»CQ … CQ … seek you …«

Das letzte Testament (Testament, USA 1983, Lynne Littman) (VHS)

Zur Entstehungszeit des Films war der atomare Holocaust oft so spürbar nah, dass ich fast täglich damit gerechnet habe, dass die Welt untergeht. Sicherlich: Ein Großteil dieser Befürchtung basierte auf meinem noch recht kindlichen Bewusstsein und dem Unverständnis der internationalen Politik – und vielleicht auch auf der beginnenden Pubertät. Wenn ich mir aber heute „Das letzte Testament“ ansehe, dann wird diese Angst wieder spürbar, als wäre sie immer noch real. Das liegt nun aber daran, dass der Film all das richtig macht, was „The Day After“ vernachlässigt hatte, weil er gleichzeitig Katastrophenfilm und Tragödie sein wollte. Littmans Film beschränkt sich auf den zweiten Aspekt, zeigt eine Familie in einer kalifornischen Kleinstadt, die aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung von einem Atomangriff in weiter Ferne überrascht wird, so dass zunächst nur der Blitz zu sehen ist. Nach und nach beginnt jedoch der Zerfall. Zuerst sterben die Kinder und die Alten an der Strahlenkrankheit, dann bricht das soziale Gefüge zusammen, die Menschen taumeln wie in Trance durch die Straßen und können in ihrer Not Recht und Unrecht nicht mehr voneinander unterscheiden. Der Frau, deren Schicksal wir miterleben, sterben die eigenen und die zur Pflege aufgenommenen Kinder, die sie schließlich selbst begraben muss. Und trotzdem versucht die Kraft nicht zu verlieren und klammert sich an die vage Hoffnung, dass ihr Mann vielleicht doch noch von seiner Geschäftsreise zurückkehrt, zu der er am Morgen des Weltuntergangs aufgebrochen war.

Die Vagheit über die Situation, ob es nun ein Krieg, ein Unfall oder Terrorismus war, die den Atomschlag ausgelöst haben, das Wegbrechen aller Kommunikationsinfrastruktur, das Absterben der letzten Funkkontakte zu anderen Orten und der sichtbare aber unaufgeregt inszenierte Verfall machen „Das letzte Testament“ zu einem gleichermaßen beklemmend realistischen und tief traurigen Film. Als das erste Kind stirbt, erreicht die Trauer ihren Höhepunkt und man mag kaum glauben, dass es noch schlimmer kommen könnte. Es kommt jedoch schlimmer, denn es setzt eine fürchterliche aus der Rationalität und der Ohnmacht geborene Pragmatik ein, die keine weiteren Tränen zulässt, die sich um die Nahrungsvorräte sorgt, sich um den Verbleib der Leichen kümmert, in der jeder sich selbst der Nächste ist. Der Pathos ist unaufdringlich aber gleichzeitig unabweisbar, denn jeder humanistischen und familiären Geste der Heldin wird die absolute Sinnlosigkeit der Situation entgegen gestellt. Selbst das Schlimmste, was eine Mutter wohl miterleben muss, dass ihre Kinder für ihr Leben keine Zukunft mehr sehen und sterben wollen, kann sie nicht erschüttern.

Der Höhepunkt ist für mich in der Szene erreicht, in welcher die Mutter mit ihrer vielleicht 12-jährigen Tochter über die Liebe spricht, ihr verspricht, dass auch sie das fühlen werde und die Tochter nur resigniert antwortet, dass sie das nicht glaubt. Einige wenige Szenen später näht die Mutter ihren Leichnam in ein weißes Bettlaken ein. Als der Film gedreht wurde, war ich auch erst 12.

(Auch erschienen im Postapokalypse-Blog)

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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