»Der ist ja größer als ich!«

Schneewittchen (Biancaneve e i sette nani, Italien/Ungarn 1995, Luca Damiano & Franco Lo Cascio) (DVD)

Ich biege in die Schlussgerade ein für die Recherchen meines Vortrags über Monster-Pornografie. Dieses Mal sind die Zwerge dran. (Auf die hatte ich ja bereits einen Blick in „Ultra Flesh“ geworfen, mich jedoch jetzt, trotz der Lektüre von Andrew Tudors „Monsters and Mad Scientists“, entschieden, sie trotzdem in der Monster-Thematik mitzubehandeln.) „Zwergenpornografie“ gibt es gleich in mehrfacher Hinsicht: Als eine Art Fetisch tauchen kleinwüchsige Männer und Frauen in der Gonzo-Pornografie immer wieder auf. Dann gibt es sie aber auch im pornografisierten Märchen, sowohl in den Zeichentrick-, als auch in den Realfilm-Varianten. Zu letzterer gehört der 1995 erschienene „Schneewittchen“, der auf der DVD noch den Untertitel „La fabia erotica“ trägt.

Er erzählt im Wesentlichen das Gerüst des bekannten Märchens der Gebrüder Grimm: Schneewittchen wächst bei ihrer Stiefmutter, einer bösen Königin auf, deren Tagesbeschäftigung darin besteht, mit möglichst vielen schwarzen Dienern gleichzeitig zu koitieren. Hin und wieder befragt sie ihren Zauberspiegel, wer denn die Schönste im Land sei und bekommt zur Antwort, dass sie es ist. Um Schneewittchen „hässlich“ zu halten, steckt die Mutter sie in einfache Kleidung und lässt sie schuften. Doch beim Reinigen eines Zimmers entdeckt die junge Frau, dass sich unter ihrem Rock ein Organ befindet, dass ihr bei Berührung Lust bereitet. Sie spielt damit herum, ohne genau zu wissen, was es denn eigentlich ist, was ihr da so gefällt.

Irgendwie scheint sich durch die Masturbation aber ein Prozess in Gang gesetzt zu haben, der das Mädchen sexuell attraktiv macht: Der Spiegel verrät der bösen Königin nun, dass es nicht mehr lange dauern wird und Schneewittchen wird schöner sein als sie. Die Frau tobt und fordert den Jäger des Schlosses auf, Schneewittchen in den Wald zu führen und dort zu ermorden. Der Mann tut es jedoch nicht, und bringt der Königin ein Schweineherz als Mordbeleg, woraufhin sie ihn mit einer Frauenvagina entlohnt.

Szenenwechsel: Der alte König will, dass sein Sohn heiratet, weil er sich nach einem Enkel sehnt. Der Sohn probiert auch hier und da eine Cousine (die zwar mit ihm kopulieren aber nicht koalieren will) oder eine Magd (die sich dann allerdings als zu erfahren, weil schon verheiratet, herausstellt). Also sucht er weiter. Indes ist Schneewittchen durch den Wald geflüchtet und erreicht ein verlassenes Haus, das mit Kindermöbeln eingerichtet ist. Sie schläft dort ein und wird von sieben Kleinwüchsigen überrascht, die dort wohnen. Sie bieten Schneewittchen nicht nur Unterschlupf, sondern auch eine Ausblidung vom Mädchen zur Frau, was bedeutet, dass sie sie in die Varianten des Sexualaktes einweihen. Das Mädchen lernt begierig.

Die Mutter hat über ihren Spiegel aber mittlerweile erfahren, dass der Jäger sie betrogen hat und lässt ihn erdolchen. Sie bereitet einen Zaubertrank vor, der sie in eine hässliche Frau und einen Apfel in todbringedes Gift verwandelt und geht in den Wald, Schneewittchen zu suchen. Sie findet sie allein zu Haus – die Zwerge sind auf Arbeit – und drängt ihr den Apfel auf. Schneewittchen beißt rein und fällt um. Die Zwerge haben allerdings so eine Ahnung (sehr merkwürdig: Sie hören das Gelächter der Alten und die Hilferufe Schneewittchens, die jedoch nie zu hören gewesen sind) und rennen zurück nach Hause. Dort treffen sie die Alte, erschlagen sie und betrauern das Ableben ihrer Mitbewohnerin.

Da kommt der Prinz vorbeigeritten, betritt das Haus, gibt Schneewittchen einen Kuss und sie erwacht zu neuem Leben. Die beiden schieben eine Nummer in Anwesenheit der Zwerge, welche jubilieren, dass das Mädchen nun einen Mann gefunden hat und glücklich wird.

Märchen und ihre oftmals erotischen Subtexte drängen sich der Pornografisierung scheinbar förmlich auf. Die Unzahl an Zeichentrickpornos, die auf Märchen basieren („Reinstecke Fuchs“, „Dornmöschen“, „Schwänzel und Gretel“, …), spricht hierüber eine deutliche Sprache. Es mag wohl der Kontrast zwischen dem, was nur für Kinder und dem, was nur für Erwachsene ist, sein, der so produktiv wirkt. Deutlich ist bei den Zeichentrick-Pornos jedoch die totale Anthropomorphisierung und Erotisierung des Textes: Da bekommen nicht nur Geschlechtsteile ein Eigenleben, sondern auch Möbel, Tiere und Kleidungsstücke koitieren miteinander. Die Monstrositäten, die daraus geboren werden, werde ich in einem späteren Text besprechen.

Hier interessieren die Zwerge. Die haben einen großen Anteil an den pornografischen Szenen des Films. Klassische Hardcore-Szenen werden ihnen jedoch nicht zugestanden. Vielmehr ist die „Ausbildung Schneewittchens“ ein über viele Szenen zerteilter Akt, der durch Handlungs- oder Hardcore-Sequenzen anderer Protagonisten unterbrochen wird. Auch scheinen die Zwerge Sex nicht vordringlich zum Lustgewinn (oder zur Triebabfuhr) zu betreiben. Zuzuschauen liegt ihnen viel mehr als zu handeln, was auch mit ihren Proportionen zu tun haben mag.

Hier ist nun das eigentliche Faszinosum des „Schneewittchen“-Pornos zu suchen: Die Begegnung der „Normalen“ mit den „Entstellten“. Die Frage, ob und wie ein Kleinwüchsiger wohl Sex macht, wie er dabei mit einer normalen Anatomie zurechtkommt usw. sind oft Anlass zu Zoten – nur hier nicht. Zwar bemerkt einer der Zwerge als Schneewittchen einen Mitbewohner oral bedient: „Der ist ja größer als ich!“ Doch ist das ja ein Vergleich „unter Zwergen“. Die Anatomien etwa des Prinzen und der Zwerge werden einander nicht gegenübergestellt. Das hat seinen Grund natürlich darin, dass es zu zeigen schon wesentlich mehr mitteilt, als es zu sagen. Zudem sollen die Zwerge ja nicht bloßgestellt, sondern wirklich als Helfer und Ausbilder charakterisiert werden.

Damit erfüllen sie eine Rolle, die sie bereits seit den Bestiarien des Mittelalters und der Neuzeit besitzen: Zwerge sind großartige Kämpfer (hier erschlagen sie die mit Zauberkräften ausgestattete Stiefmutter), edelmüig (sie retten Schneewittchen und betrauern sie aufrichtig) und eben auch nicht selten an erotischen Verbindungen mit den Menschen interessiert:

„Zwerge trachten danach, sich mit den Menschen in Freundschaft, aber auch in Minne zu verbinden. Laurin ist nichtnur König über ein außerordentliches Reich, er ist auch Minneritter. Allerdings lehnt ihn der Bruder Kühnhilts, seiner heidnischen Religion wegen, als Gemahl für seine Schwester ab.“ (Christa Habiger-Tuczay: Zwerge und Riesen. In: U. Müller/W. Wunderlich [HGg.]: Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen: UVK 1999, S. 635-658, hier: S. 641.)

Die Zwerge in „Schneewittchen“ tragen also noch einige Wesenszüge ihrer mittelalterlichen Vorfahren. Von allen Monstern sind sie die am wenigsten als solche diskursivierten. Das liegt daran, dass sie, mit Ausnahme ihrer Körpergröße, auch die menschenähnlichsten sind. Oben erwähnter Andrew Tudor unterscheidet deshalb anthropomorphe Monster von amorphen Aliens: In der Gesalt schlagen sich führ ihn bereits charakterliche Wesenzüge nieder, weswegen der Zuschauer (von Horrorfilmen) auch eher Empathie mit dem Monster als mit dem Alien entwickeln könne. Lässt sich diese These auf den Monster-Porno übertragen? Ich glaube nicht vollständig, denn die Aliens im Pornofilm sind ja eben auch durch einen sehr menschlichen Zug gekennzeichnet, wie sich in „Ultra Flesh“ und „E.T.“ gezeigt hat.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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