»An electronic simulacrum of man«

Tobor the Great (USA 1954, Lee Sholem) (DVD)

Tobor the remote controlled

Ich biege in die Schlussgerade ein: Nach „Tobor“ kommt nur noch ein Film in meiner Retrospektive … „Tobor“ ist allerdings ein ganz besonderer Leckerbissen gleich aus mehreren Gründen. Zum Einen ist er deutlicher als alle anderen Roboter-Filme zuvor vom der zeitgenössischen wissenschaftlichen Exploration des Weltraums gekennzeichnet. In der Rahmenhandlung des Films geht es um die Frage, ob es sinnvoll ist, Menschen auf bemannte Weltraumflüge zu senden, obwohl sie außerhalb der Erde verschiedensten Gefahren ausgesetzt sind und ihre Lebenserhaltung kostenaufwändig ist. Missionen in den Weltraum unbemannt und maschinell zu absolvieren, scheint die sinnvollere Alternative und wird bis heute diskutiert. In „Tobor“ finden zwei Wissenschaftler, die sich vehement gegen den bemannten Raumflug der USA wenden, eine solche technische Lösung: den Roboter Tobor. Er ist einer der wenigen Roboter im SF der 1950er, der irdischen Ursprungs ist.

An electric simulacrum of a family man.

Von seiner Praktikabilität soll die „Civil Interplanetary Flight Commission“ überzeugt werden, weshalb die beiden Wissenschaftler eine Delegation von Pressevertretern in das Labor einladen, um Tobor vorzuführen. Er ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht voll ausgereift – das technische Konzept ist jedoch revolutionär: Weil es keine Funkfernbedienung (mit der Tobor in der ersten Demonstration noch gesteuert wird) gibt, die auf interstellare Distanzen funktionieren könnte, nutzen die Wissenschaftler ESP in Form einer „extrasensory transmission unit“, um Tobor damit zu steuern. Der Roboter soll also auf die Gedanken und Gefühle seines „Mentors“ eingestimmt werden und von diesen gelenkt werden. Damit wird nicht nur das Distanzproblem gelöst, sondern auch das Problem der menschlichen Reaktionsfähigkeit, die der Maschine selbst abgeht. Dass die menschlichen Emotionen allerdings durchaus Untiefen bereithalten, war ja bereits bei „Forbidden Planet“ ein Problem; in „Tobor“ wird es nun noch deutlicher, weil sich die Emotionen direkt in der Maschine „entladen“ und sie dadurch mehr als einmal bedrohlich auf die Anwesenden wirkt.

Testing Tobor

Tobor stellt einen der bis zu diesem Zeitpunkt ausgereiftesten Filmroboter dar, eben weil er nicht nur Maschine ist (wie Robby), sondern mit den Gefühlen auch menschliche Eigenschaften bekommt – die er auch dringend für seine Mission benötigt. Immerhin lassen sich die unbekannten Gefahren des Weltraums nicht allein durch kühle Kalkulation bewältigen; Angst ist ein wichtiger Faktor, um Gefahrensituationen zu entfliehen. Tobor ist für diese Zwecke mit einem „synthetic instict“ ausgestattet, welcher ihn zum „simulacrum of man“ werde lässt, wie die Wissenschaftler betonen – weniger zu einer perfekten Simulation des Menschen als zu einem verkörperten Zeichen für dessen Präsenz hinter der Maschine. Um seine Funktionen immer perfekter denen des Menschen anzugleichen, wird er mit etlichen „Gimmicks“ ausgestattet.

Tobors Innenleben (Software)

Bemerkenswert ist der finale Test, dem Tobor von den Wissenschaftlern unterzogen wird um seine Weltraumfahrer-Fähigkeiten zu belegen. In einem dreistufigen Verfahren wird zunächst seine Feinsensorik getestet, indem man ihm einen Satz auf der Schreibmaschine tippen lässt. Danach folgt ein Test seiner optischen Fähigkeiten, indem man ihn eine stilisierte Rakete durch ein Sternenfeld aus Lämpchen manövrieren lässt (was Tobor schließlich sogar mit verbundenem optischen System gelingt). Den Finalen Test „reißt“ der Roboter allerdings, was ihn einmal mehr als menschlich erscheinen lässt, handelt es sich doch um einen Stresstest: Tobor soll ihm wirr entgegen fliegenden Asteroiden ausweichen. Diese werden vor ihm auf einem Bildschirm dargestellt und rasen in immer größerer Zahl immer schneller auf ihn zu. Zumindest die letzten beiden Test-Settings erinnern doch sehr an Computer, bzw. Videospiele – der letzte sogar im Wortsinne. Und es ist ja bekannt, dass Flugzeug- und Raumpiloten auch heute noch einen Großteil ihrer Ausbildung im Simulator verbringen.

Tobors Innenleben (Hardware)

Natürlich gibt es in „Tobor“ auch eine dramatische Entwicklung, die einerseits mit Familie, andererseits mit Politik zu tun hat: Einer der Wissenschaftler und sein Enkel werden von einem offensichtlich osteuropäischen Agenten und seinen amerikanischen Gehilfen entführt, um die technischen Geheimnisse des Roboters herauszubekommen. Dem Jungen, der im Verlauf des Films intensiven emotionalen Kontakt zum Roboter aufgebaut hat, gelingt es schließlich, Tobor mithilfe seiner starken Emotionen herbeizurufen. Die Maschine tritt hier als Vater-Ersatz auf – der biologische Vater des Jungen ist im Korea-Krieg gefallen und er lebt allein mit seiner Mutter beim Großvater. (Es ist bereits die zweite Konstellation dieser Art, die eine Lücke aufweist, welche durch den Roboter bzw. einem mit ihm assoziierten Helden geschlossen wird: „The Day the Earth stood still“ und „Devil Girl from Mars“ hatten ähnliche Familienstrukturen).

Keine Angst vor Tobor!

Mit den ideologischen und technischen Motiven ist „Tobor“ ein recht sensibles Zeitdokument: Der Film beginnt bereits mit einem Prolog über die Fortschritte von Kerntechnik (wir sehen den obligatorischen Atompilz) und Raketentechnik (in den Film ist dokumentarisches Material über die V2 eingefügt!) – führt diese beiden jedoch nicht konsequenterweise zur Atomrakete zusammen, sondern zur atomar angetriebenen Weltraumrakete. Einmal mehr werden derartige Entwicklungen fiktional-pazifistisch verkleidet. Dass dann ausgerechnet ein Agent mit osteuropäischem Akzent hinter der Entwicklung her ist, scheint nur umso deutlicher auf den Kalter-Kriegs-Diskurs hinzuweisen. Allerdings – und das macht „The Great“ im Titel aus – ist es die Maschine Tobor dann selbst (und zwar aufgrund ihrer Menschlichkeit), die das Böse stoppt, indem sie dafür sorgt, dass der Feind nicht fliehen kann und so wahrscheinlich seiner gerechten Strafe entgegen geführt wird.

Tobor the Great (fighter)

Die Welt, die sich zu Beginn des Films in der Animation noch „rückwärts“ gedreht hatte und deren Falschlaufen sich bereits im rückwärts betitelten Maschinennamen Tobor („roboT“) ausgedrückt hatten, kann nun wieder richtig herum laufen – zumindest, bis ein paar Jahre später erst der Sputnik-Schock einsetzt und dann nicht etwa ein Roboter, sondern ein Sovjet als erster Mensch in den Weltraum fliegt.

Morgen beende ich die Retrospektive mit dem vielerorts bejubelten und beschrieenen „Robot Monster“ von 1953.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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