Wenn Fortpflanzung zum Problem wird

The Thing from another World (USA 1951, Christian Nyby)

Einer der Gruselhöhepunkte meiner Kindheit war unbestritten Nybys „Das
Ding aus einer anderen Welt“. Jedoch spätestens bei einem Wiedersehen
in aufgeklärteren Tagen ist von dem Eindruck nicht viel mehr übrig
geblieben als die Verachtung gegenüber einem typisch paranoiden und
zudem überaus chauvinistischen kleinen Gruselklamauk. Gestern habe ich
die Presse-DVD von Kinowelt geschaut und es ist erstaunlich, welche
Szenen mir als Remineszenzen aus der Kindheitserinnerung aufgefallen
sind: Die abgetrennte Hand, in deren Mitte sich eine Samenkapsel
befindet, das „Blumenbeet“, in dem die Alien-Setzlinge mit Blutplasma
gefüttert werden und der „Stromsteg“, auf dem das zu tötende Alien
partout nicht gehen will, sondern daneben auf seine Opfer zukommt. Ein
gefundenens Fressen für jeden Poststrukturalisten.

In „The Thing“ geht es um „Paarungsverhältnisse“. Paare können nicht
zueinander kommen, können nicht voneinander lassen, können nicht
beieinander bleiben, können sich nicht voneinander trennen. Auf der
Oberfläche ist dies deutlich sichtbar am Verhältnis zwischen Nikki (die
keinen Nachnamen hat) und Captain Hendry (der – zumindest bei den
Mitarbeiten – keinen Vornamen hat). Beide würden einander also ideal
ergänzen … wenn sie nicht eine Vorgeschichte hätten. Sie waren einmal
in Kontakt, haben ihre Neutralität zueinander aufgegeben, verhalten
sich nun aber weder positiv noch negativ zu einander – bleiben in
„jeder Beziehung“ ambivalent.

Auf der Forschungsstation am Nordpol treffen noch zwei weitere „Pole“
aufeinander: Das Militär und die Wissenschaft. Beibe stehen im
Verhältnis zueinander durch das selbe Objekt: Das Alien. Dies wiederum
verhält sich beiden seiten gegenüber Neutral: Es bevorzugt keinen der
beiden, wenn es ums Aussaugen geht. Die Vermittlung der Diskurse, die nach
Link

idealerweise durch den Interdiskurs gewährleistet werden könnte,
für den in „The Thing“ wie in der Realität die Presse steht, scheitert.
Denn die Presse ist zwar neutral, aber vielleicht deswegen auch nicht
potent genug, ihre Aufgabe
zu erfüllen. Dem Reporter ist in seiner Funktion sprichwörtliche
„neutralisiert“, weil
entweder das Funkgerät, mit dem er seine Mitteilungen in die Welt
übertragen will, nicht funktioniert oder die Geheimhaltung ihm den
Zugang versperrt. Sein Problem ist also – und das ist das eigentlich
ideologische Problem des Films – seine Neutralität in jeder Hinsicht.

Diese teilt er mit dem Alien, das weder Mann noch Frau, weder Pflanze
noch Tier, weder lebendig noch tot ist. Es ist einfach „dazwischen“-
ein Ding. Es
„pflanzt“ sich asexuel „fort“ durch Ableger (ws den Wissenschaftler
besonders fasziniert, Nikki und den Captain besonders abstößt). Es
ernährt sich vom Blut,
jenem ersten Lebenszeichen, dessen Fluss zwischen tot und lebendig
unterscheidet (schlägt das Herz nicht mehr, fließt das Blut nicht mehr,
ist der Körper als tot diagnostiziert). Das Alien ist zwar „anders“
aber deshalb auch weder
Freund noch Feind – „Es verhält sich zu uns wie wir uns zu einem
Weizenfeld verhalten“, sagt einer der Protagonisten treffend. Wie
verhalten wir uns zu einem Weizenfeld? Eigentlich gleichgültig.

Wie besiegt man ein Wesen, das einen erstens gleichgültig lassen sollte und sich zweitens nicht einordnen lässt? Indem man
es einordnet, einer Seite zuordnet. Zunächst kategorisieren die Wissenschaftler es als
„Pflanze“ (lebendig, zerstörbar), dann kategorisiert es das Militär als „Feind“ (lebendig, zerstörbar). Wie man mit
Pflanzen und Feinden verfährt, ist allen bekannt: Man
frittiert sie, man frittiert sie zu Tode. Um dem Ding auf die Spur zu
kommen, macht man sich seine Neutralität zunutze: Immer wenn es naht,
kündigt es sich auf dem Geigerzähler an. Der Geigerzähler misst die
ionisierende (also nicht neutrale) Spur eines zerfallenden Teilchens.
Neutronen (also neutral geladene Teilchen) selbst misst er hingegen nicht.
Wollte man die Metaphorik des „neutralen Teilchens“ auf das „Ding“
übertragen, ließe es sich als „Neutrum“noch genauer identifizieren. Es ionisiert seine Umwelt, schafft Parteilichkeit.

Als dieses Neutrum muss es nun selbst polarisiert werden. Die elektrische
Apparatur, die man dazu baut, ist eine Art „elektrischer Holzweg“ in
der Mitte eines Ganges, auf den man es bringen muss. Zunächst läuft es
daneben, durch einen Trick wird es „zwischen die elektrischen Pole“
gebracht (das wird auch so im Film gesagt) und dann mit Strom
frittiert. Jetzt sind die Verhältnisse wieder klar: Das Neutrum ist
tot, die Wissenschaft von dessen gefährlicher Neutralität „am eigenen Leibe“
überzeugt, der Reporter darf – tendenziös –  seine Nachricht
übermitteln: „Watch the Skies! Watcht the Skies!“ und Nikki und Hendry
finden nun auch zueinander. Die Fronten sind wieder klar abgesteckt.

Was für ein paranoider und chauvinistischer Gruselklamauk. 😀

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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3 Antworten zu Wenn Fortpflanzung zum Problem wird

  1. Thomas sagt:

    Offtopic:

    Massenmörder – ein Phänomen der Moderne. Text in der FAZ (schnell archivieren, die sind da recht hastig mit dem Content-wieder-Wegsperren.

  2. Thomas sagt:

    Was fürn Käse, wieso funzt der Link nicht?

    Naja, ist auf jeden Fall auf faz.net unter „Hintergründe“ zu finden.

  3. Stefan sagt:

    Die Rubrik habe ich zwar nicht gefunden, aber den Text (mit der auch schwer zu findenden FAZ-Suchfunktion :-D). Danke! Sehr interessant!

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