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[•Rec] (Spanien 2007, Jaume Balagueró & Paco Plaza) (Blu-ray)

Nachdem im „UCI Zoo-Palast“ gestern wegen einer Tonstörung die Vorstellungen von „Paranormal Activity“ abgesagt wurden, als wir schon eine halbe Stunde im Kinosaal saßen, entschlossen wir uns zu Hause „Rec“ zu schauen – und dabei ist mir zum ersten mal etwas aufgefallen, das doch eigentlich ganz offensichtlich ist und sich gegen den behaupteten Found-Footag-Charakter des Films stellt:

Als Angela und ihr Kameramann Pablo dem Polizisten und den Feuerwehrmännern zum zweiten Mal in die Wohnung der alten Frau (Sra. Izqiuerdo) folgen und es dort zum Überfall der Frau auf den Feuerwehrmann kommt, infolge dessen die Frau erschossen wird, fordert Angela Pablo auf, ihm die Szene noch einmal zu zeigen. Zunächst weigert er sich, tut es dann aber doch. Wir sehen, wie der Film sichtbar schnell zurück gespult wird, dann anhält und uns das eben Gesehene noch einmal vorführt:


(ab 2:20 Minuten)

Damit unterläuft der Film auf zweifache Weise seine ursprüngliche ästhetische Strategie: Erstens kommt es hier zu einem sichtbaren Auseinanderklaffen von Erzählzeit und erzählter Zeit. Zwar waren schon zuvor elliptische Sprünge in der erzählten Zeit, wenn Pablo die Kamera in einer Situation ab- und sie später wieder eingeschaltet hat, doch erschien dies schlüssig, weil man es notfalls noch einigermaßen als Strategie der unsichtbaren Montage verstehen konnte. Das geht beim sichtbaren Zurückspulen nicht mehr, denn hier wird die gefilmte Zeit pervertiert, indem für kurze Zeit ihre Richtung verkehrt und sie dann auch noch einer Wiederholung unterworfen wird.

Der zweite Bruch findet ebenfalls auf der narratologischen Ebene statt: „Rec“ wurde uns bis zu diesem Zeitpunkt als ungefilterte Wahrnehmung der Kamera präsentiert, das heißt: Uns wurde suggeriert wir sähen einen Film, der vor Ort aufgenommen wurde und uns – bearbeitet oder nicht – die Ereignisse, die sich zugetragen haben, authentisch übermittelt. Dieser Eindruck wurde durch die oben erwähnten „elliptischen Kameraabschaltungen“ nicht nur nicht konterkariert, sondern sogar noch gestützt, weil der abgebildete technische Prozess des Kamera-Abschaltens den Eindruck der „Rohheit“ des Materials noch weiter forcierte. Durch den eingefügten sichtbaren Bildrücklauf, wird dieser Eindruck als Irrtum hingestellt, denn die Diskrepanz zwischen Filmzeit und gefilmter Zeit, die bei einer Fake-Doku vermieden werden muss, stellt sich hier geradezu in den Vordergrund und es wird uns nun vielmehr suggeriert, wir sähen nicht das Bild der Kamera, sondern das Bild eines (manipulierten) Bildes der Kamera. Nur so lässt sich erklären, dass wir den Rücklaufprozess beobachten können. (Anders gesagt: Hätte man versuchen wollen Angelas Wunsch, die Szene noch einmal zu sehen innerhalb des Fakes realisieren wollen, hätte man unsere Blu-ray-Disc zurückspulen müssen.)

Mit dieser Szene kippt also eine der zentralen ästhetischen Strategien des Films in ihr Gegenteil: „Rec“ ist offenbar ein Film, der uns zeigt, wie ein Film angesehen wird. Wer sieht aber diesen Film? Nun, es müssen Angela und Pablo sein, denn sie sind es ja, die den Zeitverlauf des „Films im Film“ beeinflussen, dadurch dass Angela Pablo auffordert zurück zu spulen und er es auch tut. Wollte man hier nicht die ontologische Konsistenz der Protagonisten in Gefahr sehen, müsste man „Rec“ aufgrund dieser Szene als ein Filmexperiment interpretieren.

Das Experiment könnte darin bestehen, dass der von Vivian Sobchak formulierte „Filmkörper„, also jener personifizierte Kamera und ihr unsichtbarer Blick, der die Szenen eines Films für uns sieht und mit dem wir unseren Blick identifizieren, auf die Protagonisten des Films übertragen wird. Normalerweise zeigt uns dieser Blick, was die Kamera „gesehen“ hat: etwa die Protagonisten eines Films, wie sie handeln – zumeist ohne sich der sie beobachtenden Kamera bewusst zu sein. Da es sich bei „Rec“ aber um einen Dokumentarfilm im Rohschnitt handeln soll und wir oft genug sehen, dass sich die Protagonisten der Kamera durchaus bewusst sind, ist die Kamera bereits personifiziert. In „Rec“ bekommt der „Filmkörper“ sogar einen Namen: Pablo. Wir sehen, was er sieht. Er ist zugleich ein Bestandteil der Diegese und ihr Erzähler. Wenn sich Angela und Paco nun also schon nicht mehr bloß im Erzählraum aufhalten, sondern auch im Erzählerraum, dann ist es nur konsequent, wenn sie ihren Filmblick auch technisch manipulieren können, so wie jeder Erzähler den Zeitverlauf seiner Erzählung selbst bestimmen kann.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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