Fortschreitende Zombiefizierung

The Dead walk … again!

Über die Rückkehr der lebenden Toten ins Kino des 21. Jahrhunderts

von Stefan Höltgen

Spätestens seit dem Überraschungserfolg von Danny Boyles 28 DAYS LATER sind die Untoten endgültig ins Kino zurückgekehrt. Der Zombiefilm hatte als Subgenre des modernen Horrorfilms seine Blüte vor 20 Jahren. Zwar haben sich seither etliche Leichen aus ihren Filmgräbern erhoben, doch die Anzahl der jetzt erschienenen neuen Zombie-Filme ist signifikant.

thedeadwalk.jpgBerkeley ist ein verschlafenes Nest irgendwo in Australien. Zu den aufregenden Attraktionen zählt schon die Wahl der „Miss Fisch-Köder“, die der Siegerin stadtweite Plakatierung ihres Konterfeis und den Neid ihrer gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen beschert. Doch als ein Asteroiden-Regen über Berkeley niedergeht, wird es für kurze Zeit richtig spannend im Städtchen, denn die Felsbrocken aus dem All tragen einen Virus, der binnen kurzer Zeit fast alle Bewohner in untote Menschenfresser verwandelt.

Der Plot von Michael und Peter Spierings Debüt-Film UNDEAD (2003) unterscheidet sich zunächst kaum von den Infektions-Zombiefilmen der italienischen Produktion der 80er Jahre: Die „Krankheit“ der Untoten ist von Außen in die ansonsten heile Gesellschaft gelangt und fordert eine neue soziale Ordnung: Die Masse der Infizierten versucht die wehrhaften Gesunden zu überrollen. UNDEAD unterscheidet sich jedoch in einem Punkt wesentlich von seinen Vorgängern: Er ist ironisch. Die Spiering Brothers stellen ihren Film in die direkte Tradition des Neuseeländers Peter Jackson und seiner Splatterfilme BAD TASTE (1987) und BRAINDEAD (1992). Sie fassen die Mythologie des Zombiefilms zusammen, zitieren dessen Klassiker in Motiven und Ikonographie und verschaffen dem Zombiefilmfreund dadurch doppelten Genuss: Splattereffekte auf der technischen Höhe der Zeit (die besonders der frühe italienische Zombiefilm so sehr hat vermissen lassen) und Zitate aus den lieb gewordenen Klassikern des Subgenres bilden die Basis für den heutigen morbiden Kinospaß. Die Spierings sehen sich mit UNDEAD bewusst als Sleaze-Filmer. Das bemerkt der Zuschauer nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass irgendwann Außerirdische ins Städtchen Berkeley kommen, um die Menschheit von der Zombie-Plage zu befreien. Und darüber hinaus präsentiert UNDEAD ein paar bis zur Karikatur überzeichnete Helden, die sich mit Kampfsport-Akrobatik und vier- beziehungsweise fünf-läufigen Schrotflinten gegen den Ansturm der kannibalischen Kadaver zur Wehr setzen.

Virus – Inferno

Doch derartige Satire ist selbst im zeitgenössischen Zombiefilm recht selten zu finden. UNDEAD hebt sich hier – genau wie Jacksons Filme in den 90ern und die RETURN OF THE LIVING DEAD-Filme in den 80ern – von der Masse der dystopischen Stoffe ab. Wie schon Romeros Zombie-Trilogie (NIGHT OF THE LIVING DEAD, 1968/DAWN OF THE DEAD, 1979/DAY OF THE DEAD, 1985) kommen die Untoten-Filme auch heute öfter als Warnungen dahergewankt: „Was wäre wenn?“ Die Frage der fiktiven Sozialentwürfe findet sich in den Erzählungen von RESIDENT EVIL (2002), 28 DAYS LATER (2003) und DEAD CREATURES (2001).

Paul Andersons RESIDENT EVIL geht dabei noch am spielerischsten mit seinem Gedankenexperiment um. Er erzählt von einer weltmächtigen Firma, die an Technologien aller Art forscht – von Haushaltsgeräten bis zu Waffensystemen. Dazu gehört ebenfalls ein Virus, der Soldaten selbst mit tödlichen Verletzungen weiterkämpfen lässt. Analog zu Seuchen-Endzeitfilmen wie Mick Garris’ THE STAND (1994) lässt Anderson seinen zombiefizierenden Virus entweichen und löst damit die Epidemie der Untoten aus. RESIDENT EVIL ist vielfach wegen seiner direkten Motiv-Übernahmen aus Romeros DAWN OF THE DEAD und DAY OF THE DEAD kritisiert worden. Von den Masken-Effekten der Zombies über ihre alptraumhaft tumbe Art sich unaufhaltsam ihrem Ziel/ihrer Nahrung zu nähern bis hin zu direkten Bild-Zitaten enthält Andersons Film in der Tat einiges das an die Romero-Filmer erinnert. Doch steht er damit einerseits in der Tradition aller Untoten-Filme und andererseits macht er nur das sichtbar, was andere Beiträge des Subgenres zu kaschieren versuchen: Die erzählerischen Varianten wurden bereits alle durch exerziert. Die Kunst kann für die Drehbuchschreiber nicht darin bestehen, sich tatsächliche einen neuen Zombiefilm „auszudenken“, sondern das Bekannte vielmehr originell zu variieren und es mit interessanten Subtexten zu unterfüttern. Der postmoderne Zombiefilm frisst seine Eltern.

Zu den schon fast parabelhaften Beträgen des Subgenres zählen auch Danny Boyles 28 DAYS LATER (2003) und Andrew Parkinsons Independent-Film DEAD CREATURES (2001). Auch Boyle beruft sich auf die Vorgängerfilme: „In many ways it is useful to work within a genre. If nothing else, it means that a considerable amount of the hard work of filmmaking and story-telling has been done by the people who have worked in the genre before you.“ (1) Seine Erzählung basiert auf demselben Stoff wie der erste Untoten-Film NIGHT OF THE LIVING DEAD: Auf der Erzählung „I am Legend“ von Richard Matheson, die bereits 1954 die Dystopie einer durch eine Seuche ausgerotteten Menschheit beschrieb, in der sich wenige Überlebende gegen eine Horde Wahnsinniger (die aber noch keine Fleisch fressenden Untoten waren) behaupten musste. Danny Boyle nähert sich mit seinem Film dem ursprünglichen Stoff weiter an, als Romero, der lediglich das Motiv der kämpfenden Überlebenden übernommen hatte. Doch beide Filme verstehen sich als soziale und vor allem politische Warnung vor rassischem Extremismus. Denn Romero wie Boyle entlarven in der Peripetie ihrer Plots das Verhalten der „lebenden Lebenden“ im Kontrast zu dem der lebenden Toten als das eigentlich erschreckende.

Parkinsons DEAD CREATURES (2001) geht diesbezüglich noch einen Schritt weiter. Seine „toten Kreaturen“ sind zwar nicht physisch, aber sozial tot. Sie sind infiziert mit einem Virus, der durch Bisse übertragen wird und den Erkrankten bei lebendigem Leibe verfaulen lässt. Ein Symptom der Krankheit ist der unstillbare Hunger nach Menschenfleisch. Doch um eine Epidemie handelt es sich bei der Krankheit nicht, denn die Infizierten wissen um die Infektionsgefahr, die von ihnen ausgeht und leben daher aus Selbstschutz und zum Schutz der Gesunden im Verborgenen. Parkinson beschreibt eine Londoner Frauen-WG, die sich zusammengetan hat, um sich gegenseitig in der Krankheit zu helfen und gemeinsam Menschenopfer zum Verspeisen zu suchen. Zwar ist auch DEAD CREATURES in der Drastik seiner kannibalistischen Darstellung durchaus ein Zombie-Splatterfilm, doch dominieren die Effekte zu keiner Zeit über die Erzählung. Der Ekel, den die Frauen beim Verspeisen ihrer Opfer empfinden, betont das Dilemma der Situation. Die Zombiefizierung wird geschildert als sexuell übertragbare Krankheit. Denn die Frauen fallen bewusst nur Männer an und einer der infizierten Männer, der nicht zu der Gruppe gehört, macht ausschließlich Jagd auf Mädchen und Homosexuelle, die er selten tötet, aber fast immer infiziert. Damit rückt DEAD CREATURES in auffälliger Weise in die Nähe der AIDS-Problematik. Dieser Verdacht wird noch dadurch erhärtet, dass es einen nicht infizierten Gegner gibt, der unter dem Vorwand der Euthanasie Jagd auf die Erkrankten macht und sie schließlich einen nach dem anderen grausam tötet, um die Gesellschaft vor ihnen zu beschützen.

The Bits bite back

Auffällig am neuen Zombiefilm ist, dass eine Adaptionsquelle besonders oft als Grundlage für die Filme dient: Das Videospiel. Hier zeichnet sich eine zweite Art von „Rückkehr der Untoten“ ab. Anfang der 90er Jahre, als es – wie gesagt – stiller im Subgenre wurde, erschien von der Firma UbiSoft das Computerspiel „Zombi“ – damals für die Heimcomputer Commodore 64 und Commodore Amiga. Im Wesentlichen musste der Spieler darin die Handlung der Zombiefilme – vor allem aus Romeros DAWN OF THE DEAD – nachspielen: Durch einsame und verlassene urbane Zentren marschieren und Untote abschießen. An der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Technik lag es, dass bei „Zombi“ weniger der Gore- als der Spannungsfaktor überwog. Dies sollte sich mit der rasant fortschreitenden Technik der Spiele-Hardware ändern. Das Zombie-Thema wurde weiter variiert und mit Spielen wie „Alone in the Dark“ (1994) und seinen mittlerweile vier Fortsetzungen oder „Resident Evil“ (1996) technisch verfeinert. Mittlerweile sind die Untoten in den so genannten Ego-Shooter-Spielen zum Gegner Nummer Eins avanciert. Und angesichts der Beliebtheit und des damit verbundenen ökonomischen Erfolges verwundert es kaum, dass sie von dort wieder in den Film zurückgekehrt sind.

Das begann mit Paul Andersons RESIDENT EVIL. Anderson versucht die Erzählung des gleichnamigen Spiels auf seine Filmhandlung zu übertragen und die dortigen Motive zu adaptieren. Daher läuft die oben zitierte Kritik, es handele sich bei RESIDENT EVIL um ein Romero-Plagiat, eigentlich ins Leere (interessant hier anzumerken, dass Romero für kurze Zeit als Regisseur für den Film im Gespräch gewesen ist). Die Computer-Spiel-Ästhetik ist allerdings in vielen Details des Films wieder zu finden: Die labyrinthische Struktur der Forschungsstation, durch die sich die Helden kämpfen müssen, das Ziel – die Abschaltung des überintelligenten Computers und der Kampf gegen einen sehr gefährlichen Endgegner sind typische Ingredienzien eines Ego-Shooter-Spiels.

Und eines der jüngsten Werke des Zombie-Films greift ebenfalls auf ein Computerspiel zurück: Uwe Bolls HOUSE OF THE DEAD (2003) basiert auf dem gleichnamigen Spiel von 1996, das mittlerweile auch mehrere Fortsetzungen hervorgebracht hat. Boll gelingt es allerdings nicht, wie Anderson, die Computerspiel-Ästhetik für seinen Film fruchtbar zu machen. Einzig immer wieder kurz eingeblendete Computerspiel-Screenshots und eine Sequenz aus dem Finale, in dem zwei der Überlebenden durch einen Zombie-verseuchten Tunnel gehen müssen, erinnern recht aufdringlich an das Spiel. Boll präsentiert mit seinem Film eine Mixtour aus der Spezialeffekte-Ästhetik der frühen italienischen Zombiefilme und einer Erzählung, die nur wenig Originelles zu bieten hat. In HOUSE OF THE DEAD sind die Zombies Sklaven eines untoten Conquistadoren-Missionars, die auf einer einsamen Insel („Isla del muertes“) ihrem Herrn beim Manifestieren seiner Herrschaftsansprüche helfen. Eine Schar von Teenagern, begleitet vom abgeklärten Captain Kirk (sic!) – gespielt von Jürgen Prochnow – gerät in die Fänge der Untoten und ihres Anführers. Das erinnert viel zu sehr an Zombiefilme, wie Joe D’Amatos ZOMBIES HOLOCAUST (1979), IN DER GEWALT DER ZOMBIES (1980) oder Lucio Fulcis ZOMBI 2 (1980). Und so wundert es wenig, dass der Film auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest kein Erfolg geworden ist. Das Publikum, das mit den Horrorfilmen der 70er und 80er Jahre aufgewachsen ist, hat alles aus Bolls Film schon einmal gesehen – die unreflektierte Einverleibung der Filmgeschichte allein reicht für einen Zombiefilm heute nicht, um erfolgreich zu sein.

Dusk of the Dead

thedeadwalkagain.jpgDie Rückkehr der Zombies aus dem Computerspiel ist noch nicht abgeschlossen. Als nächstes steht bei Uwe Boll die Umsetzung des Spiels „Alone in the Dark“ auf dem Drehplan. Der erste Teil des Spiels variiert das Thema aus Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD, indem er seinen Ego-Shooter-Helden in ein unheimliches Haus einsperrt, das von unzähligen Zombies bevölkert wird.

Ebenfalls in der Vorproduktion befindet sich George A. Romeros Fortsetzung der Zombie-Trilogie. DEAD RECKONING soll der Film heißen und Romero hat bereits hier und da verraten, wie er sich den Charakter einer Fortsetzung vorstellt: „Ich würde gerne einen Zombiefilm machen, wo die Leute aus Beverly Hills immer noch vor ihren schicken Restaurants draußen essen und das Problem ignorieren. Die haben Wachmänner, die die Zombies dann wegzerren und in einem Hauseingang erschießen. Natürlich nicht direkt vor den Augen der Leute, nicht während des Abendessens. Das wäre dann wahrscheinlich der komödiantischste von allen Zombiefilmen.“(2) Ob sich das Vorhaben umsetzen lässt, steht noch in den Sternen, denn zunächst einmal hat die Produktionsgesellschaft Fox das Unternehmen gestoppt. Dies hat unter den wartenden Fans heftige Reaktionen ausgelöst – von Spendenaufrufen bis zu Online-Petitionen an Fox.

Doch selbst wenn Romero seinen vierten Untoten-Film nicht drehen wird, leben die Zombies im Kino weiter. Einige Projekte sind bereits angekündigt, in denen Zombies, wenn nicht das Hauptmotiv, so doch ein Element der erzählerischen Bedrohung darstellen. Dazu zählen neben dem Sequel RESIDENT EVIL: APOCALYPSE (angekündigt für 2004) auch ein ambitioniertes Remake von Romeros Untoten-Hit DAWN OF THE DEAD (angekündigt für 2004). Die Zombies sind also auch im Kino der nächsten Zeit so untot wie zuvor.

(1) Danny Boyle über 28 DAYS LATER
(2) Thomas Gaschler & Eckhard Vollmer. Dark Stars. 10 Regisseure im Gespräch. München: belleville, 1992, S. 196f.

Dieser Text ist die Langfassung eines in der epd Film (Ausg. 11/2003) abgedruckten Artikels.
Einen weitereren, genretheoretischen Text zum Thema Zombies von mir können Sie unter diesem Link herunter laden (PDF).

Zombiefilm-Filmografie (Auswahl):

1. Klassiker der späten 1970er und 1980er Jahre

Dawn of the Dead (USA/It 1978, George A. Romero)
Les Raisins de la mort (F 1978, Jean Rollin)
Zombie Holocaust (It 1979, Joe D’Amato)
Zombi 2 (It 1980, Lucio Fulci)
Die Rückkehr der Zombies (It 1980, Andrea Bianchi)
Virus (It 1981, Vincent Dawn alias Bruno Mattei)
L’Aldila (It 1981, Lucio Fulci)
Evil Dead (USA 1982, Sam Raimi)
Day of the Dead (USA 1985, George A. Romero)
Return of the living Dead (USA 1985, Dan O’Bannon)
Re-Animator (USA 1985, Stuart Gordon)
Evil Dead II – Dead by Dawn (USA 1987, Sam Raimi)
Redneck Zombies (USA 1987, Pericles Lewnes)
The Video Dead (USA 1987, Robert Scott)
Return of the living Dead 2 (USA 1988, Ken Wiederhorn)

2. Zombiefilme der 1990er Jahre:

Night of the living Dead (USA 1990, Tom Savini)
Bride of the Re-Animator (USA 1990, Brian Yuzna)
Return of the living Dead 3 (USA 1990, Brian Yuzna)
Braindead (Nz 1992, Peter Jackson)
Dellamorte Dellamore (It 1994, Michele Soavi)
Zombie Nosh (USA 1994, S. William Hinzman)
I, Zombie – A Chronical of Pain (UK 1998, Andrew Parkinson)

3. Zeitgenössische Zombiefilme

Versus (Jp/USA 2000, Ryuhei Kitamura)
Dead Creatures (UK 2001, Andrew Parkinson)
Resident Evil (USA 2002, Paul Anderson)
28 Days later (NL/UK/USA 2002, Danny Boyle)
Undead (Australien 2003, Michael & Peter Spiering)
House of the Dead (D/USA/Kan 2003, Uwe Boll)