»Ich habe meine Schwierigkeiten mit München.«

Hades (D 1994, Herbert Achternbusch) (VHS)

In „Das letzte Loch“ hatte Achternbusch ja bereits gezeigt, dass Politik in seinen Filmen kein bloß lokales und historisch begrenztes Phänomen ist. „Hades“ nun stellt die Frage nach der Kontinuität des Faschismus in der westdeutschen, vor allem der bayrischen Gesellschaft.

Hades, gespielt von Herbert Achternbusch, ist Sargverkäufer, der sich auf Sondermodelle mit Rundherumservice (etwa Suppengerichten) spezialisiert hat. Er ist Überlebender des Warschauer Ghettos, sein Vater ist im Krieg gefallen, seine Schwester und seine Mutter beim Holocaust ermordet worden. Doch Hades ist als Jude auch heute nicht sicher: Sein Sarglager wird bei einem antisemitistisch motivierten Anschlag gesprengt, durch München marschieren Banden von Neo-Nazis und diejenigen Einwohner, die nicht sichtbar „Farbe bekennen“, machen dennoch mit den Neo-Nazis gemeinsame Sache. Ja, selbst die Trachtenvereine haben wieder den Stechschritt in ihr Marsch-Repertoir aufgenommen. Als Hades meint, eine seiner Sekretärinnen gesehen zu haben und ihr nachläuft, stößt er auf eine Gruppe Neo-Nazis, sticht sie nieder, wird dann aber von einem Passanten, der mit den Schlägern gemeinsame Sache macht, „gesteinigt“ und stirbt. Im Epilog sehen wir Hades auf einer Klippe bei dem Versuch in einen Sarg zu springen. Er verfehlt sein Ziel und bleibt am/im Leben.

Die Analyse, wenn man sie denn so nennen will, ist natürlich in ihrer Radikalität übertrieben. Aber die Wahrnehmung, die dahinter steht, muss man Achternbusch schon glauben. Gerade zur Entstehungszeit des Films war das Thema Fremdenfeindlichkeit und Asylrecht wieder in aller Munde und letzeres erfuhr vor allem durch bayrische Initiativen Verschärfungen. Achternbusch belässt es freilich nicht beim Analogisieren von Neo-Nazis und Trachtenträgern, sondern wirft einen Blick zurück:

Die fiktive Biografie seines Hades koppelt er an das Schicksal der Juden im Warschauer Ghetto und zeigt erschütterndes Archiv-Material, das seinerzeit von der SS aufgenommen wurde: Der Abtransport und das Verscharren von verhungerten Menschen in all der Nüchternheit, mit der dem Tod damals begegnet wurde. Kaum ein passant interessiert sich dafür, wenn leblose, teilweise nackte Menschenkörper auf den Straßen herumliegen. Achternbusch erzählt die Kindheitsgeschichte seines Protagonisten in dieses Setting hinein, basiert darauf dessen Interesse, Bestattungsunternehmer zu werden und unterlegt den beinahe 20-minütigen Film im Film mit fröhlicher Zither-Musik, während er immer wieder die Leiche eines Verhungerten auf einer Blechrutsche ins Massengrab schlittern lässt.

Doch Hades ist selbst nicht totzukriegen. Wie das Schlechte Gewissen der Gesellschaft, verfehlt er seinen eigenen Sarg und feiert wiederauferstehung. Sein Geist lässt sich nicht in einer leeren Zigarrenschachtel einschließen und entflieht. Achternbusch arbeitet hier seine Erfahrungen mit dem Buddhismus und Hinduismus ein, unterlegt Sequenzen mit Sitar-Musik, nutzt Leitmotive (wie etwa das der Zigarette und des Rauchens), Farben (besonders Blau wird ihm zur Farbe des Todes) und die Wiederholung von Sequenzen und Handlungen dazu, die Wiederkehr zu konstatieren. Hier eine Kultur der Vergänglichkeit und des Todes dort eine der Wiederholung und des zum ewigen Leben Verdammtseins (Hades ist ja letztlich nichts anderes als der ewige Jude Ahasver).

Schön war, dass Irm Herrmann einen Gastauftritt hatte und die morbide Ausstattung des Hades-Todescenters (oder „Tötungsinstituts“, wie eine Mitarbeiterin sagt). Achternbusch selbst mit einer wilden Zopffrisur und einem witzigen Totenschädel-Hemd, ständig mit einem Sarg-Modell spielend, in dem ein kleines Gerippe immer wieder (!) auftaucht und verschwindet:

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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