Rivers and Tides

30.11.03: Rivers and Tides (DVD)

»denn alles was entsteht,
ist wert,
daß es zugrunde geht.«
(Goethe, Faust)

In dem Moment, in dem sich ein Kunstwerk vom Raum in die Zeit ausdehnt und sich damit eine Dauer gibt, wird seine mediale Fixierung zum Problem. Kunst, verstanden als Kommunikation zwischen Autor und Rezipient, bedarf aber der Speicherung (in Museen, Galerien, …). Wenn ihr Charakter jedoch nicht nur thematisch, sondern auch substanziell mit der Vergänglichkeit operiert, steht ihm diese mediale Konservierung meist entgegen. Andy Goldsworthy macht „Land Art“. Bei dieser Form der Kunst geht es darum, mit in der Natur gefundenen, natürlichen Gegenständen artifizielle Strukturen zu erzeugen und sie wieder zerfallen zu lassen. Er formt Kreise und Spiralen aus bunten Blättern, Mäander aus Steinen und Eiszapfen, Mauerkronen aus Schafswolle, rote Pfützen innerhalb von Flüssen und Bächen, Steinhaufen an Stränden unterhalb der Flutgrenze, … Goldsworthy interpretiert die Natur und ihre geheimen Strukturen, indem er sie für den Betrachter sichtbar macht.

Das „Problem” seiner Kunst ist ihre Vergänglichkeit. Zwar schichtet er auch schlangenlinige Mauern quer durch einen kleinen Wald, die sicherlich nach Monaten und Jahren noch vorhanden sein werden; die meisten seiner Werke zerfallen allerdings bereits kurz nach und manchmal sogar (gewollt oder ungewollt) durch ihren Schaffensprozess: So hat ein filigranes Windspiel aus Strohhalmen, das Goldsworthy zwischen die Astgabeln eines Baumes drapiert und das nur durch Holzdornen befestigt ist, keine Chance gegen den Wind. Seine Werke stürzen nicht selten in sich ein, bevor sie ganz „fertig” sind; bei einigen sind jedoch der Einsturz und die Vervollkommnung ein und der selbe Moment –etwa wenn der Künstler eine Hand voll Schnee in den Wind wirft, um die sich in die Luft zeichnenden Schleier mit dem Auge zu verfolgen.

Auf welch andere Weise könnte der Betrachter in den Genuss von Goldsworthys Kunst gelangen, wenn nicht durch den Film. Denn in der Möglichkeit der Laufbilder spiegelt sich die vergängliche „Land Art“ auf perfekte Weise. Und so hat Thomas Riedelsheimer den Künstler eine Zeit lang bei seinen Arbeiten in der Natur begleitet und diese „festgehalten. Eine narrative Struktur gibt es in dem so entstandenen Dokumentarfilm „“Rivers and Tides”“ kaum. Immer wieder geht es um einzelne Projekte, die in Goldsworthy wie Ideen aufkeimen und die er zu realisieren versucht. Die Kamera hält dabei seinen Arbeitsprozess genauso minutiös fest, wie seine Erfolge und sein mehrmaliges Scheitern. Zunächst mag man den Eindruck bekommen, dass diese Art der filmischen „Konservierung” im krassen Widerspruch zum Charakter der Kunst Goldworthys steht, ist doch das Vergehen der einzelnen Werke ein zentrales Moment. Doch einerseits ist es nun einmal die Crux der „Einmaligkeit“, dass ihr nicht jeder beiwohnen kann (und es aber trotzdem aufhebenswerte Momente zu geben scheint). Andererseits liegt gerade in der Technik des Filmbildes eine tief verwurzelte Ähnlichkeit zu der Kunst Goldworthys: Denn auch im Film „vergeht” jedes Einzelbild nach einer vierundzwanzigstel Sekunde.

Und damit ist Thomas Riedelsheimers Film weit emanzipierter über seinen Gegenstand, als es auf den ersten Blick scheint. Denn er filmt nicht allein die Arbeit Goldsworthys ab und dokumentiert Kunst, sondern schafft selbst Kunstwerke. Riedelsheimer wählt den Ausschnitt, zoomt hinein und heraus, nähert sich durch Fahrten an, kommentiert und interpretiert auf diese Weise die Kunstwerke. Darüber hinaus unterbreitet der Film sein eigenes Verständnis von „Land Art“, indem die Kamera auch immer wieder Strukturen auffängt, die gar nicht aus Goldsworthys Arbeit entspringen, sondern sich vielmehr als natürlich-zufällige Ordnungen erweisen; Kadrage und Montage sind deren Schöpfer.

„“Rivers and Tides”“ verschafft auf intelligente Weise Zugang zum Konzept der Land Art und fast scheint es so, als wolle der Film sich gegen die oftmals esoterischen Ausführungen Goldsworthys sträuben, der sich immer wieder von einer Art „je ne sais quoi” der Naturmystik überwältigen lässt und daraus seine Inspiration schöpft. Im Kontrast dazu weist Riedelsheimer vor allem durch seine Kameraarbeit immer wieder auf die phallischen und vaginalen Formen der so entstandenen Kunstwerke hin: Die runden, nach oben sich verjüngenden Steinhaufen oder die zirkulären sich zur Mitte hin verdunkelnden Kreise (nicht selten mit schwarzen Löchern in der Mitte). Und selbst in der häufigsten  Goldsworthy’schen Figur, dem Mäander, scheint sich eine dialogisch geschlechtliche Struktur von „Innen und Außen” durch die Bilder entbergen zu wollen.

So ist „Rivers and Tides” mehr als eine Dokumentation: ein eigenständiges Kunstwerk und ein Essay im Sinne Alexandre Astrucs, der Position bezieht. Damit ließe sich auch die unangenehme Passivität Riedelsheimers erklären, der, als er von Goldsworthy bei einer seiner Arbeiten gegen die Zeit um tatkräftige Mithilfe gebeten wird, passiv bleibt und das Scheitern dokumentiert und damit konsequent an seinem eigenen Kunstwerk weiterarbeitet.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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