Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Soziologie
Vorlesung: Einführung in die Jugendsoziologie
Dozent: Prof. Dr. B. Hildenbrandt
Sommersemester 1996
Inhalt:
1. Einleitung in die Thematik, Abgrenzung des Stoffs und
Worterklärungen
2. Demokratisches Bewußtsein und Handeln von
Jugendlichen
3. Analyse und Theorie der Rechtsextremismusforschung
3.1. Übersicht über die
theoretischen Entwürfe
3.2. Empirisch-analytische Untersuchungen bei
Jugendlichen
5. Neudefinition der Jugendphase
6. Orientierungsmilieus
6.1. Das traditionsgebundene
nationalistische Orientierungs-„Milieu“
6.2. Das anomische Orientierungs-„Milieu“
6.3. Das neoromantische Orientierungs-„Milieu“
6.4. Das neokonservative „Milieu“
7. Rechtsradikalismus aus sozialpsychologischer Sicht
7.1. Die autoritäre Persönlichkeit
7.2. Dialektik der Aufklärung
7.3. Narzißmustheoretischer Ansatz
7.4. Ein mehrdimensionales Erklärungsmodell
1. Einleitung
Der Rechtsextremismus bei Jugendlichen hat in den letzten Jahren dramatisch
an Bedeutung zugenommen. Nicht nur die Pogrome rechtsextremistischer
Jugendlicher in Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und vieler anderer
Orts machen die Brisanz deutlich; auch die zunehmende Akzeptanz
rechtsradikaler Ansichten in der Öffentlichkeit und die Politik, die
teilweise auf die Forderungen von Rechts reagiert (Asylkompromiß)
verdeutlichen, daß mit dem Rechtsextremismus ein Phänomen in die
Gesellschaft gerückt ist, das nicht übersehen werden darf.
Aufgrund der Aktualität der Thematik existieren viele Ansätze der
Deutung von Rechtsextremismus und Jugend. Das vorliegende Referat kann nur
einen Teil dieser berücksichtigen und nur einen ungefähren
Überblick über theoretische und analytische Konzepte der
Rechtsextremismusforschung geben. Eine erschöpfende Behandlung des
Themas „Jugend und Rechtsextremismus“ (Heitmeyer, W. Rechtsextremistische
Orientierung bei Jugendlichen“, München 1987) würde den Rahmen
eines jeden Referates sprengen.
Der vorliegende Text berücksichtigt in der Hauptsache Texte von Wilhelm
Heitmeyer, der eine Reihe Publikationen zum Thema „Jugend und
Rechtsextremismus“ veröffentlichte. Speziell die Veröffentlichung
„Rechtsextremistische Orientierung bei Jugendlichen“ hat eine große
Bedeutung für den vorliegenden Text und wird in ihn in vielen Stellen
mit einbezogen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Aufsatz „Aspekte einer
Theorie des aktuellen Rechtsradikalismus in Deutschlands“ von Manfred
Clemens.
Worterklärungen:
Rechtsextremismus:
Politische Einstellung, die mit Gewalt die bestehende
freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu beseitigen versucht, um ein
totalitäres System (nach Vorbild des Nationalsozialismus) aufzubauen,
das Werte, wie Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalchauvinismus
und Antiemanzipatorische Bestandteile enthält.
Rechtsradikalismus:
Politische Einstellung, die mit demokratischen Mitteln
(genauer: mit den Mitteln der Demokratie) versucht, o. g. Werte in der
Gesellschaft zu installieren.
Deprivation:
im psychologischen Sinne „Bezeichnung für einen Zustand des Mangels
oder der Entbehrung, der eintritt, wenn einem Organismus die Möglichkeit
zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse vorenthalten wird. Soziale
Deprivation: Unterversorgung bestimmter Individuen oder Gruppen einer
Gesellschaft mit lebenswichtigen Gütern oder Dienstleistungen oder Lohn,
so daß diese das Existenzminimum unterschreiten.“ (nach Fuchs-Heinritz,
W. u. a. Lexikon zur Soziologie, 1994)
2. Demokratisches Bewußtsein und Handeln von
Jugendlichen
Zahlreiche empirische Untersuchungen zum politischen Bewußtsein von
Jugendlichen betonen immer wieder die Verankerung demokratischen Denkens. Sie
agieren in Initiativen, wie Friedensbewegungen, Umweltbewegungen,
parteipolitische Jugendorganisationen, Schüler- und Jugendvertretungen.
(Heitmeyer, W. „Rechtsextremistische Orientierung bei Jugendlichen“, S. 17,
München, 1987)
Risse gibt es nur bei den Gewerkschaften: Sie können Jugendliche nicht
als aktiv handelnde Mitglieder gewinnen. Gewerkschaftliche Werte werden zwar
bejaht; die Teilnahme und Mitarbeit in der Gewerkschaft jedoch verneint. Es
wird eher nach Nützlichkeitserwägungen gegangen (Streikrecht, …).
(nach: ebd. S. 17)
„Die Bereitschaft, sich mit dem politischen System zu identifizieren, hat in
den letzten Jahren jedoch nachgelassen.“ (ebd. S. 18) (Bsp.: Parteijugend,
Wahlmüdigkeit…)
Handlungsfähigkeit
Lebensplänen entferntes Handeln begriffen.
Prozesse zunehmend gleichgültiger.
Jugendliche versuchen ihre Situation (Orientierungsprobleme, Unsicherheit,
Alleingelassenheit) zu verändern. Jedoch nicht hauptsächlich mit
den Leitbildern und Postulaten der RechtsextremistInnen. Es entstehen aber
Positionen mit Ideologischen Schnittmengen rechtsextremistischen Gedankengutes.
Zitat (18jähriger Gymnasiast)
Krieg ist etwas ganz natürliches. Sie dich um: Kampf und Gewalt
finden jeden Tag statt. Ihr wollt es offensichtlich nicht wahrhaben. Die
Stärkeren müssen gewinnen; sie setzen sich ja auch tagtäglich
durch, sonst geht es doch nicht weiter.“ (Heitmeyer, W. „Rechtsextremistische
Orientierung bei Jugendlichen“, München, 1987, S. 19)
In der Öffentlichkeit wird oft ein Vorbild für solche Meinungen
gebildet:
Zitat (Staatssekretär im Innenministerium):
(ebd., S. 19) „Frieden und Freiheit sind ja auch im Innern wichtig.
Aber da in erster Linie für die Normalen, nicht für die Perversen,
Minderheiten, Terroristen und Randgruppen“ (ebd., S. 19)
3. Analyse und Theorie
der Rechtsextremismusforschung
3.1. Übersicht über die theoretischen
Entwürfe (alle nach ebd., S. 21f)
Gruppen fungieren als Kader für den Fall, daß die
Kapitalverwertungsprozesse so unter Druck geraten, daß die
parlamentarisch-demokratische Staatsform nicht mehr erträglich scheint.
ökonomische und technische Umwandlungsprozesse stehen dem
hinterherhinken des soziokulturellen Wandels gegenüber. Es entsteht
eine Schere.
Antisemitismus spielt hier eine besondere Rolle. Die Religion der Juden
wird als schwer zugängliche Glaubensbewegung gesehen.
(Adorno): Hier wird mit autoritären Erziehungspraktiken der Familie
argumentiert. Hierzu weiter unten im Text.
Rechtsextremistische Einstellungen Jugendlicher entwickeln sich aus den
autoritären Erziehungspraktiken der Familie.
Deprivation folgt neonazistische Militanz. Sie wird im
Gruppenzusammenschlüssen überwunden. Die Gruppen sind orientiert an
„politischen Vorbildern“ des historischen Faschis
mus.
Folgende Kritikpunkte lassen sich gegenüber diesen Theorien anbringen:
1. Formen und Folgen des unorganisierten bzw. bereits bestehenden
und gesellschaftlich akzeptierten Rechtsextremismus geraten – zugunsten des organisierten und politischen Rechtsextremismus – in den Hintergrund.
2. Es gibt kaum empirische „Überprüfungen“, die die theoretischen Konzepte bestätigen.
3.2. Empirisch-analytische Untersuchungen bei
Jugendlichen
Die Anzahl der Untersuchungen nahm mit dem Anstieg der
rechtsextremistischen Gesetzesverletzungen zu. Allein zwischen 1976 und
1984 gab es in der BRD 9 solcher Untersuchungen mit einem breiten
Spektrum an Schwerpunkten, unterschiedlichen Populationen und
methodischen Vorgehensweisen. Heute dürften es wohl noch mehr sein.
Beispiel: Selbstakzeptanz, Autoritarismus und politische Handlungsbereitschaft arbeitsloser Jugendlicher (von 1977) (nach ebd., S. 25f)
Die Untersuchung umfaßte 289 Jugendliche und beleuchtet die psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit.
Arbeitslose Jugendliche unterscheiden sich in politischer
Orientierung und Aktivitätsbereitschaft von Beschäftigten und
Auszubildenden. Arbeitslose Jugendliche vertreten tendenziell
kritischere und radikalere Positionen und zeigen in ihrer verba
lisierten Handlungsbereitschaft mehr Risikobereitschaft. Arbeitslose
Jugendliche haben nicht pauschal politisches Desinteresse. In der
verbalisierten Handlungsbereitschaft zeigen arbeitslose Jugendliche
eine deutliche Neigung zu unkonventionellen, aktioni
stischen Formen politischer Aktivität und ein ausgeprägtes Mißtrauen
gegenüber etablierten politischen Parteien. Die arbeitslosen
Jugendlichen weisen eher niedrigere Werte bezüglich autoritärer
Einstellungen auf. Das macht sie für das „Führerprinzip“ in
rechtsextremistischen Gruppen besonders anfällig. Es entsteht eine
Tendenz zur hohen Mobilisierbarkeit für politische Aktivitäten, die
sich von etabliertem politischen Handeln absetzen.
Das Problem dieser Studie besteht hauptsächlich darin, daß die
interviewten Jugendlichen vorwiegend aus Jugendzentren stammen, die
besonders für aktive Jugendliche prädispositioniert sind. Dies dürfte
das Ergebnis der Studie rela
tivieren.
4. Die Risikogesellschaft
Die klassische Faschismustheorie besagt, daß aus den Widersprüchen
der kapitalistischen Gesellschaft die politisch motivierte Gewalt
entsteht, die den historischen Faschismus hervorgebracht und als
Herrschaftsform durchgesetzt hat. Hierbei wird die Klassengesellschaft als Erkärungsmuster benötigt (nach ebd., S. 63), wobei sich die Frage stellt, ob dieses Konzept heute noch tragfähig ist.
Eine andere Möglichkeit liefert die Annahme der Existenz einer
Risikogesellschaft (Beck). Merkmale der Risikogesellschaft sind: Verlust der Klassenidentität
weil sich die Lebensbedingungen der Menschen drastisch geändert haben.
(alle nach: Heitmeyer, W. Rechtsextremistische Orientierung bei
Jugendlichen“, München 1987, S. 64)
Das zentrale Kennzeichen: Individualisierung von Lebenslagen und -wegen, hervorgerufen durch:
Herkunftsfamilie => neue Beziehungsmuster, die sich nicht
selbständig weitervermitteln und nicht dauerhaft sind)
immer früher ein und dringen immer weiter in soziale Bereiche vor;
erzwingen individuelle Abschottung und Vereinzelung)
Wohnquartiere, aber lassen nur lockere Bekanntschafts- und
Nachbarschaftsbeziehungen zu)
Einbindung der Menschen in alltags- und lebensweltlich identifizierbare
Klassenstrukturen verliert an sozialer Bedeutung.
Das ist der historische „soziale Kontinuitätsbruch“ (ebd., S. 65),
in dessen Zentrum sich die Auflösung klassenkultureller, lebensweltlicher Gemeinsamkeiten vollzieht.
Die positive Seite dieses Prozesses: Individualisierung (eigenes Geld, eigene Zeit, eigener Wohnraum, …)
Die negative Seite: Vereinzelung. Diese begründet sich durch:
traditionelle Orientierungen und Denkweisen durch universalistische
Lerninhalte verändert werden. Jugendliche werden mit individuell zu
bewältigen Selektionsprozessen konfrontiert.
Lebenslagen wird, weil der Einzelne sich als Akteur eines eigenen,
nicht mit einer Gruppe zusammengefaßten Lebensweges sehen muß.
Konkurrenzbeziehungen folgt. Diese zwingt zur Abgrenzung, um das
Besondere und Einmalige der eigenen Leistung herauszustellen. (nach
ebd., S. 65f)
Die Individualisierungsschübe bewirken (unter den Bedingungen des
Kollektivschicksals der Vereinzelung), daß naturvermittelte
Ungleichheiten (Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, …) aufgrund
ihrer Unentrinnbarkeit, ihrer zeitlichen Konstanz, ihrer
Widersprüchlichkeit zum Leistungsprinzip und direkten Wahrnehmbarkeit
und der damit verbundenen Identifikationsmöglichkeiten besondere
Aktivierungs- und Politisierungschancen erhalten. (nach ebd., S. 67)
5. Die Neudefinition der Jugendphase
Die Jugendphase befindet sich in einem grundlegendem Strukturwandel.
Einerseits bietet die Risikogesellschaft neue Möglichkeitshorizonte. Es
darf aber andererseits auf keinen Fall übersehen werden, welche
Sprengkraft die Auflösung kollektiv
er sozialer Identitäten hat. Baethge sieht dieses Problem als existenzbedrohende Desintegration und das entscheidende ungelöste Problem der bürgerlichen Gesellschaft.“ (nach: Heitmeyer, W. „Rechtsextremistische Orientierung be
i Jugendlichen“, München 1987, S. 74)
Jugendliche sollten in einem gesellschaftlich erzeugten
Kontinuitätsbruch ihre jeweils eigene lebensbiografische Kontinuität
zwischen Kindheit und Erwachsensein herstellen. Dieses Verständnis von
Jugend traf schon in der Vergangenheit nur a
uf eine begrenzte Anzahl Jugendlicher zu und trifft heute immer weniger
zu. Jugend bekommt zur Zeit eine neue gesellschaftliche Rolle (auf
ökonomischer, kultureller, sozialer und politischer Weise). Jugendliche
unterwerfen sich diesem Prozeß te
ilweise, teilweise entziehen sie sich ihm.
Weil diese Ausdifferenzierungsprozesse weiter zunehmen und die
Widersprüche von Jugendlichen (auf dem Weg zur Selbständigkeit) neu
erfahren werden, ergeben sich wieder neue Widersprüche:
orientiert. Es wird ihnen aber verwährt auch tatsächlich daran
teilzunehmen. (alle nach ebd., S. 76)
Diese Probleme sind besonders Brisant, weil keine eindeutigen
Lösungen oder Auswege zu erkennen sind, um die Lage zu verändern.
Zusammengenommen zeichnen sich Desintegrationsprozesse ab, deren
weitreichende Folgen – und ihre Bearbeitung durch di
e Individuen – im Hinblick auf ihre Identitätsprozesse zu analysieren
sind. Besonders wird dies für Jugendliche zentral, weil
Identitäts-Entwicklung eine Kernaufgabe der Jugendphase ist.
6. Orientierungsmilieus
Auf der Suche nach ihrer Identität brauchen die Jugendlichen eine
Orientierung, die ihnen früher durch die Familie bzw. ihre soziale
Klasse meistens gewährt wurde. Damals folgten die Jugendlichen einfach
den Angehörigen ihrer Familie i
n die entsprechenden Berufssparten, sie wuchsen aber auch in die
jeweiligen Parteien und Gewerkschaften hinein.
Heute sind die oben genannten Möglichkeiten kaum noch gegeben,
die Jugendlichen müssen sich andere Wege suchen. Hier bieten die
Orientierungs-„Milieus“, das sind sozusagen „Restbestände“ sozialer
Milieus, mit einer gewissen Homoge
nität der sozialen Herkunft, eine Art Stütze. Als Beispiel für
Orientierungs-„Milieus“ kann man Freundes-Cliquen, Vereinsfreunde,
Parteiangehörige, etc. ansehen. Sie verbinden die einzelnen
Orientierungsmuster, aber nicht in so starkem Maße wie eigentlich
erwartet, so daß sie nicht dauerhaft bleiben. Das führt zu Offenheit
der Jugendlichen gegenüber verschiedener sozialer und politischer
Entwicklungen; dadurch befinden sie sich aber auch in einem ständigen
Orientierungsdilemma.
Hier sollen die Orientierungs-„Milieus“ vorgestellt werden, in
welchen sich gewisse Problemlagen verbergen können, so daß sich daraus
unter gewissen Umständen Hinwendungsprozesse zu entweder regressiven
subkulturellen Gruppierung
en oder zu rechtsextremistischen Gruppierungen entwickeln könnten. Das
Wort „könnten“ muß hier noch einmal hervorgehoben werden, denn
Prognosen sind in dieser Richtung nicht möglich. Es gibt für die
sogenannte „Wei
chenstellung“ der Entwicklungsrichtung Jugendlicher derzeit noch keine
eindeutige Antwort.
Es werden hier nun vier Orientierungs-„Milieus“ vorgestellt , in denen sich mögliche Problemlagen erkennen lassen:
6.1. Das traditionsgebundene nationalistische
Orientierungs-„Milieu“ (nach: Heitmeyer, W.
„Rechtsextremistische Orientierung bei Jugendlichen“, München 1987, S. 191)
Hier geht es um „rechts“ stehende Organisationen für die die
„Nationale Frage“ die zentrale Orientierungslinie markiert und in denen
Tradition und Autorität eine große Rolle spielen. Bei diesen
Organisationen spielt die familiäre Kontinuität noch eine wichtige
Rolle. Wenn diese auch schon eingeschränkt ist, so folgen die
Jugendlichen noch ihren Eltern oder anderen Verwandten, z.B. in die
Wiking-Jugend.
6.2. Das anomische
Orientierungs-„Milieu“ (nach ebd., S. 191)
Dies betrifft Jugendliche, die weder Selbstbewußtsein noch
Handlungssicherheiten haben und die deshalb klar strukturierte
Situationen brauchen, um ihre Orientierung zu bekommen. Jede Abweichung
in ihrer Routine bringt Probleme, aus diesem Grund such
en sie die Wiederherstellung und Durchsetzung einer homogenen
autoritären Ordnung. So zählt wahrscheinlich nicht die ideologische
Attraktivität als vielmehr die erhoffte Verhaltensgewißheit bei der
Hinwendung zu rechtsradikalen Gruppe
n.
Sehen Sie, wir erwarten uns eine Entwicklung in der Richtung,
die wir anstreben, im Grunde hauptsächlich von der Jugend. Und wir
sprechen innerhalb dieser Jugend verständlicherweise die an, die
besonders wenig zu verlieren haben und die e
in besonders hohes Maß an Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen
Lebensumständen haben. Ob es sich nun um soziale Benachteiligung oder
soziale Probleme bei ihnen handelt, oder ob es sich um persönliche
Probleme handelt – etwa die Frag
e der Geborgenheit und … der Wunsch …, in einer Gemeinschaft zu
leben …, das hat natürlich auch Konsequenzen in der Frage, die Sie
mir gestellt haben. Es kommt als zweites noch hinzu, daß wir
hauptsächlich, sagen wir, die Arbeiterjugend ansprechen; hauptsächlich
also junge Menschen ansprechen, die nicht so in der Lage sind, sich zu
artikulieren und sich so klar zu machen, was sie eigentlich wollen, als
wie z. B. die linken Gruppen, die mehr die Intellek
tuellen ansprechen. Bei uns beruht eben sehr viel mehr auf dem
gefühlsmäßigen Lernen als auf dem rationalen Lernen …“ (Kühnen, Zitat
nach Henning, ebd., S. 192)
6.3. Das neoromantische
Orientierungs-„Milieu“ (nach ebd., S. 192)
Hierbei geht es sowohl um Naturorientierung als auch um biologische und
soziologische Orientierungen. Es wird versucht, gesellschaftliche
Widersprüche durch die Flucht in Gemeinschaften zu verarbeiten. Die
„Kameradschaft“ aus dem rechtsextremistischen Milieu kann hierfür recht
verlockend sein. Gemeinsam ist beiden Richt
ungen auch die Abneigung gegen Aufklärung , gegen kalte Rationalität
und ihre Hochschätzung des Gefühls. Die Gefahren in diesem Milieu
liegen in den möglichen Umwandlungen, wie Klönne warnt: „Der Protest
gegen die Rüstung kann umgebogen werden in das Ressentiment gegen die
Rüstungsverfügung der fremden Mächte, der Verdruß am staatlichen
Reglementieren kann verwandelt werden in die Ablehnung demokratischer
Gesell
schaftsgestaltung…“ Klönne meint auch , daß auf dem Umweg über den
Umweltschutz der Begriff „Heimat“ bei einigen Jugendlichen wieder
modern geworden sei. Umwelt- und Lebensschutz werden hier in engen
Zusammenhang gebracht. Ein Beispiel dafür seien manche
Pfadfindergruppen.
6.4. das neokonservative „Milieu“ (nach
ebd., S. 194)
Gemeinsam mit rechtsextremistischen Milieus ist ihnen z.B. die
nationalisierende Sichtweise. Ebenfalls wichtige Übereinstimmungen sind
die Demokratieentlastung einerseits und die Betonung eines starken
Staates andererseits. Der deutlichste Unterschie
d liegt laut Heitmeyer in der Einstellung zur Gewalt bei den beiden
Gruppierungen. Das neokonservative „Milieu“ lehnt nämlich personelle
Gewalt ab. Ganz sicher gibt es noch andere weitreichende Unterschiede
zwischen beispielsweise einem Mit
glied des rechten Flügels der Jungen Union und einem Mitglied der FAP,
aber die werden in der Literatur nicht erwähnt.
Es muß noch einmal betont werden, daß es aus den vier oben
genannten Orientierungs-„Milieus“ Zuläufe zu rechtsextremistischen
Gruppen geben kann, aber nicht muß! Der Autor problematisiert hier
vielleicht etwas zu sehr um s
einen Standpunkt klar zu machen, denn so wirft sich die Frage auf, in
welcher Umgebung ist es denn für Jugendliche heutzutage dann noch
ideologisch ungefährlich? Es soll hier nicht behauptet werden, daß alle
Argumente Heitmeyers aus der Lu
ft gegriffen seien; die Ansätze sind durchaus einleuchtend, aber ihre
Ausarbeitung ist hoffentlich übertrieben!
7. Rechtsradikalismus aus sozialpsychologischer Sicht
(vier verschiedene Klärungsansätze – nach einem Aufsatz von Manfred Clemenz)
7.1. Die autoritäre Persönlichkeit (AP)
(Vgl. Clemenz, M.,
Aspekte einer Theorie des aktuellen Rechtsradikalismus in Deutschland, Arbeitspapier, Januar 1994 (Januar 1996), S. 8ff.)
Hauptvertreter
dieser Theorie: Adorno, Horkheimer
Drei wichtigsten Variablen
der autoritären Persönlichkeit:
Entwicklung, Haß in Liebe umzuwandeln, gelingt niemals vollständig. In
der Psychodynamik des autoritären Charakters wird die frühe
Aggressivität zum Teil abs
orbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt sie als Sadismus
zurück, der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen sich das
Individuum nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also.“ (ebd., S. 9)
-> die autoritäre Persönlichkeit benötigt ein Über-Ich-Ersatz, ein
externalisiertes Über-Ich“, eine mächtige Autorität -> das eigene
Gewissen wurde entmachtet.
–> Haß wird nahezu in automatisierter und zwanghafter Form
produziert und gesteigert; er ist vollkommen ichfremd und ohne Bezug
zum empirischen Objekt.
und „Schuld“ („Schuld“ eines Türken: physische Anwesenheit, eines
Schwarzen: seine dunkle Hautfarbe)
modernen Gesellschaft das „Verlangen nach Gleichheit und Gerechtigkeit“
verletzen.
-> Neid kann beseitigt werden, durch das Ersetzen des eigenen Ich-Ideals durch einen starken Führer, der alle gleich liebt. „Aller Rassenhaß ist Neid.“ (Adorno)
7.2. Dialektik der Aufklärung (Vgl. Clemenz, M.,
1994 (1996), S. 11f.)
Hauptvertreter dieser Theorie: Adorno; Horkheimer (parallel zur autoritären Persönlichkeit entwickelt)
-> Dies ist ein idealer Nährboden für Faschismus
7.3. Narzißmustheoretischer Ansatz (Vgl.
ebd., S. 13ff.)
Hauptvertreter dieser Theorie: Bohleber, Overbeck
Diese illusionär omnipotent narzißtische Dualunion bildet den
Kern der Attraktion, die das Phantasma der Nation auf das Individuum
ausüben kann … Die Idealisierung bedingt anderseits die Abspaltung
des Bösen und dessen Projek
tion auf die Feinde .. Diese Art präambivalenter, regressiv
verschmelzender organischer Gemeinschaft sucht der Nationalist und
Antisemit.“ (Bohleber, aaO., S. 139) (ebd., S. 13.)
Gründe hierfür sind:
Erklärungsmodell (Vgl. Clemenz, M., 1994 (1996), S. 21ff.)
Vertreter dieser Theorie: Clemenz
Rechtsradikalismus ist weder ausschließlich aus
Persönlichkeitsstrukturen, noch aus sozialen, ökonomischen und
politischen Strukturen zu erklären. Es wird davon ausgegangen, daß ein
mehrstufiger Theorietyp notwendig ist:
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
Individualisierung und Isolation führt dazu, daß Selbstreferentialität
und Partikularismus Merkmale der Persönlichkeitsstruktur werden.
der Kinder (Fernseher übernimmt teilweise die Rolle des Erziehers)
8. Literaturverzeichnis
1. Clemenz, Manfred,
Aspekte einer Theorie des aktuellen Rechtsradikalismus in Deutschland“,
Arbeitspapier, Januar 1994 (Januar 1996)
2. Heitmeyer, Wilhelm,
Rechtsextremistische Orientierung
bei Jugendlichen – Empirische
Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen
Sozialisation“, Juventa Verlag Weinheim und München, 1987, 1. Auflage
3. Fuchs-Heinritz, Werner (Hrsg.), u. a.,
„Lexikon zur Soziologie“, 3. völlig neu bearbeitete und erweiterte
Auflage, Westdeutscher Verlag, Opladen 1994