, bei denen man in drei Minuten „Schulfernsehen“ so viel lernt wie in drei Jahren Universitätsstudium, indem er sie zunächst zu Papier bringt, sie dann von einer Maschine auf einen metallenen Lochstreifen übertragen lässt, woraus sodann „Speicherstifte“ generiert werden, die in eine TV-Ausstrahlungsapparatur eingesetzt werden. Der Titelheld „Nummer 6“ hat den Verdacht, dass der Professor zu der Tätigkeit gezwungen wird, und versucht herauszufinden, wer „der General“ ist und ein eigenes Programm in die Kurshardware „einzuhacken“. Gegen Ende stellt sich heraus, dass es sich beim General um einen Supercomputer handelt, der alle ihm eingegebenen Fragen beantworten kann. „Nummer 6“, der herausgefunden zu haben meint, dass mit Hilfe der Schnelllernkurse Gehirnwäsche bei den Bewohnern von „The Village“ betrieben wird, gibt dem Computer eine Frage ein, die ihm zufolge weder ein Mensch noch ein Computer jemals lösen kann – es ist die Frage „Why?“
Nun, dass diese Frage nicht gelöst werden kann, liegt zuvorderst daran, dass das „Warum?“ einen konkreten Fragegenstand benötigt, um eine sinnvolle Antwort zu erfragen. Ist das Drehbuch also schwach (etwa weil der Autor vorher eine Heidegger-Lektüre über das Fragen hätte einschieben sollen)? Oder steht hinter der Unlösbarkeit des „Warum?“ vielleicht die leitmotivische (und bis dato unbeantwortet gebliebene Frage nach dem Grund des Ausscheidens aus dem Geheimdienst von Nummer 6, was ihn ja bekanntermaßen in „The Village“ geführt hat)? Oder – und diese Möglichkeit behagt mir am meisten – ist das „Warum?“ vielleicht die Frage nach „dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ (um es mit Douglas Adams auszudrücken)? Wird also an den Computer eine Frage der Metaphysik gerichtet, die mit bloß weltlichen Mitteln nicht zu beantworten ist, weshalb das „Elektronengehirn“ erwartungsgemäß „durchdreht“, zu qualmen beginnt und explodiert?
Die Beziehungen zwischen Computern und theologisch-metaphysischen Fragestellungen (heute ist übrigens der erste Teil meines „Computer und Gott“-Essays bei Telepolis erschienen) hat eine lange (fiktionale) Tradition. In „The Prisoner“ verbindet sie sich passgenau mit dem zentralen Thema der Serie: „Nummer 6“ wird an einen mysteriösen Ort verschlagen, den er weder verlassen kann, noch herausfinden kann, wo er liegt und (zumindest zu Beginn) schon gar nicht, wer ihn regiert (also wer die „Nummer 1“ ist). Neben den zeitpolitischen Implikationen und diskurshistorischen Lesarten des Stoffes bietet sich natürlich insbesondere auch eine symbolische an – bzw. drängt sich gerade zu auf: Nummer 6 ist ein im Heidegger’schen Sinne Sinnbild eines Geworfenen, ein Gefangener in einer geschlossenen Gesellschaft nach Sartres Vorbild. Die gesamte Serie atmet intensiv den Geist des Existenzialismus und stellt von Episode zu Episode neue Aspekte desselben in fiktionaler Verkleidung vor.
Der Computer, der als eine Maschine mit dem vollständigen Überblick vorgestellt wird, welcher auf alles, was in der Welt (von „The Village“) geschieht, eine Antwort geben kann, wird hier mit der Frage nach dem „Sinn vom Sein“ konfrontiert, die nun notwendigerweise die einzige ist, die sein Wissen „übersteigt“, weil sie ihn auch selbst betrifft. Dass dem „Warum?“ auf der semantischen Ebene ein sinnvolles Frageobjekt fehlt, macht die Unlösbarkeit der Frage „in dieser Welt“ für den Zuschauer nachvollziehbar – in einem philosophischen Kontext betrachtet ließe sich diese Objektlosigkeit auf das Fehlen eines „Erfragten“ übertragen, was die Frage somit unstellbar erscheinen lässt. Damit wäre – zumindest in einem existenzialistischen Kontext – bewiesen: Computer sind keine „Ultimate Machines“, sondern auch nur Menschen.