… and Revenge

Hard Candy (USA 2005, David Slade) (DVD)

Ein „Rape and Revenge“-Film, der die Kausalität einmal anders herum vorführt: Zuerst rächt sich die 14-jährige Hayley am Pädophilen Jeff, der sie systematisch in Chatforen verfolgt und angebaggert hat und sie schließlich bis zu sich in die Wohnung locken konnte: Hayley überwältigt ihn, durchwühlt seine Wohnung und Privatsachen nach belastendem Material (das sie schließlich findet), demütigt ihn auf alle erdenklichen Weisen, täuscht ihm schließlich sogar eine Hodenamputation vor, und bringt ihn letztlich dazu, Suizid zu begehen.

Während des gesamten Filmverlaufs changiert die Charakterzeichung des intelligenten (ja: naseweisen) Teenagers zwischen Wahnsinniger und Racheengel – den eigentlichen Grund ihres Tuns erfährt man erst am Ende des Films, kurz vor dem Suizid. Bis dahin denkt man, sie wolle einfach das Gesetz, das ihrzufolge Kinderschänder zu milde bestraft, selbt in die Hand nehmen. Die Qualität und Quantität der Folterungen, die sie dabei an dem stets ableugnenden Jeff durchführt, zerren enorm an den Nerven des Zuschauers und bringen diesen – schon durch die konsequente Identifikation des Kamerablicks mit dem Blick des Mannes – schließlich vollends gegen Halyley auf. Da wirkt es bald wie eine billiger moralische Pointe, wenn Jeff am Ende endlich gesteht, dass er es wirklich war, der ein seit längerer Zeit vermisstes Mädchen zusammen mit einem anderen Mann ermordet hat.

Der Film hat diese abschießende Erklärung gebraucht, sonst hätte er keinen Grund für die in ihm dargestellte Rache-Geschichte gehabt. Aber der Zuschauer, der beständig gezwungen wird, Recht und Gerechtigket, Empathie und Tabubruch gegeneinander abzuwägen, bekommt durch diesen  Kriminalfilmplottwist den Fehde-Handschuh vor die Füße geworfen, weil er zuerst mit einem mutmaßlichen Pädophilen, dann mit einem nachweißlich Pädophilen mit tragischer Lebensgeschichte und schließlich einem Kindermörder sympathisiert hat. Haley entpuppt sich so als reine Funktion der Rachegelüste einer Gesellschaft, die ohnmächtig gegenüber ihren eigenen Tabus ist und die diese Ohnmacht in primitives Rechtsempfinden ummünzt. „Hard Candy“ ist also ein Film, der auf jede Fall polarisiert und ich selbst weiß auch gar nicht, ob ich ihn (oder dass er polarisiert) gut oder schlecht finden soll.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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