Die Trauben des Todes sind gelesen: Jean Rollin (1938-2010)

Wie ich gerade von Oliver höre und auf der Fangoria-Webseite lese, ist (Edit: wahrscheinlich) in der vergangenen Nacht der französische Regisseur Jean Rollin gestorben, der mit seinen Horrorfilmen seit den 1970er-Jahren Maßstäbe für die Ästhetik des Genres gesetzt hat.

Einer meiner absoluten Lieblingsfilme, „Les raisins de la mort“, ist von Rollin – seine seltsame Kombination aus Lethargie, Gewalt, Endzeitatmosphäre und Sexualität berührt mich bei jeder Sichtung neu. Im November hatte ich eine kleine Hommage an den Film für einen Text-Weihnachtskalender verfasst, die allerdings abgelehnt wurde, weil ich übersehen hatte, dass ich über einen Film der vergangenen zehn Jahre schreiben sollte. Der Tod Rollins scheint mir ein passender Anlass, diesen Liebesbrief an seinen Film hier zu publizieren:

Die Trauben des Todes

Jean Rollins melancholischer „Les raisins de la mort“ und die verzweifelten Versuche ihn ins Zombie-Genre zu pressen

1978 … Kurz zuvor hatte George A. Romero mit „Dawn of the Dead“ die Zombiefilmwelle, die er zehn Jahre zuvor initiiert hatte, erst richtig ins Rolle gebracht. Seine italienischen Epigonen, von Lucio Fulci über Bruno Mattei bis Joe D‘Amato, standen schon in den Startlöchern, um mit vermeintlichen Sequels zu Romeros Film am finanziellen Erfolg zu partizipieren – da erscheint in Frankreich vom dort seit Mitte der 60er-Jahre im Horrorfilm-Genre aktiven Regisseur Jean Rollin ebenfalls ein Film über verwesende Menschen, die alle, die noch „normal“ sind, umzubringen drohen: „Les raisins de la mort“– zu Deutsch „Die Trauben des Todes“ …

… oder eben doch nicht, denn in Deutschland ist der Film lange Zeit weder mit seinem Originaltitel noch in einer adäquaten Übersetzung desselben in Umlauf gekommen. An den deutschen Verleihtiteln – Rollins Film erscheint 1980 auf Videokassette – lässt sich die unangemessene Rezeptionsgeschichte vielleicht am deutlichsten ablesen: „Foltermühle der gefangenen Frauen“, „Zombis – Geschändete Frauen“ und später „Pestizide – Stadt der Zombies“. Dass es im Film weder eine Foltermühle (im realen wie übertragenen Sinne) noch geschändete oder gefangene Frauen gibt, stört die Verleiher hierzulande ebensowenig wie die Tatsache, dass sich die Monster aus Rollins Film kaum in die Typologie des Untoten Romero‘scher Prägung fügen lassen. Das Publikum verlangt nach Zombies und wenn der Film keine hergibt, dann muss halt das Marketing welche liefern.

Resnais Film erzählt von einer jungen Frau, die aus der französischen Großstadt mit dem Zug in das Weingut ihres Verlobten reist. Bereits während der Zug-Reise wird sie von einem merkwürdigen Mann angefallen, der eine faulende Wunde im Gesicht hat. Sie zieht die Notbremse und schlägt sich zu Fuß weiter. Zunächst kommt sie an ein Haus, in dem eine junge Frau offenbar von ihrem ebenfalls kranken Vater gefangen gehalten wird. Sie planen die Flucht, dann wird die Frau jedoch bestialisch von ihrem Vater ermordet und es stellt sich heraus, dass auch sie „infiziert“ war. Unsere Heldin flieht weiter in Richtung Weingut und trifft unterwegs auf eine Blinde, die zurück in ihr Dorf will, den Weg aber nicht findet. Gemeinsam suchen die beiden Frauen den Ort, den sie schließlich im Chaos versunken, brennend und voller Leichen finden. Einzig die Tochter des Bürgermeisters scheint unversehrt zu sein und gewährt unserer Heldin Unterschlupf, während sich eine Horde kranker, wahnsinnig gewordener Dorfbewohner über die Blinde hermacht. Auch die Bürgermeisterstochter ist verrückt, sie ist jedoch nicht von der Krankheit gezeichnet, die alle nach einem Weinfest befallen hat. Als zwei Männer mit einem Auto kommen, flieht die Heldin mit ihnen und erreicht endlich das Weingut. Dort stellt sich heraus, dass ein Pestizid, mit dem die Trauben behandelt wurden, zur Katastrophe geführt hat.

Rollin, der große Melancholiker des Horrorfilms, der sich bereits in den späten 60ern und 70er-Jahren durch erotische Vampirfilme und andere Untotenstoffe („Christina, princesse de l’érotisme“ – in Deutschland prosaisch in „Eine Jungfrau in den Krallen von Zombies“ umgetitelt) einen Namen gemacht hat, bleibt seinem Stil mit „Les raisins de la mort“ treu: lange Einstellungen, oft in der Totalen gefilmt, die die Figuren wie verloren in ihrer Welt zeichnen. Selbst die Gewaltdarstellungen erscheinen wie Traumsituationen, woran nicht wenig der hypnotische Soundtrack – oder oft genug auch sein vollständiges Fehlen und Ersetzen durch Windgeräusche – beiträgt. Oft erscheinen surreale Momente – ganz am Bildrand ein Pferd, das in einer Häuserruine steht und auf niemanden wartet oder eine Landschaft voller mannshoher Findlinge, durch die die Blinde im weißen Nachthemd irrt – und unterbrechen den ohnehin nur schlafwandlerisch voranschreitenden Plot. Man verliert sich schnell in dieser wie mittelalterlich erscheinenden Welt, in der Autos, Züge und Gewehre eher als Anachronismus denn als Selbstverständlichkeit erscheinen (und vielleicht auch deshalb nur selten richtig funktionieren).

Der Titel „Zombis – Geschändete Frauen“ hat nichts mit Rollins Meisterstück des subliminalen Horrors zu tun. Er beschreibt weniger den Film als die Fallhöhe zwischen diesen Bildern und Tönen und dem Zuschauer, der auf der Suche nach einer Fortsetzung des Romer‘schen Terrors ist. Die Umtitelungen, die Rollins Film nicht nur, aber vor allem in Deutschland erfahren hat, verdeutlichen zweierlei: Zum einen, dass „Les raisins de la mort“ offenbar selbst ein Anachronismus seiner Zeit war, zum anderen, dass er deshalb einen empfindlichen Nerv getroffen hat. Denn das Kino, das Ende der 70er-Jahre regelrecht zu wüten begonnen hatte, auf derartig brachiale Weise auszubremsen und wieder an die Tradition des Corman‘schen Poe-Horrors zurückzubinden, war angesichts der kathartischen Funktion des Horrorfilms vielleicht der schlimmste Alptraum des Zuschauers. Explosive soziale und politische Parabeln in einen Zombiefilm-Stoff zu verkleiden, schien sinnvoll und zeitgemäß; mit denselben Motiven jedoch eine Paralyse des Zuschauers zu provozieren … dem konnte nur noch die Umtitelung entgegen gesetzt werden. Diese hat es letztendlich freilich trotzdem nicht geschafft, den Film Rollins zu bändigen. Dazu hat er einfach zu still gehalten.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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